Bürokratie

Ärzte: 96 Arbeitstage für Papierkram

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Berlin -

Über zu viel Bürokratie im Alltag wird im Gesundheitswesen regelmäßig geklagt. Unendlich viele Formulare müssen ausgefüllt, weggeschickt oder abgeheftet werden – da geht es den Ärzten wie den Apothekern. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat ein Gutachten beim Statistischen Bundesamt (Destatis) in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: In Arzt- und Zahnarztpraxen verschlingen administrative Aufgaben jährlich 4,3 Milliarden Euro – oder 96 Arbeitstage.

Für die Analyse untersuchte Destatis sogenannte Informationspflichten für Ärzte und Zahnärzte, also „bestehende Verpflichtungen, Daten und sonstige Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln“. Einzelne Vorgaben und Verträge, wie etwas das Infektionsschutzgesetz, wurden auf die daraus entstehenden Informationspflichten untersucht, in diesem Fall etwa das Ausstellen eines Impfausweises und die Meldung von Krankheiten.

Insgesamt identifizierten die Statistiker auf diese Weise 371 Informationspflichten: 40 aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), 298 aus der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte und 33 aus der Selbstverwaltung der Zahnärzte. Mithilfe verschiedener Parameter, etwa Zeitaufwand und Häufigkeit der Pflicht, errechnete Destatis die jeweilige Belastung. Außerdem wurden 277 Arzt- und 76 Zahnarztpraxen befragt.

Eines der schwierigsten methodischen Probleme war es laut Wolf-Michael Catenhusen, dem stellvertretenden NKR-Vorsitzenden, die Grenze zwischen Kosten durch die jeweilige Pflicht und solchen Ausgaben, die eine Arztpraxis unabhängig davon hat und die in die Betrachtung nicht einfließen sollten, zu unterscheiden. Im Ergebnis entstehen 2,2 Milliarden Euro der gesamten Bürokratiekosten aus Pflichten der ärztlichen und 1,1 Milliarden Euro aus Pflichten der zahnärztlichen Selbstverwaltung. Aus Auflagen des BMG resultieren knapp 1 Milliarde Euro.

Betrachtet man den Zeitaufwand, müssen sich Ärzte und Zahnärzte insgesamt 14,1 Milliarden Tage im Jahr mit Informationspflichten befassen – das entspricht 96 Tagen pro Arztpraxis. „Eine Halbtagskraft ist ein ganzes Jahr lang mit der Erfüllung dieser Pflichten beschäftigt“, fasst es Destatis-Präsident Roderich Egeler zusammen.

Dr. Günther Buchholz, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), kritisierte: „Zahnärzte sind keine Verwaltungsfachangestellten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wenig.“ Sie müssten schnell von überflüssiger Bürokratie entlastet werden, um Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben zu generieren – die Behandlung ihrer Patienten. Sein Kollege Professor Dr. Christoph Benz, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), gab zu bedenken, dass Mitarbeiter der Praxen „mit hohem Aufwand von der Gesellschaft ausgebildet werden, und zwar nicht, um Verwaltungsaufgaben zu erfüllen, sondern um Patienten zu behandeln.“

Ein besonders Dorn im Auge ist Buchholz etwa die tägliche Hygiene-Dokumentation in den insgesamt 45.000 Praxen. „Pro Jahr wird dadurch so viel Papier beschrieben, dass eine 14 Kilometer lange Reihe von Aktenordnern entstehen würde“, so der KZBV-Vize. Diese Papierflut müsse fünf Jahre lange aufbewahrt werden.

Dabei sind 42 und damit nur 10 Prozent der Informationspflichten für 95 Prozent des Gesamtaufwands verantwortlich. Diese 42 Pflichten nahm Destatis daher genauer unter die Lupe. Ganz vorn steht mit 576 Millionen Euro eine Pflicht aus dem zahnärztlichen Bereich: das Erstellen einer Behandlungsplanung. An zweiter und dritter Stelle stehen Kosten, die durch die Bundesgesetzgebung vorgegeben sind, die Verschreibungspflicht für Arzneimittel (460 Millionen Euro) und die Einheitlichen Bewertungsmaßstäbe (451 Millionen Euro).

Das Ausstellen von Überweisungen verursacht Kosten von 295 Millionen Euro. Auskünfte an Krankenkassen und den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) auf vereinbarten Vordrucken verschlingen 292 Millionen Euro.

Ein Blick auf die drei größten Kostenverursacher macht deutlich, dass sich nicht jedes Problem lösen lässt. „Wir haben uns außerstande gesehen, die Verschreibungspflicht für Arzneimittel einer Optimierung zuzuführen“, sagte Catenhusen. Wie bei der Abrechnung von Leistungen über den EBM liege der hohe Aufwand vor allem an den hohen Fallzahlen.

Ähnlich sah es Dr. Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands: „Die Gesamtsumme kann man nicht als unnötige Bürokratie abtun“, betonte sie. Die Top 3 der Kostenverursacher seien nicht änderbar. Ähnlich bewertete sie Überweisungen sowie Heil- und Kostenpläne. Pfeiffer betonte zudem, „dass Bürokratie – verstanden als hilfreiches Verwaltungsmanagement – unverzichtbar ist“.

Die von Ärzten und Kassen gemeinsam entwickelten Standards und Formulare würden dabei helfen, Patienten koordiniert und schnell zu versorgen, ist Pfeiffer überzeugt. Trotzdem sei es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob alle Formulare tatsächlich notwendig seien oder ob es auch einfacher gehe.

Der NKR hat sich in einem zweiten Schritt die 42 aufwendigsten Informationspflichten genauer angeschaut. Für 20 haben sich NKR, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), KZBV, BZÄK, GKV-Spitzenverband, BMG, Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), die Geschäftsstelle Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt (GBü) und Destatis auf Handlungsempfehlungen verständigt.

So soll beispielsweise die Verschreibung von Betäubungsmittel (BtM) vereinfacht werden. Da das BtM-Rezept zwei Durchschläge habe, müssten Nadeldrucker eingesetzt werden. Für Ärzte, die sonst Laserdrucker verwendeten, sei dies mit zusätzlichem Aufwand verbunden, so die Kritik. Die Drucker seien zudem wegen der hohen Kosten, der Lärmbelastung und Problemen bei der Anbindung an die Praxissoftware unbeliebt. Nun soll ein Verfahren gefunden werden, bei dem Laserdrucker eingesetzt werden können, etwa ein Formular mit abtrennbaren Abschnitten – die allerdings jeweils unterschrieben werden müssten.

Bei anderen Informationspflichten ist man schon weiter: Derzeit werden etwa die Formulare für eine Krankschreibung vereinheitlicht – bislang gibt es je nach Kasse unterschiedliche Papiere. In dieser Sache wurde laut Pfeiffer bereits eine Vereinbarung getroffen, die ab Januar umgesetzt werden soll. Dann soll es auch eine Kopie für Patienten geben. Auch bei der medizinischen Rehabilitation soll es einfacher werden. Sind sich Ärzte sicher, dass eine Krankenkasse und nicht die Rentenversicherung Kostenträger ist, sollen sie die medizinische Reha künftig direkt verordnen können – und können auf den bislang notwendigen „Antrag zum Antrag“ verzichten.

Catenhusen sieht auch das geplante E-Health-Gesetz als Chance für eine Entbürokratisierung: Da alle Formulare auf ihre IT-Tauglichkeit hin überprüft werden müssten, könnten auch mit Blick auf Vereinfachungen betrachtet werden. Die KBV-Vorsitzende Regina Feldmann will ein Normerprobungsverfahren einführen, um Vorschläge zur Entbürokratisierung regional testen zu können. So sei künftig eine stärkere Rückkopplung mit den Praxen möglich.

Wie groß die Einsparungen bei den Ärzten und Zahnärzten insgesamt sein können, lässt sich derzeit noch nicht absehen – die Handlungsempfehlungen sind bislang nur Grundlagen für weitere Verhandlungen. Catenhusen geht jedoch davon aus, dass Einsparungen im dreistelligen Millionenbereich möglich sind.

Gesundheitsstaatssekretär Lutz Stroppe zeigte sich optimistisch, das Prozesse vereinfacht werden könnten. Er wandte aber ein, dass es ein Spannungsverhältnis gebe – zwischen Papierkram, der abgearbeitet werden müsse, und dem, was zu Qualität der Versorgung und zur Sicherheit der Patienten beitrage. Behandlungsplan, Verschreibungspflicht, EBM und Überweisungen machten zwar 1,7 Milliarden Euro aus – aus seiner Sicht wird sich daran aber nichts ändern. Stroppe hofft dennoch, dass Zeit gewonnen und für die Patienten eingesetzt werden kann.

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