Ärzte fordern Dispensierrecht, trommeln für Versandhandel APOTHEKE ADHOC, 22.09.2021 13:46 Uhr
In Baden-Württemberg starten Grippeimpfungen in Apotheken, reflexartig verspritzt daher auch hier die Kassenärztliche Vereinigung (KV) eine ordentliche Portion Gift: Der Vorstand fordert die Politik auf, die Selbstdispensation durch Ärztinnen und Ärzte zu ermöglichen. Gleichzeitig werden die Praxen aufgefordert, ihren Sprechstundenbedarf online zu bestellen und bei ihren Patient:innen für den Versandhandel zu werben.
Vorstandschef Dr. Norbert Metke sagte dazu am Dienstag in Stuttgart: „Es ist heute niemandem mehr zu vermitteln, dass insbesondere im Notfalldienst die Ärztinnen und Ärzte an den Wochenenden, Feiertagen oder in der Nacht im Rahmen eines Hausbesuchs ein Rezept ausstellen, dann den Patientinnen und Patienten aber zumuten, noch irgendwo in eine Apotheke zu fahren, um sich das Medikament zu besorgen.“ Gerade für Alleinerziehende, ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder auch Behinderte sei es mehr als schwierig, damit umzugehen.
Metke: „Gleiches gilt, wenn zu den normalen Sprechstundenzeiten Hausbesuche vorgenommen werden. Auch hier sprechen wir über Patientinnen und Patienten, die das Haus nicht verlassen können. Wenn die Ärztinnen und Ärzte hier die zehn am häufigsten benötigten Arzneimittel direkt ausgeben könnten, könnte der Großteil des Bedarfs damit gedeckt werden. Kostengünstig, bequem und ohne zusätzliche Kosten.“
Der KV-Chef macht keinen Hehl daraus, dass die Grippeimpfungen in den Apotheken der eigentliche Auslöser für seine Forderung sind: „Wenn die Versorgung durch Aufhebung der Sektorengrenzen verbessert werden soll, kann dies keine Einbahnstraße sein.“
Gleichzeitig spricht er sich aber eigentlich dafür aus, dass jeder Heilberuf das tun sollte, „was er erlernt hat und kann“. Ganzheitliche Medizin und insbesondere der Impfschutz müssten im Ganzen gesehen werden. „Das können nur diejenigen, die das Ganze gelernt haben und das sind die Ärztinnen und Ärzte. Bisher haben wir bei den Grippeschutzimpfungen Versorgungsengpässe vor allem durch Impfskepsis und nicht ausreichend vorhandenem Impfstoff erkannt, ärztliche Termine standen hinreichend zur Verfügung.“
Vorstandskollege Dr. Johannes Fechner legt noch einen obendrauf: Die Erfahrungen aus der Pandemie zeigten, dass die Digitalisierung zu deutlichen Verbesserungen führen könne. „Die Videosprechstunde hat eine große Zahl an direkten Arztbesuchen ersetzt. Das hat für die Patientinnen und Patienten eine große Erleichterung zur Folge gehabt. Die positiven Erfahrungen setzen wir fort, die Videosprechstunde wird auch künftig ein fester Bestandteil der Versorgung sein. Dementsprechend sollten auch Internetangebote für Arzneimittel, also Online-Apotheken gestärkt werden. Insbesondere Patientinnen und Patienten, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, sollten durch die Ärztinnen und Ärzte auf diese Möglichkeit hingewiesen werden.“
Aber nicht nur das: „Auch unsere Mitglieder sollten prüfen, ob sie ihren Sprechstundenbedarf insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebotes, nicht auch über Internetangebote decken und damit gegebenenfalls günstiger beziehen könnten. Angesichts der Kostensteigerungen in diesen Bereichen und des damit verbunden erhöhten Risikos eines Regresses bietet sich das an.“
Für den Vorstand ergibt sich aus diesen Themen eines der Aufgabengebiete für die neue Bundesregierung. Gleichzeitig kündigte der Vorstand an, in Bezug auf das Dispensierrecht, insbesondere im Notfalldienst, eine entsprechende Petition an den Deutschen Bundestag zu prüfen und eine Informationskampagne der Patientinnen und Patienten zum „barrierearmen Bezug von Medikamenten“ auch für nicht verschreibungspflichtige Medikamente vorzubereiten.
Erst im Juli hatte die Vorsitzende des Hausärzteverbands ihre Kolleg:innen zum Boykott der am dortigen Impfprojekt teilnehmenden Apotheken aufgefordert. „Sprechen Sie jetzt mit Ihrer Apotheke vor Ort, ob Sie ein Impfangebot in der Apotheke wirklich mittragen können“, so Dr. Barbara Römer. „Denken Sie bitte daran, dass Sie beispielsweise. die Möglichkeit haben, auch in anderen Apotheken Ihren Sprechstundenbedarf und alle Impfstoffe zu bestellen, und dergleichen mehr. Schulungen für Apotheken werden aus der Ärzteschaft gestemmt werden: Auch hier sollte jeder gut abwägen, inwieweit man aktiv an der Substitution unseres Berufsstandes mitwirken möchte.“