Ärzte erproben elektronisches Rezept Lothar Klein, 07.03.2018 14:31 Uhr
In Baden-Württemberg dürfen erstmals in Deutschland elektronische Rezepte ausgestellt werden. Im Rahmen des Modellprojekts DocDirekt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KV) genehmigte jetzt Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) das Ausstellen von Rezepten bei telemedizinischen Behandlungen. Seit dem sogenannten „DrEd-Verbot“ ist Apothekern eigentlich die Bedienung von Rezepten aus Online-Apotheken untersagt.
„Das Ministerium für Soziales und Integration begrüßt die baden-württembergischen Modellprojekte zur Fernbehandlung ausdrücklich. Solche Ansätze können künftig einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die ärztliche Versorgung auch in Zukunft auf qualitativ hohem Niveau in der Fläche des Landes zu erhalten. Das Ministerium wurde von den Projektdurchführenden angefragt, ob im Rahmen der bundesweit einzigartigen Modelle auch elektronische Rezepte über verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgestellt werden dürfen. Wir halten dies im Rahmen einer modellhaften Erprobung gemäß der in den bundesrechtlichen Vorschriften angelegten Ausnahmetatbestände für zulässig“, so das Ministerium.
Beim Symposium „Telemedizin - Digitalisierung in Medizin und Pflege“ stellte sich auch Minister Lucha ausdrücklich hinter das E-Rezept: „Ich sehe hier große Chancen für den Einsatz digitaler Technologien, zum Beispiel in der Telemedizin, der sektorenübergreifenden Versorgung, bei der elektronischen Patientenakte oder in der häuslichen Pflege.“ Baden-Württemberg positioniere sich derzeit erfreulicherweise als bundesweiter Vorreiter, beispielsweise wenn es um Modellversuche zur Video-Sprechstunde gehe. Lucha: „Mein Haus hat geprüft, dass im Rahmen der Modellprojekte auch E-Rezepte ausgestellt werden dürfen.“
Die rechtliche Begründung holt allerdings weit aus: Nach dem Wortlaut des Arzneimittelgesetzes (AMG) sei eine Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne einen offenkundigen Arzt-Patienten-Kontakt dem Grundsatz nach nicht zulässig“, schreibt das Sozialministerium in einer Stellungnahme. Allerdings gebe es darin eine „Öffnungsklausel, nach welcher in begründeten Ausnahmefällen von diesem Grundsatz abgewichen werden kann, insbesondere, wenn die Person dem Arzt oder Zahnarzt aus einem vorangegangen direkten Kontakt hinreichend bekannt ist und es sich um die Wiederholung oder die Fortsetzung der Behandlung handelt“.
Die Landesregierung vertritt in Bezug auf die Öffnungsklausel die Auffassung, dass durch die „insbesondere“-Formulierung auch begründete Ausnahmefälle möglich sind, die einer Wiederholung oder Fortsetzung einer Behandlung gleichstünden. In der Begründung stelle der Gesetzgeber nämlich fest, dass Ausnahmen möglich seien, wenn „das Vorgehen einer gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft“ entspreche.
Werde dieser medizinisch-wissenschaftliche Standard im Rahmen einer Fern-/Erstbehandlung mittels Internet und/oder Telefon auch unter Beachtung der allgemeinen berufsrechtlichen Pflichten bei der Ausübung des Arztberufs eingehalten, gehe das Ministerium davon aus, dass ein begründeter Ausnahmefall vorliegt, der eine Abweichung vom Grundsatz des unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakts zulässt.
Keine Probleme sieht Lucha auch mit dem Werbeverbot für ärztliche Leistungen: Die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit für das DocDirekt-Modellprojekt ziele nicht auf die „Absatzsteigerung“ von ärztlichen Dienstleitungen. Auch Krankschreibungen im Rahmen der Telemedizin hält der Ministerium für zulässig.
Neben dem DocDirekt-Modellprojekt und der Telemedizin in Gefängnissen hat die KV in Baden-Württemberg jetzt auch einem kommerziellen Anbieten eine Genehmigung erteilt: Der deutsche Ableger des schwedischen Gesundheitsversorgers KRY, mit dem auch McKesson in Schweden kooperiert, darf im Rahmen eines Modellprojektes baden-württembergischen Bürgern die Fernbehandlung anbieten. Dafür arbeitet KRY mit Ärzten des Landes zusammen, die insbesondere eine hausärztliche/allgemeinmedizinische Qualifikation haben. Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient erfolgt laut KV live über Video in einer Smartphone- oder Tablet-App.
KRY arbeite in Skandinavien und Spanien bereits mit einem Team von mehr als 200 behandelnden Ärzten und hat mit über 250.000 Behandlungen umfassende Expertise in der Durchführung von Videosprechstunden, so die KV. „Wir freuen uns sehr, dass zu den bisher schon genehmigten zwei Modellprojekten nun zwei weitere hinzukommen. Arzt und Patient können sich auf Distanz begegnen, und der Mediziner darf eine individuelle Diagnose stellen und die Therapie einleiten“, der Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Dr. Ulrich Clever.
Im Sommer 2016 hatte die Landesärztekammer Baden-Württemberg – bundesweit bis heute einmalig – ihre Berufsordnung geändert, um die ausschließliche ärztliche Fernbehandlung im Rahmen von Modellprojekten zu ermöglichen. Bis dahin hatte die ärztliche Berufsordnung die ausschließliche Behandlung über Kommunikationsnetze untersagt. Telemedizin durfte nur mit Bestandspatienten erfolgen, also mit Patienten, die der Arzt bereits kannte. Im Oktober 2017 genehmigte die Ärztekammer Baden-Württemberg das bundesweit erste Modellprojekt zur ausschließlichen Fernbehandlung von Privatversicherten, das von Teleclinic aus München getragen wird. Im Dezember 2017 erhielt die KV Baden-Württemberg die Genehmigung, die ausschließliche Fernbehandlung von Kassenpatienten zunächst in den Modellregionen Tuttlingen und Stuttgart zu erproben.