Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Einführung des E-Rezepts geregelt. Spätestens Ende 2020 sollen alle Apotheken an die Telematikinfrastruktur (TI) der Gematik angeschlossen sein und elektronische Verordnungen abwickeln können. Im Ärztelager ist jetzt trotzdem eine Debatte über die Erfolgsaussichten entbrannt, weil das Gesetz keine E-Rezept-Pflicht vorschreibt.
Mit Rücksicht auf die traditionellen Gewohnheiten und Probleme älterer Patienten im Umgang mit der Digitalisierung hatte Spahn ausdrücklich auf eine E-Rezept-Plicht verzichtet und übergangsweise ein Nebeneinander von Papierrezept und eRezpt zugelassen. Außerdem soll das E-Rezept im ersten Schritt nur für „nomale“ Verordnungen eingeführt werden. Elektronische BtM-Rezepte und Hilfsmittelverordnungen folgen später.
In der Ärztezeitung wird nun diskutiert, ob Ärzte dadurch zu Bremsern für die neue Anwendung werden könnten? „Werden die Ärzte das E-Rezept, sobald es eingeführt ist, auch tatsächlich nutzen? Oder müssen sie dafür mit Sanktionen bedroht werden? Und folglich: Brauchen Patienten einen Anspruch, den sie durchsetzen können?“, fragt die Hauszeitung der Ärzte.
Derzeit sei keine Verpflichtung der Ärzte vorgesehen, es gebe keinen Anspruch von Versicherten, so hatte es kurz zuvor die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ihren Mitgliedern unter Berufung auf das Bundesgesundheitsministerium (BMG) informiert. Der GKV-Spitzenverband, der nach Inkrafttreten des GSAV die Umsetzung des E-Rezepts mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung innerhalb von sieben Monaten aushandeln soll, argumentiert hingegen anders: „Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes ist das elektronische Rezept eine Pflichtanwendung – auch für Ärzte“, teilte der Kassenverband der Ärztezeitung“.
„Das dauerhafte Nebeneinander von Papier-Rezept und E-Rezept wäre zudem höchst unwirtschaftlich: Doppelstrukturen würden auf Dauer aufrechterhalten.“ Zudem würden die Chancen der Digitalisierung und der damit verbundenen Verbesserungspotentiale vertan: weniger Rückfragen beim Arzt durch den Apotheker, bessere Qualität der Daten und damit schnellere Abrechnung für die Leistungserbringer, schreibt der Spitzenverband.
KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel versucht derweil die aufgeregte Debatte einzudämmen: „Eine allgemeine Pflicht zur Ausstellung des E-Rezepts geht völlig an der Realität vorbei. Wir werden das Papierrezept weiter brauchen, bei Haus- und Heimbesuchen und in Notfällen beispielsweise.“ Auch weniger technikaffine Patienten könnten so in Zukunft weiterhin ein Papierrezept erhalten, so Kriedel in einem Video der ärztlichen Körperschaft. Aber das E-Rezept werde sich „früher oder später durchsetzen, dazu brauchen wir keine Verpflichtung oder Sanktionen“.
Für Kriedel entscheidend ist die Anwenderfreundlichkeit der Abläufe. Wenn für jedes E-Rezept der elektronische Arztausweis ins Lesegerät gesteckt, die PIN eingegeben und dann auf die Reaktion des Servers gewartet werden müsse – Kriedel: „Das kann zehn bis 15 Sekunden dauern“ – dann würde das den Praxisbetrieb zu sehr aufhalten, fürchtet die KBV schon seit Monaten. Auch die Abläufe, wie das Rezept über die TI auf den Server komme und dort vom Versicherten in seiner Wunsch-Apotheke abgeholt werden könne, seien noch nicht geklärt. Zunächst müssten auch die Apotheker noch an die TI angeschlossen werden.
Ausgelöst hatte die E-Rezept-Debatte im Ärztelager ein Bericht des „Handelsblattes“. Unter der Überschrift „Zweifel am Erfolg des E-Rezepts wachsen“ hatte das Handelsblatt gefragt, ob der Mehrwert des E-Rezepts tatsächlich bei allen Versicherten ankommen wird. Denn aus einem Dokument des BMG, das dem Handelsblatt vorliege, gehe hervor: Die Entscheidung, ob das Rezept digital oder auf Papier ausgestellt werde, liege letztlich beim Arzt.
„Eine Verpflichtung der Ärztinnen und Ärzte zur Ausstellung eines E-Rezepts oder ein diesbezüglicher Anspruch des Versicherten besteht derzeit nicht“, habe Spahns Digitalisierungsbeauftragter Gottfried Ludewig in einem auf den 4. Juli 2019 datierten Brief an die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geschrieben. Die Ärzte sollten aber „unter Berücksichtigung des individuellen Patientenwunsches die für die konkrete Behandlung geeignete Rezeptform wählen“. Dass Ludewig damit nur die im GSAV enthaltenen Vorschriften wiedergab, schrieb das Handelsblatt nicht.
Ob die Mediziner der freundlichen Aufforderung nachkommen werden, sei ungewiss, so die Zeitung weiter. Denn eine Minderheit in der Ärzteschaft stemme sich vehement gegen die Digitalisierung. Als Kronzeugin diente dem Handelsblatt die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink: „Wenn Ärzte selbst über die Rezeptform entscheiden sollen, dann wird es noch hundert Jahre dauern bis das elektronische Rezept flächendeckend zur Verfügung steht.“ Spahn müsse in diesem Punkt unbedingt nachbessern. „Patientinnen und Patienten brauchen einen gesetzlichen Anspruch auf die Ausstellung eines elektronischen Rezepts, sobald die Telematikinfrastruktur funktionsfähig ist. Dann können sie selbst zwischen Papier- und E-Rezept wählen.“
APOTHEKE ADHOC Debatte