Versorgungssicherheit und Umweltschutz waren zwei Gründe, warum die AOK Antibiotika gesondert ausgeschrieben hat. Nicht nur der Preis sollte eine Rolle spielen, sondern auch die Lieferkette sowie Umwelt- und Arbeitsschutz. Doch mehrere Hersteller gingen gegen die Ausschreibung vor – und erhielten vor der Vergabekammer des Bundes Recht.
Laut Ausschreibung sollten Firmen einen Vorteil erhalten, die eine „geschlossene Lieferkette in der EU, in GPA-Unterzeichnerstaaten beziehungsweise in der Freihandelszone der EU“ nachweisen können: Um 8 Prozent konnten die Bieter ihre Gesamtwirtschaftlichkeitszahl aufbessern, wenn der gesamte Herstellungs- und Verarbeitungsprozess – beginnend mit der Herstellung aus Grundstoffen bis Verblisterung und Abfüllung – die Anforderungen erfüllt.
Mehrere Firmen versuchten die Ausschreibung per Nachprüfungsverfahren zu stoppen, darunter solche wie Accord, die ihre Ware vom indischen Mutterkonzern beziehen. Die federführende AOK Baden-Württemberg reagierte säuerlich – offenbar verlief schon die mündliche Verhandlung anders als erhofft. Mit Beschluss vom 3. Dezember untersagte die Vergabekammer der Kasse, Zuschläge zu erteilen, und verpflichtete sie, das Vergabeverfahren neu aufzurollen.
Laut Vergabekammer ist das Zuschlagskriterium der „geschlossenen EU- Lieferkette“ kein objektives und damit geeignetes Kriterium, das eine willkürfreie Zuschlagserteilung unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ermöglicht.
Zwar könnten Auftraggeber auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen; die müsse jedoch diskriminierungsfrei erfolgen. Alleine am Produktionsstandort könnten die gewünschten Unterscheidungsmerkmale wie mehr Versorgungssicherheit und höhere Umwelt- und Sozialstandards nicht festgemacht werden: Einerseits würden Hersteller aus anderen als den vorgegebenen Ländern pauschal ausgeschlossen, andererseits regelten Handelsabkommen keine Sozial- und Umweltstandards, sodass diese alleine durch den Firmensitz in einem entsprechenden Land nicht garantiert werden könnten. „Insoweit vermögen auch die Auftraggeber die Geltung einheitlicher und damit vom Schutzniveau her vergleichbarer Versorgungs-, Umwelt- und Sozialstandards in den Unterzeichnerstaaten der vorgenannten Abkommen nicht zu belegen, was angesichts der großen geographischen Breite der von den Abkommen erfassten Staaten auch kaum möglich sein dürfte.“
Die Kriterien des Zuschlagskriteriums „Lieferkette“ beinhalten daher laut Vergabekammer eine Ungleichbehandlung der Bieter und ist nicht geeignet, einen sachgerechten Vergleich der Angebote zu gewährleisten. Dass die Lieferung von Produkten aus Drittstaaten nicht generell ausgeschlossen, sondern nur abgestuft wird, spielt demnach keine Rolle: „Es handelt sich aber um einen wirkungsgleichen Effekt, wenn Produkte aus Drittländern mit einem Wertungsmalus versehen werden und damit der Marktzutritt jedenfalls erschwert wird beziehungsweise je nach Grad des verhängten Malus die Wirkung einer faktischen Zurückweisung haben kann.“
Angehörige aus Drittstaaten hätten zwar keinen „garantierten Zugang“ zu Vergabeverfahren in der EU; vielmehr könnten von ihnen etwa bestimmte Umwelt- und Sozialstandards verlangt werden, auch wenn diese nach vor Ort geltendem Recht nicht verpflichtend sind. „Auch hierbei dürfen Bietern oder Waren aus Drittländern aber nicht strengere Pflichten auferlegt werden als Bietern aus EU- oder GPA-Staaten oder Staaten, mit denen EU-Freihandelsabkommen bestehen“, so die Vergabekammer mit Verweis auf Leitlinien der EU-Kommission. Die Zuschlagskriterien müssten stets klar, gleich und vom Herkunftsort unabhängig sein.
Vor allem aber war aus Sicht der Vergabekammer die Ausschreibung der AOK schlecht formuliert. „Denn an einem bestimmten Standort allgemein geltende Sozial- und Umweltstandards gehören nicht zum spezifischen Prozess der Herstellung der ausgeschriebenen Ware oder Leistung. Es handelt sich vielmehr um gesetzliche Rahmenbedingungen, die je nach Standort variieren können, letztlich aber durch ein Unternehmen, das bereits eine Standortentscheidung getroffen hat, bei der Erfüllung des ausgeschriebenen Auftrags nicht mehr beeinflusst werden können.“
Damit handele es sich nicht um auftragsbezogene, sondern um unternehmensbezogene Anforderungen. „Letztere sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zwar nicht generell unzulässig, werden aber vergaberechtlich anders verortet, nämlich bei den Eignungskriterien“, so die Vergabekammer. „Denn der Produktionsort haftet nicht der Leistung als solcher unmittelbar an, sondern er ist das Ergebnis einer unternehmerischen Entscheidung über die geographische Allokation der Ressourcen, die dem Bereich der generellen, also gerade nicht auf den konkreten Auftrag bezogenen Unternehmenspolitik zuzurechnen ist. Damit spricht bereits der Umstand, dass der Produktionsort einer Lieferleistung eine unternehmenspolitische und damit unternehmensbezogene Eigenschaft darstellt, gegen eine Einordnung des Produktionsstandortes als Zuschlagskriterium.“
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