Die neue EU-Richtlinie zur Abwasserbehandlung könnte massive Auswirkungen auf die Produktion und Verfügbarkeit von Medikamenten in Deutschland und Europa haben. Mehrere große Pharmaunternehmen ziehen deshalb vor Gericht – mit Unterstützung von Pharma Deutschland.
Pharma Deutschland und sechs Mitgliedsunternehmen wollen juristisch gegen die europäische Kommunalabwasserrichtlinie (Urban Waste Water Treatment Directive / UWWTD) vorgehen. Dazu haben die Mitgliedsunternehmen Dermapharm, Fresenius-Kabi, Hameln Pharma, Puren Pharma, Sandoz/Hexal und Teva Klagen beim Gericht der Europäischen Union erhoben. Pharma Deutschland plane nun, diesen Klagen als Streithelfer beizutreten und damit seine Mitgliedsunternehmen juristisch zu unterstützen. Dafür wolle der Verband einen entsprechenden Antrag beim Gericht der Europäischen Union stellen.
Gegenstand der Regelungen der europäischen Kommunalabwasserrichtlinie seien die größtenteils aus privaten Haushalten stammenden Abwässer. Diese seien oft mit Spurenstoffen belastet. Dabei handele es sich unter anderem um Abbauprodukte von Arzneimitteln, die durch menschliche Ausscheidungen entstünden und bei jedem Toilettengang ins Abwasser gelangten.
Aus Sicht der klagenden Unternehmen verstoße ein zentraler Aspekt der europäischen Kommunalabwasserrichtlinie gegen geltendes EU-Recht und müsse daher zurückgenommen werden. Dabei handele es sich laut Pharma Deutschland um die sogenannte „erweiterte Herstellerverantwortung“, auf deren Grundlage die europaweite Finanzierung des Aufbaus und Betriebs einer zusätzlichen Klärstufe für kommunale Kläranlagen erfolgen solle.
„Die europäische Abwasserrichtlinie hat eklatante Mängel. Sie betreffen die Grundannahmen, die Datengrundlage, die operative Umsetzung und die Kostenabschätzung, die den Regelungen zur erweiterten Herstellerverantwortung zugrunde liegen“, erklärt Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland. „Wir sehen in der Richtlinie Verstöße gegen EU-Recht und eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort und die Versorgung mit Human-Arzneimitteln in Deutschland und Europa.“
Die Unternehmen argumentierten unter anderem, dass sich die Regelungen zur erweiterten Herstellerverantwortung nicht auf das Verursacherprinzip nach Artikel 191 (2) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stützen ließen. Die beklagte Richtlinie lege fest, dass mindestens 80 Prozent der Kosten für Bau und Betrieb der vierten Klärstufe nach dem Verursacherprinzip auf die Hersteller von Human-Arzneimitteln und Kosmetika umgelegt werden sollten.
Damit solle ein Anreiz gesetzt werden, auf ökologischere beziehungsweise nachhaltigere Produkte umzustellen. Diese Lenkungsfunktion des Verursacherprinzips könne bei Human-Arzneimitteln jedoch nicht erreicht werden, weil der gewünschte Effekt von Arzneimitteln fest mit den jeweiligen Wirkstoffen verbunden sei. Darüber hinaus ließen sich die zu beseitigenden Spurenstoffe in den kommunalen Abwässern keineswegs nur auf Human-Arzneimittel oder Kosmetika zurückführen.
Durch die finanzielle Mehrbelastung der Pharmaunternehmen drohe eine Situation, in der sich viele Arzneimittel nicht mehr kostendeckend in Deutschland oder Europa vertreiben ließen. „Die Richtlinie würde einen Dominoeffekt haben und den strategischen Zielen einer stabilen EU-Arzneimittelversorgung und Reduzierung von Abhängigkeiten aus dem Ausland konträr gegenüberstehen“, warnt Brakmann. Dies würde auch gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung bereits bestehender Lieferengpässe zuwiderlaufen.
Auch Zentiva hat beim Gerichtshof der Europäischen Union Klage gegen die Richtlinie eingereicht. Die Umsetzung der Richtlinie würde zu einer Verknappung von Medikamenten führen und schlussendlich diejenigen, die auf diese Produkte angewiesen seien, im Stich lassen, warnt das Unternehmen. „Europa braucht eine Gesetzgebung, die funktioniert. Als führendes europäisches Unternehmen, das sich der Entwicklung, Produktion und Lieferung hochwertiger und erschwinglicher Arzneimittel verschrieben hat, betrachten wir die Richtlinie als diskriminierend und unverhältnismäßig“, erklärt Steffen Saltofte, CEO von Zentiva.