Es brodelt in der ABDA – mal wieder, wie jedes Jahr vor der Mitgliederversammlung. Die Berliner Zentrale fordert von Kammern und Verbänden mehr Geld und hüllt sich zugleich zu allen wichtigen politischen Fragen in Schweigen. Das treibt den Blutdruck an der Basis in den roten Bereich. In den zurückliegenden Jahren erwies sich die Kritik an der ABDA-Arbeit stets als Sturm im Wasserglas. 2018 geht es um mehr. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt muss reagieren, Kammern und Verbände verlangen Antworten und Orientierung.
Am 28. Juni treffen im Lindencorso zwei Apothekerwelten aufeinander. In vielen Mitgliedsorganisationen stapelt sich die Kritik an der Arbeit der ABDA in Berlin. Es fehlen Informationen über so gut wie alle wichtigen Fragen: Wie geht es mit der Digitalisierung weiter? Wie stehen die Gespräche über das Rx-Versandverbot mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)? Wie sollen Kammern und Verbände mit dem elektronischen Rezept umgehen? Wie läuft es mit dem Anschluss an die Telematik-Infrastruktur?
„Das einzige, was bei der ABDA öffentlich ist, ist der Bau des neuen Apothekerhauses“, heißt es sarkastisch. Eine Videokamera berichtet live und 24 Stunden vom Baugeschehen an der Heidestraße in Berlin. Damit hat die Transparenz aber auch schon ihr Ende: Die ABDA ziehe sich stets auf die Beschlusslage zurück: 8,35 Euro beim Honorar, Rx-Versandverbot als Antwort auf das EuGH-Urteil und Einstieg in die Zusatzhonorierung von Dienstleistungen.
Das können zwar Kammern und Verbänden mittragen. Aber es fehlen dort die politischen Zwischentöne, die Präsenz der ABDA bei allen politischen Themen. Warum war die ABDA kürzlich beim Digitalisierungsgipfel bei Spahn nicht eingeladen, will man an der Basis wissen. Warum erhalten Kammerpräsidenten und Verbandsvorsitzenden keine Informationen über die politische Lobbyarbeit der ABDA in Berlin? „Wenn alles gut ist, wie immer behauptet wird, warum darf man darüber nicht reden?“, fragen sich Verantwortliche in den Mitgliedsorganisationen. Auch bei der jüngsten Telefonkonferenz der Präsidenten und Verbandschefs mit Schmidt blieb alles vage, gab es keine zufriedenstellende Auskunft.
„Die Politik der Nullinformation können wir uns nicht länger gefallen lassen“, heißt es. „Niemand weiß, was die ABDA in Berlin tut.“ Die Forderung nach höheren Beiträgen von Kammern und Verbände passe nicht zum Output der Berliner Zentrale. Als ein Beispiel wird der Heilberufeausweis angeführt: Bei „Medisign“ können sich andere Heilberufe bereits anmelden, nur die Apotheker nicht. Warum? Wie steht es mit dem Anschluss der Apotheken an die Telematik-Infrastruktur, will man wissen. Der DAV hat sich mit dem GKV-Spitzenverband über die Finanzierung geeinigt. An der Basis weiß man nichts darüber, wie viel Geld die Apotheker für den Kauf der neuen Konnektoren erhalten werden.
Außerdem haben einige Mitgliedsorganisationen den Eindruck, dass engagierte politische Lobbyarbeit auf Landesebene bei der ABDA in Berlin nicht erwünscht ist. Es gebe weder Unterstützung noch Rückkopplung mit Berlin. Abstimmungsversuche laufen ins Leere, hört man. Auf E-Mails reagiert die ABDA nicht. „Closed Shop im Lindencorso, ich bin erstaunt, in welchem Seelenfrieden die ABDA vor sich hin werkelt“, wundert sich ein Verantwortlicher.
Kritik gab es aus den Mitgliedsorganisationen auch zur Kommunikation der ABDA bezüglich des Honorargutachtens von 2hm. Die bestand in erster Linie nämlich aus Schweigen – auch gegenüber den Kammern und Verbänden. Der Grundgedanke im Apothekerhaus: Im Koalitionsvertrag wurden die Apotheker nur im Zusammenhang mit dem Sicherheitssystem Securpharm und dem Rx-Versandverbot erwähnt, von einer Honorarreform war keine Rede. Die wollte man nicht über eine Befassung mit dem Honorargutachten lostreten.
In den Mitgliedsorganisationen wurden die Risiken dieser Strategie gesehen und auch an die ABDA zurückgespielt. Sich kategorisch nicht zum Gutachten zu äußern, bedeute im Umkehrschluss, in dieser Legislaturperiode keine Honorarforderung mehr zu stellen, mahnte etwa die Apothekerkammer des Saarlandes. Dies sei den Kollegen aber nicht vermittelbar – zumal die inhaltlichen Schwächen im 2hm-Gutachten einer Honorarerhöhung gar nicht entgegen stünden.
Im Saarland fühlt man sich von der ABDA im Stich gelassen. Der Kammervorstand bewertete es noch im April als sehr kritisch, „dass sich die ABDA weiterhin weigert, die Mitgliedsorganisationen schriftlich mit Argumenten gegen das Honorargutachten zu versorgen“. Von der ABDA wurde eine Stellungnahme verlangt.
Das Grummeln an der Basis ist Schmidt natürlich auch zu Ohren gekommen. Bei der Mitgliederversammlung will er den Unmut aufgreifen. Man könne die Sorgen und Zweifel der Mitgliedsorganisationen verstehen, heißt es bei der ABDA. Es gebe aber keinen Grund zur Sorge, „es läuft alles nach Plan“.
Nach dem Regierungswechsel habe man zunächst mit der neuen Führung im Bundesgesundheitsministerium ein „Vertrauensverhältnis“ aufbauen müssen. Das braucht seine Zeit. Zwar ist Minister Jens Spahn (CDU) für die ABDA-Führung ein alter Bekannter, aber nach drei Jahren Abstinenz von der Gesundheitspolitik als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium habe sich Spahn erst mal wieder updaten müssen. Seit Ende April befinde man sich in intensivem Meinungsaustausch: zum Honorar, zum E-Rezept, zur PTA-Ausbildung und natürlich zum Rx-Versandverbot. Details zum Stand der Gespräche will Schmidt auch auf der Mitgliederversammlung nicht preisgeben.
Im Stillen hat die ABDA ihre Linie zum Rx-Versandverbot modifiziert, die Argumentation von der Instrumenten- auf die Zieldiskussion verlagert: Es sei nie ausschließlich um ein Rx-Versandverbot gegangen, sondern um Gleichpreisigkeit. Zuerst hatte DAV-Chef Fritz Becker den Schwenk auf dem BPI-Unternehmertag im März öffentlich gemacht. Zwar hält man bei der ABDA das Rx-Versandverbot immer noch für das beste Mittel. Aber was kann Gleichpreisigkeit sonst noch bedeuten?
Zuversichtlich ist man bei der ABDA, dass mit Spahn ein Einstieg in die Honorierung zusätzlicher Dienstleistungen gelingt. Auch über die PTA-Ausbildung wird gesprochen – nicht nur über die bundesweite Kostenfreiheit, Spahn will die Inhalte der PTA-Ausbildung neu justieren. Auch hier möchten Kammern und Verbände erfahren, wohin die Reise geht. Immerhin galt bislang der Grundsatz, keine „Apotheker light“ ausbilden zu wollen.
Und wo steht die ABDA beim Thema Digitalisierung? Man habe einen Beschluss zum E-Rezept gefasst, lautet die Standardantwort. Wichtig sei, dass die Apothekenwahlfreiheit beim Patienten verbleibt und die Daten sicher übermittelt werden. Die ABDA will die Regeln bestimmen. Operative Dinge wie die Übermittlung des E-Rezepts vom Arzt zum Apotheker oder die Entwicklung von Apps und Modellen zur Plattformökonomie will die ABDA dem Markt überlassen.
Während die ABDA in sich ruht, haben sich andere längst auf den Weg gemacht, die Digitalisierung der Apothekenwelt voranzutreiben. Die digitale Rezeptsammelstelle ist dabei allenfalls eine kurzfristige Übergangstechnik. Die aus der VSA hervorgegangene Noventi-Group versucht, den Apothekenmarkt mit „CallmyApo“ zu erobern. Dabei geht es nur vordergründig um ein Bestell-App. Dahinter lauert das Geschäft mit den Rezept- und Patienteninformationen.
Großhandel, Softwarehäuser und andere finanzstarke Player schmieden derweil Bündnisse für Internetplattformen. Sie wollen Apotheken vernetzen, der Industrie einen direkten Vertriebskanal zum Patienten schaffen, ohne dass der Apotheker mit seiner „Beratungsleistung“ die Patientenentscheidung für ein OTC-Arzneimittel beeinflusst.
„Hier geht es um die Kernkompetenz der Apotheker. Die digitale Welt dreht sich immer schneller und die ABDA schaut zu“, fühlen sich Landesapothekerverbände von der Entwicklung überrollt. „Die ABDA verspielt die Zukunft der Apotheken.“ Die Fragen drängen. Daher ist es keineswegs sicher, dass es bei der ABDA-Mitgliederversammlung so abläuft wie gewohnt: Vorher wird gemeckert, im Saal wird Schmidts politischem Lagebericht dann mit Beifall zugestimmt. „Der Unmut wird sich dieses Jahr schon stärker artikulieren,“ prognostiziert ein Teilnehmer.
Im Vorfeld gab es bereits Warnschüsse: Die Apothekerkammer Nordrhein will – wieder einmal – den ABDA-Haushalt ablehnen. In früheren Jahren setzte sie ihre Drohung nicht um. Auch nicht den Austritt aus der ABDA. Brandenburgs Kammerpräsident Jens Dobbert hat den Eindruck, die ABDA-Führung sei „gemeinschaftlich abgetaucht, man könnte glauben, sie existiert nicht mehr“. Er fordert von der ABDA mehr politisches Profil und Sichtbarkeit: „Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“
Die Kammer Schleswig-Holstein konfrontiert Schmidt gar mit einem Ultimatum: Die ABDA soll „der Berufsöffentlichkeit bis zum 1. September 2018 erläutern, wie man den negativen Entwicklungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene entgegentreten will“. In der Gesundheitspolitik habe ein Zug Fahrt aufgenommen, sagt Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen, „und die ABDA steht noch nicht einmal am Bahnhof“. Am Donnerstag wird sich zeigen, ob Kammern und Verbände ihre Kritik und Sorgen in Beschlüsse fassen – oder ob Schmidt erneut einen Blanko-Scheck zum „Weiter so“ erhält.
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