Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant integrierte Notfallzentren (INZ), sogar eine zweite Offizin soll dort ermöglicht werden. Das Kabinett hat die Notfallreform bereits beschlossen, heute geht das Vorhaben in die Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages. Die Abda spricht sich gegen die Pläne aus und bringt eine Verknüpfung von Notfallpraxis und Warenwirtschaft der Apotheke ins Spiel.
In Deutschland habe sich ein funktionsfähiges und leistungsfähiges Apothekennotdienstsystem etabliert, so die Abda. Die Pläne aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit Zweitapotheken, die an Notfallzentren angebunden sind, bauten Parallelstrukturen auf. Diese widersprechen aus Sicht der Abda dem Anliegen einer besseren Verzahnung im Gesundheitssystem, lösen zusätzliche Kosten aus und sind – soweit sie alternativ ein ärztliches Dispensierrecht vorsehen – auch systemfremd.
Die Standesvertretung befürwortet eine Koordinierung der Systeme durch die Einbindung der Apothekerkammern bei der Organisation der Arzneimittelversorgung in den INZ: „Eine Koordinierung der Arzneimittelversorgung im Zusammenhang mit Integrierten Notfallzentren durch die Apothekerkammern als zuständige Stellen würde es ermöglichen, die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Arzneimittel nach dem Aufsuchen einer Notdienstpraxis sachgerecht und systemkonform zu organisieren.“
„Darüber hinaus gehende Veränderungen halten wir nicht für erforderlich. Eines ärztlichen Dispensierrechts bedarf es nicht“, macht die Abda in ihrer Stellungnahme klar.
Zudem wird eine Ersetzung im § 123 Absatz 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB V) gefordert: „Hierzu ist die für Dienstbereitschaftseinteilung der Apotheken zuständige Behörde einzubinden. Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung gemeinsam mit dem Träger des Krankenhauses, mit dessen Notaufnahme die Notdienstpraxis ein Integriertes Notfallzentrum bildet, sollen zusätzlich mit der in Satz 2 genannten Behörde Maßnahmen vereinbaren, die es der Notdienstpraxis ermöglichen, digital unterstützt Auskunft darüber geben zu können, in welcher nahe gelegenen notdiensthabenden Apotheke die benötigten Arzneimittel verfügbar sind.“
Möglich wäre eine Anbindung an die Warenwirtschaft der Apotheke. Die Notfallpraxis könnte analog zur MSV3-Abfrage zwischen Großhandel und Apotheke eine Verfügbarkeitsanfrage an die notdiensthabenden Apotheken stellen. Bei der letzten Abda-Mitgliederversammlung war mit Blick auf die Lieferengpässe darüber diskutiert worden, die Apotheken zu vernetzen und einen Datenaustausch zu den Beständen zu ermöglichen. Dies wurde aber abgelehnt, insbesondere Geschäftsführer Professor Dr. Martin Schulz war dagegen.
Die Abda fordert zudem eine verstärkte Kommunikation, die Patientinnen und Patienten zielgerichtet an die richtigen Stellen im System der Notfallversorgung lenken soll. Dabei soll etabliert werden, dass die Apotheke die erste Anlaufstelle bei leichten Gesundheitsbeschwerden/Krankheiten im Notdienst ist. Hier seien insbesondere die Mitarbeitenden der Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen in der Pflicht.
So würden Umwege für Patient:innen vermieden und diese gezielt an die den Versorgungsbedarf deckende Stelle verwiesen, der ärztliche Bereitschaftsdienst und INZ entlastet sowie auf wenig effiziente Doppelstrukturen verzichtet. In der Folge erübrige sich das ärztliche Dispensierrecht. Denn laut Plänen des BMG sollen Ärzt:innen der Notfallpraxen Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte selbst abgeben dürfen, wenn kein Vertrag mit einer Apotheke geschlossen wurde.
Möglich ist dies für den akuten Bedarf, beispielsweise wenn eine Antibiose oder Schmerztherapie sofort begonnen werden muss. Allerdings ist die Abgabe beschränkt „auf eine zur Überbrückung benötigten Menge für längstens drei Tage, soweit im unmittelbaren Anschluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Feiertag folgt“.
Die notdienstpraxisversorgende Apotheke soll in unmittelbarer Nähe zur Notdienstpraxis liegen. Ist dies nicht der Fall, kann diese Apotheke eine zweite Offizin mit Lagerräumen am Standort der Notdienstpraxis betreiben. Allerdings muss die zweite Offizin in angemessener Entfernung zur Betriebsstätte der Apotheke liegen, damit die Apothekenleitung ihren Verantwortlichkeiten nachkommen kann. So soll eine notdienstpraxisnahe Versorgung von Patient:innen der Notdienstpraxis ermöglicht werden.
Diese vorgesehene zweite Offizin lehnt die Abda ab: Sie sei schlichtweg nicht erforderlich. „Sollte unserem Vorschlag einer Einbindung der für die Dienstbereitschaftseinteilung der Apotheken zuständigen Stellen gefolgt werden, kann im Einzelfall durch geeignete Maßnahmen flexibel auf etwaige Besonderheiten durch eine Apotheke reagiert werden.“
Werde an der zweiten Offizin festgehalten, müsse eine Regelung, die mit den aktuellen apothekenrechtlichen Strukturen vereinbar ist, getroffen werden.
Apothekeninhaber:innen sollen einen pauschalen Zuschuss für jede Kalenderwoche erhalten, in der sie während der Öffnungszeiten der Notdienstpraxis geöffnet waren. Dazu müssen die Apotheken dem Deutschen Apothekerverband (DAV) im Wege einer Selbsterklärung für jedes Kalenderquartal mitteilen, dass ein entsprechender Vertrag besteht, und in wie vielen Kalenderwochen des jeweiligen Kalenderquartals sie während der Öffnungszeiten der Notdienstpraxis geöffnet waren.
Werden Apotheken bedingt durch die Einrichtung von INZ überobligatorisch in Anspruch genommen, ist die vorgesehene Regelung eines pauschalen Zuschusses aus Sicht der Abda unzureichend. Die Finanzierung dürfe nicht wie derzeit geplant zu Lasten der seit 2013 geltenden Notdienstpauschale gehen: „Dies ist bei der ohnehin schon angespannten Vergütungssituation der Apotheken nicht vertretbar“, heißt es in der Stellungnahme.
Die vorgesehene Etablierung eines zweiten Meldewegs zum Nacht- und Notdienstfonds (NNF) von notdienstpraxisversorgenden Apotheken lehnt die Abda ab, wenn die zur Einteilung der Dienstbereitschaft zuständigen Stellen nicht wie vorgeschlagen eingebunden sind.
Die Erweiterung der Meldewege, dass die Apotheken vergütet werden, wie sie in der Notfallreform vorgesehen sind, kosten den DAV schätzungsweise rund 500.000 Euro. Diese einmaligen Kosten sollen aus den Einnahmen des NNF beglichen werden.
„Bereits aktuell sind die Apotheken verpflichtet, einen durchschnittlich deutlich defizitären Nacht- und Notdienst zu leisten. Die vorgesehenen Änderungen für einen Zuschuss notdienstpraxisversorgender Apotheken bedürften insofern einer Anpassung der Rechtsgrundlagen in der Arzneimittelpreisverordnung.“