Abda warnt vor Vernichtung der Apotheke Patrick Hollstein, 19.06.2024 16:20 Uhr
Obwohl mit dem Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) zahlreiche strukturelle und finanzielle Anpassungen vorgesehen sind, fällt die Stellungnahme der Abda für die Verbändeanhörung im Bundesgesundheitsministerium (BMG) kurz und knapp aus: Der Referentenentwurf wird in der vorliegenden Fassung abgelehnt – und zwar mit deutlichen Worten.
„Der Entwurf nimmt die der Bundesregierung zuzurechnende chronische Unterfinanzierung des deutschen Apothekenwesens zum Anlass, die begründeten Anforderungen an dessen Qualität irreparabel und durchgängig auf ein unverantwortliches Niveau zu reduzieren“, so die Abda in ihrer dreiseitigen Stellungnahme. Der Entwurf degradiert „das Arzneimittel zum Konsumgut und geht von einer Verzichtbarkeit der Apotheke und des Apothekers aus, indem er umfassende Arzneimittelversorgung faktisch negiert und durch reine Logistik und Handel ersetzt“. Dies führe zu einer gravierenden Verschlechterung der Arzneimitteltherapie und der Patientensicherheit und belaste dadurch absehbar die Sozialsysteme mit Folgekosten.
„Die inhabergeführte Apotheke wird finanziell und strukturell ruiniert, Arbeitsplätze für approbierte Apothekerinnen und Apotheker werden massenhaft vernichtet und das Feld für die Zulassung des Fremdbesitzes an Arzneimittelvertriebsstellen bereitet.“
Diese Konsequenzen würden verbal mit vermeintlich guten Absichten und irreführend verwendeten Begriffen kaschiert. „Ausgehend von der Prämisse, dass der Bundesregierung das vorhandene hochwertige Apothekenwesen das für seine Erhaltung erforderliche Geld nicht wert ist, werden auf den ersten Blick plausibel erscheinende Mechanismen wie die Umverteilung von Arbeitserträgen und die Senkung von Kosten instrumentalisiert, um einen grundlegenden Systemwandel herbeizuführen.“
Apotheke ihres Kerns beraubt
Nachdem wegen der Unterfinanzierung bereits zunehmend Apotheken geschlossen würden, drohe durch die geplante Umverteilung „mittelfristig auch die letzte vollständig ausgestattete Apotheke unrentabel“ zu werden. „Ein weiterer Teil mittelständischer Betriebe wird sehenden Auges vernichtet.“
Durch die Zulassung von Betriebsstätten, die ohne vor Ort anwesende Apothekerin oder anwesenden Apotheker betrieben würden, werde der Begriff „Apotheke“ des ihn ausmachenden Wesenskerns beraubt, die Apothekenpflicht faktisch abgeschafft und der Weg zur Zulassung des Fremdbesitzes geebnet. „Das vorhandene approbierte Apothekenpersonal wird unter anhaltendem Kostendruck aus ökonomischen Zwängen auf das dann geltende gesetzliche Mindestmaß eines Apothekers oder einer Apothekerin für alle von einer Betriebserlaubnis erfassten Betriebsstätten reduziert werden müssen.“
Laut Abda liegt das „Freisetzungspotential“ bei circa 40.000 approbierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern öffentlicher Apotheken – also allen angestellten Apothekerinnen und Apothekern. Dies habe absehbare negative Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und das Angebot ortsnaher, familienfreundlicher Arbeitsplätze. Im Übrigen stehe das Vorhaben auch in diametralem Gegensatz zur Zuweisung von zusätzlichen Aufgaben für Apotheken in anderen Gesetzen und Gesetzgebungsverfahren.
Freier Heilberuf nur noch Fiktion
„Die Möglichkeit, zusätzlich zu den heute maximal vier Betriebsstätten einer Apotheke zwei ‚Zweigapotheken‘ betreiben zu dürfen und Entfernungen zwischen den Betriebsstätten von circa drei Stunden PKW-Fahrzeit zuzulassen, machten bei minimaler Anwesenheitspflicht in den Betriebsstätten aus der eigenverantwortlichen Leitung einer Apotheke durch einen freien Heilberuf faktisch eine Fiktion.“ Damit falle das zentrale Kriterium der inhabergeführten Apotheke, das gesetzliche Berufsbild des „Apothekers in seiner Apotheke“.
Die „fatalen Folgen“ für die Versorgung der Bevölkerung könnten auch nicht mit einem „telepharmazeutischen“ Angebot kompensiert werden. Denn dieses werde nur dann in Anspruch genommen, wenn ein Bedarf vom Patienten oder dem Angehörigen einer geringer qualifizierten Berufsgruppe erkannt werde. „Damit entfällt ein Kernelement hochwertiger Versorgung, die unter anderem dadurch gewährleistet wird, dass der gesetzlich definiert ausgebildete Apotheker in der individuellen Abgabesituation den Beratungsbedarf des Patienten erkennt und deckt.“
Erst PTA, dann Automat
„Außerdem wird in der Folge dieser geplanten Reform der Betrieb von Abgabeautomaten nicht verhindert werden können, da pharmazeutisches Personal bei der Auslieferung eines Arzneimittels verzichtbar gemacht wird, soweit eine Beratung durch pharmazeutisches Personal einer Apotheke in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aushändigung des Arzneimittels per Telepharmazie erfolgen kann.“ Dies führe endgültig zur Trivialisierung des Arzneimittels mit allen nachteiligen Folgen für den Gesundheitsschutz allgemein und den Schutz der Patienten im Einzelnen.
Die vorgesehene Option, Rezepturherstellung und Laboranalytik in einer Betriebsstätte eines Verbundes zu zentralisieren, schwäche die Resilienz des Systems erheblich, da bei Ausfall dieser Betriebsstätte durch ein Schadensereignis auch weitere zum Betrieb zählende Betriebsstätten für eine Prüfung von Ausgangsstoffen und die Herstellung von Rezepturen nicht mehr zur Verfügung stünden. „Unter ungünstigen Bedingungen kann dies zu einer Mangelversorgung einer ganzen Region führen.“
Einsparung statt gute Versorgung
Die Abkehr vom Versorgungsgedanken zeige sich auch an der Aufhebung der ständigen Dienstbereitschaft mit Befreiungsmöglichkeit zugunsten einer Mindeststundenzahl der Öffnung innerhalb der ortsüblichen Geschäftszeiten, von der darüber hinaus durch behördliche Befreiung nach unten abgewichen werden könne. „Angesichts der ökonomischen Zwänge steht zu erwarten, dass viele Apothekeninhaber von den damit verbundenen Einsparmöglichkeiten Gebrauch machen werden. Damit tritt die kaufmännische Kalkulation an die Stelle der verlässlichen Versorgung an allen Standorten.“
Die bisherige verlässliche Grundregel der ständigen Dienstbereitschaft mit Befreiungsregelungen werde zugunsten einer juristisch anfälligeren behördlichen Einteilung zum Notdienst ersetzt. „Dies wird dazu führen, dass auch während ortsüblicher Geschäftszeiten teilweise nur noch eine Notdienstversorgung stattfindet.“
Mit der Aufnahme einer Regelung zur Korrektur der Rechtslage bei der Gewährung von Skonti in den vorliegenden Referentenentwurf werde zudem die Chance verweigert, durch eine schnelle Umsetzung zum Beispiel im Medizinforschungsgesetz kurzfristig zumindest zu einer minimalen Erleichterung der wirtschaftlichen Lage der öffentlichen Apotheken beizutragen. „Nach alledem fordern wir dazu auf, den die Probleme in der qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung verschärfenden Referentenentwurf zurückzuziehen und für eine angemessene Finanzierung des bewährten Systems Sorge zu tragen.“