Wie bei einen großen Tanker benötigen politische Kurswechsel Zeit. Die Einsicht in die Realitäten veranlasst die ABDA jetzt unmittelbar vor dem Deutschen Apothekertag, beim Rx-Versandhandelsverbot ihre alternativlose Verbots-Position zu räumen – Spahn sei Dank. Oberapotheker Friedemann Schmidt wäre gut beraten, bei dieser Gelegenheit weitere „alte Zöpfe“ der Standespolitik abzuschneiden und die Apotheker aktiv in die digitale Zukunft zu geleiten, kommentiert Lothar Klein.
Der Kurswechsel der ABDA beim Rx-Versandhandelsverbot kommt spät, aber vielleicht noch nicht zu spät. Wer Millionen Unterschriften dafür gesammelt hat und bundesweit seine Position in den Köpfen der Apotheker mit roten Karabinern verankert hat, tut sich schwer, die politische Kurve zu erwischen. Das ist nur allzu verständlich. Bereits im April hat DAV-Chef Fritz Becker mit dem Begriff der Gleichpreisigkeit den semantischen Schwenk eingeleitet – wenige Wochen, nachdem Jens Spahn ins Bundesgesundheitsministerium eingezogen war. Das richtige Wording ist in der Politik manchmal mehr als die halbe Miete.
Spahn und sein Vorgänger Hermann Gröhe unterscheiden sich nicht nur im politischen Temperament, sondern auch im Stil. Spahn spricht Klartext, wo Gröhe den Schmusekurs bevorzugte. Rasch musste der ABDA klar werden, dass das Rx-Versandverbot mit dem Amtswechsel in weite Ferne gerückt war. Und das ist gut so. Denn von Anbeginn waren die mit dem Verbot verbundenen Hoffnungen auf eine ungestörte und glückliche Apothekenzukunft sowieso nichts weiter als ein leeres Versprechen. Die Zukunft der Vor-Ort-Apotheken hängt nicht an ein paar Boni-Euro. Ihre Zukunft haben die Apotheken selbst in der Hand.
Und daher ist es an der Zeit – und die Gelegenheit ist dafür günstig – dass die ABDA im Windschatten der kommenden Diskussion über ein Alternativpaket weitere unhaltbare Positionen räumt. Beispiel Digitalisierung: Im sogenannten Perspektivpapier 2030 spielten Apps & Co. so gut wie keine Rolle. Mehr noch: Die ABDA hat eine ausführliche Befassung mit der digitalen Zukunft sogar verhindert. Wenige Jahre später dominiert das Thema nicht nur die Apothekenwelt. Sieht so standespolitische Weitsicht aus?
Beispiel Botendienst: Bei der letzten Novelle der Apothekenbetriebsordnung verhinderte die ABDA eine Lockerung und Ausweitung des Botendienstes. Jetzt machen sich andere daran, mit Bestellplattformen Amazon & Co. etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Knapp 20.000 vernetzte Apotheken sind immer schneller als jeder Versandhändler – garantiert, wenn die Apotheken ihren Botendienst heute nicht nur als Ausnahme anbieten dürften.
Beispiel Impfen: Bis auf die ABDA sehen die meisten Gesundheitsexperten darin eine sinnvolle zusätzliche Aufgabe für Apotheker. Damit verbundene Haftungsfragen lassen sich bei gutem Willen regeln. Wer sich aber aus Furcht vor den Ärzten hinter Scheinargumenten versteckt, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Zukunft abhanden kommt.
Beispiel PTA-Beruf: Warum sollen die Assistenten der Apotheker nach einer hochwertigeren Ausbildung nicht mehr Verantwortung übernehmen können? Auch Erzieherinnen in Kindergärten haben ihre Ausbildung längst auf Fachhochschulniveau getrimmt. Die Kinder profitieren davon. Das gleiche würde für die Patienten gelten. Warum sollen PTA angesichts der Nachwuchssorgen im Berufsstand nicht in begrenztem Rahmen Apotheker vertreten können? Es gibt heutzutage technische Mittel, einen Approbierten im Zweifelsfall hinzuziehen.
Alte Zöpfe gehören auf den Müll und können dort problemlos entsorgt werden, ohne dass die Apotheker den Kern des pharmazeutischen Berufs aufgeben müssen. Die ABDA sollte sich auf den Weg machen, Veränderungen vorauszudenken, statt wie beim E-Rezept in letzter Sekunde hinterherzuhecheln.
Beispiel Rx-Versandverbot: Am Ende wird die ABDA vermutlich ein Maßnahmenpaket ohne Verbot in Händen halten, das ihrer Forderung nach „gleicher Wirkung“ ziemlich nahe kommt. 100 Prozent sind nicht drin – aber es wird besser sein als der Ist-Zustand. Daher ist der Schwenk richtig und bestenfalls sogar zukunftsorientiert. Nur: Ein solches Paket hätte die ABDA schon längst auf einem silbernen Tablett nach Hause bringen können. Hermann Gröhe und die vorherige große Koalition hätten der ABDA alle politischen Geschenke zu Füßen gelegt, um das Thema aus der Welt zu bringen. Noch weiß niemand, wie es jetzt ausgeht.
Und vor allem: Die Maßnahmen stünden längst im Gesetzbuch. Mit ihrer Halsstarrigkeit hat die ABDA nicht nur Chancen verspielt, sondern auch wertvolle Zeit verloren. Angesichts der aktuellen unsicheren politischen Lage kann niemand sicher sein, dass Spahn Ende 2019 noch Gesundheitsminister dieser wackeligen Großen Koalition ist. Dann ginge das Spiel von vorne los und die ABDA wäre erneut Spielball der Politik.
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