Abda holt Weselsky an Bord Patrick Hollstein, 18.11.2023 08:09 Uhr
Die Apotheken bekommen einen neuen Frontmann für ihre Proteste. Nach beinahe 20 Jahren Honorarstillstand gab es für die Abda nur einen Kandidaten: Bahn-Gewerkschafter Claus Weselsky tritt den Posten als Leiter der Stabsstelle „Honorarkampf und Eskalation“ an, sobald er seinen Lokführern das versprochene Abschiedsgeschenk geholt hat.
Die Bilanz der zweiten Proteswoche lautet wie folgt: Der Kampfeswillen der Apotheken ist ungebrochen, wie die beeindruckende Zahl von mehr als 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Dortmund zeigt. Auch zeigen die Proteste den gewünschten Effekt, dass die Bevölkerung in weiten Teilen mitbekommen hat, dass es einen Konflikt zwischen den Apotheken und Gesundheitsminister Karl Lauterbach gibt. Und der Schulterschluss mit den Ärzten in NRW war diesbezüglich sicherlich hilfreich.
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass sich der Protest zusehends „abnutzt“. Je länger der Honorarkampf andauert, desto schwieriger dürfte es für die Verbände werden, die Kolleginnen und Kollegen noch zu motivieren. Mal ganz ehrlich: Wer bereit ist, seine Apotheke einen ganzen Tag zu schließen, hunderte Kilometer zur Kundgebung zu fahren und dann stundenlang in der Kälte zu stehen, der sollte wenigstens ein anständiges Bühnenprogramm geboten bekommen. Mit prominenten Gästen und professionellen Pointen. In Sachen Inszenierung und Rhetorik ist noch viel Luft nach oben. Und auch die Kampagnenführung ist leider maximal uninspiriert: Weder nach außen noch nach innen wird so richtig beherzt für die Sache getrommelt.
Und so ist es wohl auch zu erklären, dass es jenseits des breiten Grundrauschens, das allenfalls durch vereinzelte Einlassungen wie die des FDP-Gesundheitsexperten Professor Dr. Andrew Ullmann im ARD-Morgenmagazin aufgewertet wurde, kaum Berichtserstattung über den Protesttag gab. Zumal, und damit kommen wir zum Thema, ein ganz anderer Streik ins mediale Licht gerückt ist: Die Lokführergewerkschaft GDL hat wieder mal den Bahnverkehr zusammenbrechen lassen – und zwar rein vorsorglich schon vor dem ersten Aufflackern eines eventuellen Tarifstreits.
Weihnachten ohne Bahn und Notdienst
Gewerkschaftsboss Weselsky fordert nicht nur mehr Geld in Form von höheren Gehältern, einem Inflationsausgleich und höheren Schichtzulagen. Er will seinen Bahnern zum Abschied auch die 35-Stunden-Woche zum Geschenk machen, bei vollem Lohnausgleich versteht sich. Und weil der Staatskonzern sich ziert (tausende neue Stellen müssten demnach geschaffen werden, alleine um die wegfallenden Dienstzeiten zu kompensieren), stellt Deutschlands härtester Arbeitnehmervertreter gleich einmal weitere Streiks mitten im Weihnachtsverkehr in Aussicht. Bescherung fällt aus, Freunde!
So eine Chance kommt nie wieder, dachte sich die Abda-Spitze – und machte Weselsky ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte: Vier-Tage-Monat (jeweils mittwochs) bei vollem Gehaltsausgleich, das hat echten Vorbildcharakter! Zur Finanzierung der neuen Stelle werden abermals Avoxa & Co. angezapft. Außerdem werden die Mitgliedsbeiträge außerplanmäßig noch einmal um 18 Prozent angepasst. Wenigstens ist das Geld diesmal gut angelegt.
Und so führt ab sofort der sächsische Chuck Norris den Honorarkampf der Apotheken. Erste sichtbare Amtshandlung: Statt „(Alle) Apotheken stärken jetzt!“ skandieren die Schlachtenbummler im weißen Kittel ab sofort die unmissverständliche Botschaft: „Alle Apotheken stehen still, weil es der Weselsky will!“
Weselsky greift durch
Weitere Maßnahmen: Weselsky bestellt Lauterbach ins Apothekerhaus ein, um ihm die Forderungen der Apothekerschaft zu diktieren. „Mitschreiben, mein Freundchen!“ Parallel kündigt er sämtliche Lieferverträge mit den Krankenkassen und streicht den kompletten Notdienst an Heiligabend und den Weihnachtsfeiertagen. Für alle Apotheken, die Verbandsmitglieder sind, gilt außerdem ein absolutes Rezepturverbot, auch Botendienste finden nicht mehr statt. E-Rezepte werden mit der Autoreply „Weselsky sagt Nein“ direkt an den Fachdienst zurückgeschickt. Die Loseblattsammlungen werden endlich zusammengeklebt. Und immer dann, wenn die Arbeit der Apotheken scheinbar zu geräuschlos abläuft, finden auch mal anlasslose Streiks statt.
Jaja, so jemanden wie den Weselsky wünschen sich viele Apothekenteams. Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening beherrscht eher die Kunst der pastoralen Ansprache, und die zweite Reihe in Gestalt von Arnold, Hubmann und Benkert ist im Grunde ein Totalausfall. Wenn die tausenden weißen Kittel nur auch so einen tapferen Kämpfer im beigen Trenchcoat an ihrer Spitze hätten ...
Tausend kleine Erniedrigungen
Aber statt großer Bühne gab es in dieser Woche auch wieder die vielen kleinen Erniedrigungen des Apothekenalltags.
So haben die Kassen im Rahmen der Anhörung zum Digitalgesetz erstmals durchblicken lassen, dass sie Light-Filialen im Grunde dufte finden. Klar, alles, was die Apotheken politisch beschäftigt, schwächt sie als Verhandlungspartner.
Die AOK Baden-Württemberg versucht es mit unauffälligen Retaxationen wegen angeblicher Fristüberschreitung. Kleinvieh macht auch Mist, und die Apotheken haben ohnehin keine Zeit, sich mit den geforderten Nachweisen zu beschäftigen, so das kühle Kalkül.
Die DAK sucht für solche pfiffigen Aktionen einen neuen Retax-Dienstleister. Der sollte ausreichend Erfahrung mitbringen – und Ideen für die E-Rezept-Retax.
Lauterbach hat beim Deutschen Krankenhaustag einfach mal rausgehauen, Apotheken und Arztpraxen hätten im ersten Halbjahr 2 Prozent mehr bekommen. Tatsächlich hatte er wohl die Arzneimittelausgaben im Kopf. Aber wen interessieren schon solche Details, die eigentliche Botschaft war doch, dass es den Kliniken mit 7 Prozent Zuwachs gar nicht so schlecht geht.
In Sachen E-Rezept droht Chaos bei Produkten wie Macrogol. Mal als Medizinprodukt eingestuft, mal als Arzneimittel, darf unter Umständen weder digital verordnet noch ausgetauscht werden. Neues Rezept bitte, am einfachsten per Fax. Ach ja, und wenn der Arzt noch nicht signiert hat, muss grundsätzlich noch einmal hinterher telefoniert werden.
Das Cannabis-Gesetz kommt übrigens später, viele Detailfragen kamen ganz überraschend und müssen erst noch geklärt werden. Aber eine gute Nachricht hatte Lauterbach doch noch: Lilly baut eine neue Fabrik in Rheinland-Pfalz, um dort eine neue Abnehmspritze zu produzieren. Na also, läuft doch im deutschen Gesundheitswesen. Schönes Wochenende!