Apothekerhaus

Fluchtplan Jägerstraße

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Berlin -

Die ABDA wird das Mendelssohn-Palais demnächst fluchtartig verlassen. Denn wer keinen optimalen Brandschutz, große Risse im Objekt und nicht genügend Fluchtwege hat, kann nicht 80 Mitarbeiter beschäftigen – geschweige denn hunderte Gäste empfangen. Jahrelang konnten die Probleme geheim gehalten werden, doch jetzt scheint die Situation akut. Offenbar hat sich die ABDA selbst in die missliche Lage manövriert. Die Folgekosten der Fehlentscheidungen gehen in die Millionen.

Das traditionsreiche Mendelssohn-Palais ist nur über die Haupteingangstür von der Jägerstraße aus zu erreichen; der Innenhof ist zu allen Seiten von hohen Mauern umgeben. Ist der Weg durch das Eingangsportal versperrt, sitzen Mitarbeiter und Besucher bei einem Brand in der Falle.

Früher gab es einen Notausgang auf den Hof der benachbarten Polizeiwache. Doch als nebenan Luxuswohnungen gebaut wurden, fiel dieser Fluchtweg – auch wegen Differenzen mit dem Bauträger – weg. Aus dem Hof des Mendelssohn-Palais führt außerdem eine kleine Treppe in den Untergrund, über die die Tiefgarage eines Grundstücks in der Französischen Straße zu erreichen ist. Die Apotheker hatten mit dem Eigentümer einen Vertrag geschlossen, der den ABDA-Mitarbeitern die Nutzung im Notfall erlaubte.

Doch Insidern zufolge kam es irgendwann zum Streit über die Höhe des monatlichen Betrags, den die ABDA zahlen musste. Angeblich kürzte die Verwaltungsgesellschaft Deutscher Apotheker (VGDA) unter der Leitung des damaligen ABDA-Finanzchefs Jürgen Siegemund eigenmächtig ihre Überweisungen; der überraschte Nachbar soll daraufhin die Nutzung verweigert haben – und mit einem Hinweis an die Feuerwehr gedroht haben.

Wie oder ob überhaupt dieses Problem gelöst wurde, war bislang bei der ABDA nicht zu erfahren. Siegemund sprach jedenfalls erstmals von zwingend notwendigen Investitionen in den Brandschutz, als sich bei der eigens anberaumten Mitgliederversammlung Anfang 2011 abzeichnete, dass die Apotheker das Nachbargrundstück in der Jägerstraße nicht kaufen würden.

Der Neubau würde auch das Problem der Fluchtwege im Apothekerhaus lösen, argumentierte Siegemund für den Erwerb, über den er sich mit der Groth-Gruppe als Eigentümerin bereits handelseinig war. Als er plötzlich auch noch einen Preisnachlass in Aussicht stellte, wuchsen in der ABDA die Zweifel, welche Rolle ihr Finanzchef eigentlich spielte.

Als das Nachbargrundstück dann von der Groth-Gruppe selbst bebaut wurde, begannen die Probleme. Ein Brandschutzgutachter kam ins Apothekerhaus und erstellte eine Mängelliste mit Bezug auf Sicherheitsauflagen, die die ABDA zu erfüllen hätte, um behördliche Auflagen zu vermeiden. Während Siegemund noch von 250.000 Euro gesprochen hatte, prognostizierte Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz schließlich Kosten in Höhe von sechs Millionen Euro. Dazu kämen 2,5 Millionen Euro, die in die Haustechnik und die technische Gebäudeausrüstung investiert werden müssten.

Obwohl Schmitz alle Ausgaben vermeiden wollte, die für einen potenziellen Käufer mit anderem Nutzungskonzept ohne Wert sein könnten, hat die ABDA alleine im vergangenen Jahr 4,11 Millionen Euro für Instandhaltungs-, Umbau- und Planungsmaßnahmen für die beiden Immobilien in Berlin und Eschborn ausgegeben.

Stellwände zwischen den Schreibtischen wurden durch Gipskartonplatten ersetzt, Böden erneuert. Vorübergehend mussten ganze Abteilungen den Bauarbeitern weichen und in externe Räume umziehen. Seit 2011 sind Investitionen von acht Millionen Euro zusammengekommen, der größte Teil davon entfällt auf das Mendelssohn-Palais.

Laut ABDA-Präsident Friedemann Schmidt waren die bisherigen Sanierungsmaßnahmen notwendig, um das Haus überhaupt vermarktungsfähig zu machen. Das Kernproblem der fehlenden Fluchtwege wurde damit aber anscheinend nicht gelöst. Zwar sprach Schmidt noch im vergangenen Juni von reinen „Ertüchtigungsmaßnahmen“. Auflagen bezüglich der Nutzbarkeit oder ein zeitliches Limit für die weitere Nutzung gebe es nicht. Insofern werde man auch noch einige Jahre mit den extern angemieteten Büros auskommen müssen.

Doch schon bei der Präsentation verschiedener Alternativen für das Apothekerhaus im Rahmen der Mitgliederversammlung war im vergangenen Dezember plötzlich von einem Umzug zur Zwischenmiete die Rede. Geschäftsführender Vorstand und Gesamtvorstand nickten den Vorschlag ab, die Geschäftsstelle bis zur Fertigstellung des neuen Apothekerhauses in angemieteten Büroräumen unterzubringen – aus „wirtschaftlichen Erwägungen“, wie es hieß. Die Kosten für den Zwischenstopp sollen sich auf mehr als 1,5 Millionen Euro jährlich belaufen, zuzüglich der Umzugskosten.

Wie ernst die Lage in den vergangenen Jahren war und womöglich bis heute ist, wissen nur Eingeweihte. Bei der zuständigen Behörde sind indes aktuell keine Brandschutzprobleme bekannt. Allerdings wird die Aufsicht ohnehin nur aktiv, wenn sie vom Eigentümer und einem Dritten wegen konkreter Sicherheitsbedenken eingeschaltet wird. Auch wenn der Eigentümer Änderungen bei der Nutzung plant, muss eine entsprechende Genehmigung eingeholt werden. Denn in diesem Fall erlischt womöglich der Bestandsschutz. Gut möglich, dass die ABDA solche Probleme vermeiden will.

Stimmt die Mitgliederversammlung den Plänen für den Neubau in der „Europacity“ am Hauptbahnhof und den Zwischenstopp am Prachtboulevard Unter den Linden zu, würden noch im Sommer die Kisten gepackt. Die ersten Anzeichen für den Sinneswandel waren bereits sichtbar: Das traditionelle ABDA-Sommerfest fand in diesem Jahr nicht mehr in der Jägerstraße statt, sondern in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche. Der Gemeindepfarrer wäre vermutlich froh, wenn er an Sonntagen so viele Gäste hätte, scherzte Schmidt in seiner Rede zur Eröffnung. Und räumte nebenbei ein, dass der Brandschutz die Ursache für den Besuch der Apotheker war.

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