BMG bleibt bei Apothekenreform

Light-Filialen: Weil PTA-Ausbildung skalierbarer ist

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Berlin -

Light-Filialen und Honorarumverteilung: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will die Apothekenreform durchdrücken, aktuell wird in der Ressortabstimmung vor allem über die Finanzen diskutiert. Im Wahlkreis des parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Edgar Franke (SPD) erklärte Abteilungsleiter Thomas Müller, wie die Pläne aussehen und warum sie aus Sicht des BMG alternativlos sind. Das Evangelische Forum Schwalm-Eder veranstaltete im Bürgerhaus Gudensberg die Diskussionsveranstaltung „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum – Herausforderungen und Lösungen zur Versorgung mit Landarztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern“ zum Thema. Zahlreiche Apothekerinnen und Apotheker waren vor Ort, denn der Hessische Apothekerverband (HAV) hatte mobil gemacht. APOTHEKE ADHOC war live dabei.

Für die Gesundheitspolitik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) muss Franke in seiner Heimat den Kopf hinhalten. In 34 Apotheken wurden schon im vergangenen Herbst 10.000 Unterschriften gesammelt, die der Forderung an den SPD-Politiker, sich stärker für die Apotheken vor Ort einzusetzen, Nachdruck verliehen. Auch im Kreistag haben die Apothekerinnen und Apotheker schon zahlreiche Unterstützer aktiviert.

Nach Gudensberg brachte Franke auch Thomas Müller, Abteilungsleiter Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie, mit – seine Abteilung ist zwar auf Fachebene für die Apothekenreform verantwortlich, aber eben nicht für die politische Linie.

19:05 Pfarrer Dierk Glitzenhirn eröffnet die Veranstaltung mit mehr als 100 Personen im Publikum: „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum ist zumindest umstritten“, wie ist der aktuelle Stand? Themen werden Krankenhäuser und Arzneimittelversorgung und die Finanzierung sein

Bei Reformen im Gesundheitswesen geht es auch um Leistungskürzung – wirtschaftliche Optimierung

Gleichwertige Lebensverhältnisse von Stadt und Land wünschen sich alle, so Glitzenhirn.

„Es gibt den Konflikt der Gerechtigkeit und der Effizienz – wie ist das mit den Versorgungskosten pro Kopf?“ Kassel: 200.000 Einwohner; Schwalm-Eder-Kreis auch knapp 200.000 Einwohner. Aber ganz andere Struktur. Das deutet auf die Komplexität hin; integrierte Systeme seien notwendig, um zum Erfolg zu kommen.

19:13 Müller: „Ich bin kein Politiker. Ich kann Ihnen nicht die politischen Entscheidungen vermitteln, aber die fachlichen.“

Er hat Pharmazie studiert; Urlaubsvertretung in Landapotheken während des Medizinstudiums. „Ich bin vom Typus mehr Apotheker als Mediziner.“

Müller hat Krankenhausapotheken geleitet, war zehn Jahre beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) tätig und ist seit fünf Jahren im BMG.

Apothekenreform

„Die Apothekenreform kennen Sie noch nicht, die ist noch in der Klärung mit den Ressorts.“ Vor allem geht es laut Müller um die Finanzabstimmung. „Das, was Sie hier hören, ist nicht das, was Sie vielleicht in der nächsten Woche als Referentenentwurf lesen werden.“

Allgemeine Trends:

  • Strukturwandel im wirtschaftlich schwachen ländlichen Regionen
  • Verteilung Arztpraxen im ländlichen Raum ändert sich
  • vermehrt MVZ und telemedizinische Versorgungskonzepte
  • Digitalisierung der Gesundheitsversorgung
  • vermehrter Warenbezug über das Internet/den Versand
  • Strukturwandel trifft auch Apotheken

Das E-Rezept ist schon da, die E-Akte kommt, verbunden mit dem E-Beipackzettel – all das seien Möglichkeiten, Dinge am Smartphone zu organisieren. „Das wird den Strukturwandel befeuern.“

Der Minister sei KI-Freak, KI-Neard. Und KI werde auch in Apotheken eine große Rolle spielen.

Bestandsaufnahme: Die Zahl der Apotheken nimmt stark ab – Tendenz weiter fallend, dennoch: Versorgung ist aktuell gesichert, jedoch Handlungsbedarf für mittelfristige Sicherstellung der Arzneimittelversorgung.

Keine Bedarfsplanung hierzulande wie bei Arztsitzen – laut Müller ist auch kein Systemwechsel geplant. Ein staatliches gesteuertes Apothekensystem werde derzeit nicht im BMG diskutiert.

Handlungsbedarf gebe es aber aufgrund der Entfernungen im ländlichen Raum.

Ziel: Versorgungssicherung vor allem im ländlichen Raum

für pauschale Vergütungserhöhung gibt es aktuell keine politische Mehrheit.

Eine Vergütungserhöhung sei bei den Notdiensten geplant, und zwar um 30 Prozent – man befinde sich in Diskussionen mit dem Finanzministerium (BMF). Klar sei aber auch: Eine Erhöhung der Vergütung könne strukturelle Ursachen nicht beheben.

Die Abda-Forderung nach einer deutlichen pauschalen Erhöhung wies Müller als nicht möglich zurück. Stattdessen seien Ansätze für einen verbesserten wirtschaftlichen Betrieb notwendig, also eine moderate Erhöhung verbunden mit einem Shift von Vergütungsanteilen.

Honorarreform

  • Erhöhung der Notdienstpauschale (circa 30 Prozent) – im ländlichen Raum nur wenige Kunden, in der Stadt steht man am Tresen
  • stufenweise Absenkung prozentualer Anteil Packungsvergütung bis Ende 2026 von 3 auf 2 Prozent, Übernahme 1:1 in Fixum. Es kommt nicht mehr Geld ins System, es wird umverteilt. „Wir wissen nicht, wie die Auswirkungen auf die einzelnen Apotheken sind."
  • GKV-Abschlag ab 1. Februar 2025 wieder 1,77 statt 2 Euro
  • Apotheken müssen Notdienst in Notdienstzentren machen
  • vor allem kleine, ländliche Apotheken sollen profitieren

erstmals Dynamisierung:

  • ab 2027 Anpassung des Festzuschlags durch Verhandlungen der Selbstverwaltung
  • Berücksichtigung Versorgungssituation, Kostenentwicklung

Strukturreform

  • an vielen Stellen wirtschaftliche Führung der Apotheken verbessern
  • Apotheke ohne Approbierte
  • einfachere Gründung von Zweigapotheken bei eingeschränkter Arzneimittelversorgung
  • Filialleitung: keine oder aufteilbar
  • ausländische Fachkräfte
  • Öffnung der Apotheke für Leitung durch erfahrene PTA
  • Beratung wie im Versand auf Wunsch via Telepharmazie

Laut Müller gibt es einen Umbruch bei den Fachkräften: Es finden sich kaum neue Apotheker in öffentlichen Apotheken – das liegt seiner Überzeugzng nach an der Gehaltsstruktur und an Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Auch PTA seien Mangelware, aber hier sei die Ausbildung skalierbarer als beim Pharmaziestudium.

neue Aufgaben

  • Impfen: Totimpfstoffe – Tetanus, FSME, DPT sollen hinzukommen und generieren Mehreinnahmen
  • schlechte Umsetzung der pDL in der Fläche – Zeitmangel, fehlende Akzeptanz
  • Übernahme von Präventionsaufgaben (Gesundes-Herz-Gesetz): Apotheken sollen Checks übernehmen

Was ist nicht geplant?

  • Änderungen der Eigentümerstruktur
  • größere Ketten
  • Wegfall Labor, Herstellungsplatz, Notdienstzimmer (aber: kann im Filialverbund fehlen) – Notdienste sollen erhalten bleiben

weitere Baustellen

  • Kapitalbedarf Apotheken bei Gründung/Übernahme, Ausbau bei Spezialisierung
  • Weiterentwicklung der pDL – Politik will aktiv werden
  • E-Rezept: Integration von Online-Handelsmöglichkeiten auch bei stationären Apotheken

Einzelhandel ohne online wird in Zukunft nicht mehr funktionieren.

Mit Bezug auf das Skonto-Urteil überlegt man im BMG eine gesetzliche Regelung: „Wir neigen dazu, die Ventile wieder zu öffnen“

Ausblick

  • Im Mittelpunkt steht das Arzneimittel zwischen Arzt und Patient. Das funktioniere auch online – Schuhe werden auch online verkauft.
  • Man müsse Strukturreformen mitdenken, auch unter den Apotheken.
  • Apotheken hätten Niederlassungsfreiheit und seien eigenständige Wirtschaftsbetriebe im Einzelhandel, aber technologisch und wirtschaftlich engmaschig reguliert.
  • Entwicklung von Herstellen, Lagern, Abgabe zu Versorgen, Informieren, Abrechnen
  • KI, Digitalisierung, Strukturwandel der Leistungserbringer seien wesentliche Treiber der nächsten Jahrzehnte

Fragen/Meinungen aus dem Publikum

Christian Gerninghaus, Apotheker:

„Ich finde es nicht gut, dass Sie Arzneimittel mit Schuhen vergleichen, die ihr Sohn online kauft.“ Arzneimittel als Einzelhandel zu diskreditieren, sei falsch, Arzneimittel seien Waren der besonderen Art!

Hinweis: Zahl der Inhaber ist um 40 Prozent gesunken

pDL, Impfen und Einbinden von Prävention: Ansätze dividieren Ärzte und Apotheken auseinander

Müller kontert: Idee war nicht, ein Schuh ist wie ein Arzneimittel. Aber Gewohnheiten ändern sich.

Kreuz-Apotheke Niedenstein

Personalkosten sind gestiegen, weniger Personal: Wie sollen pDL, Impfen und Telepharmazie gestemmt werden? Erhöhter Zeitaufwand bei E-Rezepten: Was will die Krankenkasse mit der abgegebenen Charge? 300 Dauerdefekte, die derzeit nicht zu bekommen sind – Alendronsäure, Simvastatin, ...! „Würden wir nicht ständig Metronidazol-Kapseln herstellen, könnte man die neuen Aufgaben auch stemmen.“ Stichwort Rx-Boni: Laut Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) sind Rabatte nicht erlaubt – aber der Versandhandel fordere den Gesetzgeber geradezu heraus, indem er wieder Rabatte gewähre.

Müller: Wir sehen, die Situation ist ernst. Lieferengpässe sind als Thema auch beim Gesundheitsminister und beim Wirtschaftsminister angekommen.

Ursula Funke, Kammerpräsidentin Hessen

„Wir sind nicht vergleichbar mit dem normalen Einzelhandel. Arzneimittel sind eine besondere Ware, wir sind Heilberufler. Wenn die Schuhe nicht passen, ist es ökologisch nicht vertretbar oder ich bekomme Blasen, das ist aber nicht lebensbedrohlich.“ Apotheken gehörten zu jenen Betrieben, die der Digitalisierung schon immer zugewandt waren. „Wir können nicht durch KI ersetzt werden. Man kann sicher zusätzliche Angebote machen, aber Apotheker können nicht ersetzt werden.“

PTA seien Mangelware – es sei außerdem naiv zu glauben, dass PTA die Leitung einer Filiale für das Gehalt übernehmen, das sie jetzt bekommen. „PTA können Apotheker nicht ersetzen. In die Apotheke gehört der Apotheker oder die Apothekerin.“

Müller: Der Aspekt der Kundennähe stehe unter der Prämisse der Wirtschaftlichkeit. Wenn Kunden an den Versandhandel verloren gehen, wird der wirtschaftliche Druck noch größer. Und: „Wir glauben, dass die PTA im Tarif aufsteigen wird.“

Holger Seyfarth, Vorsitzender Hessischer Apothekerverband

„Keiner meiner Filialleiter:innen denkt auch nur ansatzweise daran, sich in das wirtschaftliche Risiko zu begeben und eine Apotheke zu eröffnen.“ Pharmazeuten im Praktikum wollten nicht in der Apotheke bleiben – da sei man Logistiker, kontrolliere Unterschriften auf der Rückseite – dafür habe man nicht studiert. Hinzu komme der demographische Wandel: „Ich habe den Eindruck, dass der Minister realtiv viel glaubt. Wir sind Naturwissenschaftler. Wir kontrollieren Prozesse. Eine Pseudoapotheke sollte nach einem Jahr auf den Prüfstand gestellt werden. Sagen sie den Kassen, egal wie, sie müssen mehr Geld für Arzneimittel bezahlen.“

Klaus Fehske, Apotheker

Apotheke-Light kann viele Dinge nicht tun – Beispiel: Substitution. „Das schaffen wir nicht mehr. Wenn Versandapotheken völlig andere Maßstäbe und Vorgaben haben und bei Rabatten weggesehen wird, ist es wirklich leichtfertig.“

Müller: Gleiche Spieße seien ein schwieriges Ziel, selbst wenn der politische Wille da wäre. „Wir müssen anerkennen, dass andere Länder andere Regeln haben, die wir akzeptieren müssen.“

Apothekerin

Umverteilung Fixum ist kritisch – fleißige Apotheken werden bestraft und kleine künstlich am Leben gehalten.

Nicole Iben, Logopädin

„Aus Sicht einer Apothekenkundin: Wenn ich mir vorstelle, dass ich keine direkte Beratung haben und zu einem Avatar sprechen muss, sieht der Avatar nicht, wie es mir geht.“ Was das E-Rezept angeht: „Ich freue mich, dass der Gegenwind von der Apothekerschaft kommt, unsere Unterstützung haben Sie.“

Apotheker

„Wenn Sie das umsetzen, was Sie vorhaben, sollten Sie diejenigen mitnehmen, die es betrifft. Ich glaube Ihnen nicht mehr.“ Es sei Missachtung nur zu sagen: „Redet ihr nur, wir wissen es besser.“

Müller: „Arzneimittelversorgung fällt nicht vom Himmel. Die Probleme gehen nicht einfach weg, die müssen wir gemeinsam lösen.“ Probleme, die mit Digitalisierung und Strukturwandel einhergehen, seien nicht leicht zu lösen. „Der Berufsstand muss konstruktive Lösungen bringen.“

20:33 Franke steigt in die Diskussion ein.

Er komme aus Gudensberg und kenne auch die Probleme. „Ich weiß auch, wie schwierig das ist angesichts Personalmangel und steigenden Kosten. Wir haben zwei Krisen gehabt – Pandemie und Angriffskrieg – 500 Milliarden Euro ausgegeben; wir haben mehr als einen Haushalt extra ausgegeben, das hat für sozialen Zusammenhalt gesorgt. Wir müssen das im nächsten Haushalt berücksichtigen.“ Was den Apothekenabschlag von 2 Euro angeht: „Rückwirkend lasse sich sagen, vielleicht hätte auch ein Jahr gereicht.“

Man habe bei vielen Leistungserbringern gespart, aber auch die Finanzreserven der Krankenkassen angegriffen und Beiträge erhöht.

Wir müssen was für die kleinen Apotheken machen.

Man haben an Zuschläge gedacht und überlegt, wie man frisches Geld für die Apotheken beschaffen könne. „Wir nehmen die Themen ernst und überlegen, wie wir die Probleme angehen, das kann ich Ihnen versichern.“

Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz

Problem: Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, Rückgang der Fallzahlen, gestiegene Kosten, keine ordentliche Finanzierung. „Wir geben pro Jahr 100 Milliarden Euro für die Krankenhäuser aus – eine unglaubliche Zahl, in Europa liegen wir an der Spitze und haben nur eine durchschnittliche Ergbeniskultur.“

  • Man wolle die flächendeckende Versorgung sichern – Vorhaltevergütung: Kliniken soll wirtschaftlicher Druck genommen werden.
  • Man wolle die Behandlungsqualität sichern: komplexe Behandlungen nur noch in Krankenhäusern, die die Qualitätskriterien erfüllen.
  • Kleine Krankenhäuser würden besonders gefördert.
  • „Daseinsvorsorge im besten Sinn“
  • Man brauche Leistungstransparenz: Klinikatlas
  • Bedarfsnotwendig sei ein Krankenhaus, wenn nicht in 30 Minuten ein anderes Krankenhaus erreichbar sei.
  • Bedarfsnotwendige Krankenhäuser erhalten eine Million Euro.
  • Wichtig sei ein gemischtes System.
  • Krankenhäuser seien Daseinsvorsorge.
  • Länder müssen jetzt ihre Investitionen für ihre Krankenhäuser selber bezahlen.

Fehske

Einladung an Franke nach Hagen, um die Apotheke von Fehske zu besuchen. Wir erleben in weiten Teilen eine Leistungskürzung.

Franke: „Ich komme zu Ihnen, dann müssen Sie mich aber zum Essen einladen.“

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