Der Prozess um den vermeintlichen Datendiebstahl aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat vor dem Landgericht Berlin begonnen. Nachdem die Anklage verlesen war, wartete die Verteidigung in ihrem Eröffnungsplädoyer mit einer überraschenden Information auf: Das BMG könnte demnach Zeugen im Verfahren bezahlt haben.
Laut Professor Dr. Carsten Wegner von der Kanzlei Krause & Kollegen geht aus der Akte hervor, dass das BMG zumindest erwogen hat, Zeugen durch Geldzahlungen von bis zu 9000 Euro für sich „nutzbar zu machen“. Ob dies tatsächlich geschehen ist, ließ er offen: Dies werde in der Hauptverhandlung zu thematisieren sein, kündigte der Verteidiger von Thomas Bellartz an, der neben einem ehemaligen IT-Mitarbeiter einer der beiden Angeklagten ist. Immerhin geht es um einen Betrag, der ungefähr einem Drittel der angeblich für die Daten gezahlten Summe entspricht. Und: „Information gegen Geld – Woran erinnert das?“
Laut Wegner gibt es keine echten Beweise, die die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft erhärten: Relevante Daten – etwa auf einer CD oder einem USB-Stick – seien weder bei der ABDA aufgefunden worden noch bei Bellartz. Welche vermeintlichen Geheimnisse aus dem BMG an Bellartz geflossen sein sollen, habe die Staatsanwaltschaft in der Anklage nicht bezeichnet. Es gebe auch keine verfahrensrelevanten Geldflüsse durch die ABDA an Bellartz, die einen Bezug zum BMG aufwiesen. „Worüber, so fragt sich die Verteidigung, redet die Anklage also?“
Stattdessen sei das Verfahren mit zahlreichen Fehlern behaftet: So sei Anklage erhoben worden, bevor der Fall überhaupt zu Ende ermittelt gewesen sei. Die Beschuldigten hätten keinerlei Gehör bekommen, vielmehr seien ihnen gezielt Informationen vorenthalten worden. Auch der Anweisung des Gerichts, die Verteidigung bei der Vernehmung von Zeugen hinzuziehen, sei von der Staatsanwaltschaft ignoriert worden – weil sie, so Wegners Vorwurf, „möglichst im Geheimen mit dem BMG agieren wollte“.
„Intransparenz einerseits und Durchstecherei andererseits – dies waren die Leitmotive der Staatsanwaltschaft in dem vorliegenden Verfahren“, so Wegner. Gemeint ist die massive Weitergabe von Informationen an Medien zum Verfahren zu einem Zeitpunkt, an dem die Betroffenen noch keinerlei Kenntnis von den konkreten Vorwürfen hatten.
Wegner ist daher der Überzeugung, dass das ganze Verfahren einen politischen Hintergrund hat: Dem BMG ging es nach seiner Darstellung darum, die Apothekerschaft „finanziell klein zu halten“. Gleichzeitig zu diesem einseitigen Vorgehen gegen den Berufsstand sei es darum gegangen, APOTHEKE ADHOC als unabhängiges und kritisches Medium „mundtot“ zu machen. Dieser Eindruck werde dadurch erhärtet, dass andere Medien, die parallel über Pläne und Maßnahmen aus dem BMG berichteten, weder angezeigt noch durchsucht worden seien.
Die Staatsanwaltschaft hat sich laut Wegner zum „Werkzeug“ des BMG machen lassen. Die Durchsuchung der Büroräume und Serverstrukturen eines journalistischen Unternehmens sei rechtswidrig gewesen, habe aber in dem Bemühen, eine möglichst große Skandalisierung zu erzeugen, eine entscheidende Rolle gespielt.
Wegner spricht von „2-Klassen-Justiz“ und „2-Klassen-Journalismus“: Während Journalisten aus der vermeintlichen „1. Kategorie“ auf geheime Quellen der Berliner Strafjustiz zugreifen durften, habe man die angeblichen Recherchen eines Fachmediums öffentlich skandalisiert. Der Anwalt fragt sich, ob auch ein „traditionelles Leitmedium oder gar ein öffentlich–rechtlicher Rundfunk“ durchsucht worden wären – oder eben „nur“ Online-Journalisten, die „immer wieder auch kritisch über das Agieren des BMG zum Nachteil der Apothekerschaft berichten“.
Wenn das BMG seine Informationen und Informationsquellen tatsächlich nicht „im Griff“ gehabt haben sollte, so erschließe sich nicht, warum Journalismus, der dies nutze, strafbar sei, so Wegner. Auch die Leitmedien arbeiteten tagtäglich mit „Quellen“ aus Ministerien. „Will das BMG dann aber ernsthaft über die Klassifizierung von Journalismus entscheiden?“
Laut Wegner ging es den Verantwortlichen darum, kritischen Journalismus zu verhindern, der sich zielgerichtet mit einem Berufsstand befasst hat und immer wieder auch den politisch Verantwortlichen im Ministerium „auf die Füße“ getreten ist – nicht nur im Zusammenhang mit der Apothekenbetriebsordnung, sondern auch mit den Honorarforderungen der Apotheker, dem Nacht- und Notdienst oder den Kontakten des BMG zu „solchen Kräften, die einen kompletten Systemwechsel in diesem Markt vorantreiben wollten“.
Laut Wegner lässt die Anklage im Übrigen nicht erkennen, welches „Tatobjekt“ vermeintlich verletzt worden sein soll. Es sei vollkommen unklar, worum es überhaupt gehen solle: „Welche Daten hat man sich verschafft? Wann? Durch wen? Wie?“ Weder bei der Durchsuchung im November 2012 noch danach sei ein einziges illegales Dokument aus dem BMG gefunden worden.
Aus der Akte werde weder klar, welche konkrete Tathandlung Bellartz zur Last gelegt werde, noch wie ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten begründet werden solle. Schließlich blende die Staatsanwaltschaft jegliche Aspekte des Journalismus sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur rechtlichen Einstufung von Medienangehörigen im Umgang mit Informationen und Informanten vollkommen aus.
Bellartz und der IT-Mitarbeiter sollen sich laut Anklage 2006 kennengelernt und dann vereinbart haben, Daten aus dem BMG zu stehlen, insbesondere aus den mit Arzneimitteln und Apotheken befassten Fachreferaten. Zwischen Januar 2009 und November 2012 sollen sie in 40 Fällen jeweils „gemeinschaftlich handelnd“ sich oder Dritten Zugang zu gesicherten Daten verschafft haben, die nicht für sie bestimmt waren. Dies ist unter dem juristischen Fachbegriff des Ausspähens strafbar. Der zweite Tatvorwurf betrifft das Bundesdatenschutzgesetz, demzufolge keine personenbezogenen Daten unbefugt erhoben und verarbeitet werden dürfen –insbesondere gegen Entgelt, in Bereicherungsabsicht oder zur Schädigung eines anderen.
Der Systemadministrator soll mit einem zu Wartungszwecken eingerichteten Testzugang die Inhalte diverser E-Mail-Postfächer auf externe Datenträger kopiert haben, inklusive Dateianhängen. Dabei sei beiden bewusst gewesen, dass die Informationen eigentlich nur für die jeweiligen Empfänger der E-Mails gedacht gewesen seien.
Dem Staatsanwalt zufolge wollten beide Angeklagten finanziell profitieren: Der IT-Mann unmittelbar, weil er für die Datenlieferungen von Bellartz jeweils zwischen 500 und 700 Euro erhalten haben soll, insgesamt 26.500 Euro.
Bei Bellartz konstruiert die Anklage den Vorteil indirekt: um sein Gehalt als ABDA-Kommunikationschef rechtfertigen zu können und zur Steigerung der Attraktivität von APOTHEKE ADHOC, weil seine damalige Frau zu dieser Zeit Geschäftsführerin der Firma EL PATO war.
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