55 Jahre: Arztpraxen droht Überalterung Patrick Hollstein, 31.05.2023 14:55 Uhr
Der Altersschnitt der prakitzierenden Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ist in den vergangenen 20 Jahren gestiegen: Waren Niedergelassene 2001 noch durchschnittlich knapp 50 Jahre alt, waren es 2021 schon 55 Jahre. Durch Renteneintritt der „Baby-Boomer“ droht laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) eine haus- und fachärztliche Versorgungslücke.
Während das Durchschnittsalter der niedergelassenen Haus- und Fachärzt:innen 2001 bei 49,8 lag, stieg es bis zum Jahr 2011 auf 52,7 und bis 2021 weiter auf 54,6 Jahre an, wie das Zi unter Berufung auf das Bundesarztregister schreibt. Die Entwicklung bei den Ärztinnen und Ärzten spiegelt sich auch in den einzelnen Altersgruppen wider: Die Anzahl junger Ärzt:innen bis 45 Jahre lag 2001 deutlich höher als 2011, 2021 zwar höher als 2011 – aber immer noch weit niedriger als 2001.
Zum Vergleich: Die in den öffentlichen Apotheken tätigen Approbierten sind laut Abda im Durchschnitt 47,8 Jahre alt, wobei die Inhaber:innen auf 53,5 Jahre kommen und die Angestellten auf 45,6 Jahre. In Krankenhausapotheken und Industrie/Verwaltung/Fachorganisationen/Wissenschaft liegt das Durchschnittsalter mit 42,2 beziehungsweise 42,8 Jahren deutlich niedriger.
Gleichzeitig sind die ältesten noch praktizierenden Mediziner:innen 2021 bereits über 80 Jahre alt. 2001 waren die ältesten Vertragsärzt:innen nur etwa 70 Jahre alt. Bereits heute sind mehr als ein Fünftel aller Vertragsärzt:innen älter als 60 Jahre. Die hohe Anzahl der Vertragsärzt:innen zwischen 57 und 60 Jahren im Jahr 2021 zeigt laut Zi die enorme Welle der zu erwartenden Ruhestandseintritte in den nächsten fünf bis sieben Jahren.
Mehr Ärzte in Teilzeit
Die Daten zeigen laut Zi zudem, dass die Zahl der an der Versorgung beteiligten Vertragsärzt:innen seit 2001 zwar von 117.650 um 25.451 beziehungsweise um 21,6 Prozent auf 143.101 gestiegen ist. Durch den Trend zur Anstellung und zu Teilzeitmodellen sinkt jedoch die Versorgungsleistung je Ärztin beziehungsweise Arzt: So stieg der Anteil angestellter Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen seit 2013 von 14 auf 26 Prozent im Jahr 2022. Der Anteil von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen in Teilzeit stieg im gleichen Zeitraum von 12 auf 33 Prozent. Selbst wenn eine freie Stelle nachbesetzt wird, bedeutet das laut Zi also nicht unbedingt, dass damit die gleiche Versorgungsleistung für die Patient:innen wie zuvor zur Verfügung steht.
„Wir befinden uns auch in der ambulanten ärztlichen Versorgung vor einer Zeitenwende. Aus dem vermeintlichen Überangebot ist eine drohende Unterversorgung geworden. Heute reden wir über Probleme bei der Terminvergabe“, so der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. „Die tragende Säule der medizinischen Versorgung in Deutschland wird personell deutlich schwächer werden.“
Er erläutert die Ursachen: Seit Ende der 1970er Jahre bremste die Gesundheitspolitik den Zugang zur Niederlassung und auch die Tätigkeit von Vertragsärztinnen und -ärzten bewusst ein, um die Ausgaben zu begrenzen. Vor der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes 1993, das eine restriktive Bedarfsplanung vorsah, beantragten viele Medizinerinnen und Mediziner noch die Zulassung für eine Niederlassung.
Baby-Boomer vor Renteneintritt
Jetzt komme diese Generation der ‚Baby-Boomer‘ in das Ruhestandsalter. Damit werde die Zahl der in der Versorgung verfügbaren Ärztinnen und Ärzte laufend abnehmen und die Zahl offener Sitze massiv ansteigen. „Gleichzeitig werden jüngere Medizinerinnen und Mediziner der Patientenversorgung nicht mehr im gleichen zeitlichen Umfang zur Verfügung stehen“, so von Stillfried. „Eine zunehmende Anzahl von Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums und der Facharztweiterbildung ist bis Mitte der 2030er Jahre nicht in ausreichendem Umfang zu erwarten.“
Das Zusammenspiel hoher Renteneintrittszahlen, sinkender Versorgungsleistung je Ärztin und Arzt sowie einer eher steigenden zukünftigen Inanspruchnahme der deutlich älter werdenden Patientinnen und Patienten führe zu großen Herausforderungen, die medizinische Versorgung in Zukunft abzusichern. „Das Engagement vieler älterer Ärztinnen und Ärzte weit über das Ruhestandsalter hinaus kann dies nicht ausgleichen. Wer Versorgungslücken insbesondere in den ländlichen Regionen mindern will, muss jetzt die Niederlassung fördern. Das ist Teil der Daseinsvorsorge.“
Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, die geeignet sind, Ärztinnen und Ärzte zu motivieren, der Patientenversorgung mehr Lebenszeit zu widmen. „Das bedeutet: mehr Gestaltungsspielräume, konsequente Entlastung von Verwaltungsaufgaben und eine höhere Attraktivität der Niederlassung“, so der Zi-Vorstandsvorsitzende.