Wie dramatisch ist die Lage der Apotheken? Darüber informierten die Abda, die Landesapothekerkammer Thüringen (LAKT) und der Thüringer Apothekerverband (ThAV) in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Diese startete mit Verspätung, denn die Bahn versetzte Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. „Wir wollen die Menschen in Thüringen nicht versetzen, wir wollen die Versorgung aufrechterhalten“, nahm sie den Ball auf.
Die Zahl der Apotheken hat das Allzeittief erreicht. 500 Apotheken haben im vergangenen Jahr ihre Türen geschlossen. Dies entspricht der Zahl der Apotheken in Thüringen. Overwiening lud zu einem Gedankenexperiment ein: „Was wäre, wenn Thüringen keine Apotheken mehr hätte? Kann man sich nicht vorstellen – die sind einfach immer da, wie Strom aus der Steckdose. Apotheken sind immer da.“
„Die Politik wäre gut beraten, den Apotheken möglichst viele bürokratische Hürden mit entsprechenden Kontrollzwängen zu ersparen. Denn nur so können in den Apotheken schnell geeignete Alternativen für die Patientinnen und Patienten gefunden werden“, appellierte Overwiening. Würden Apotheker:innen zu jeder Tages- und Nachtzeit die ihrer Expertise entsprechenden Entscheidungskompetenzen erhalten, würde dies die Versorgung sofort verbessern.
Und dann ist da noch der Aufwand in puncto E-Rezept. Patient:innen müssten informiert werden und könnten aufgrund von Systemausfällen zum Teil nicht versorgt werden. „Anstatt sensibel und kompetent eine schnelle Lösung dieser Probleme herbeizuführen, hat das Bundesgesundheitsministerium im Alleingang und entgegen den Warnungen aller Fachverbände in der Selbstverwaltung, ausländischen Großkonzernen einen neuen, unsicheren Zugriff auf E-Rezepte ermöglicht. Eine am Wohl der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Gesundheitspolitik sieht anders aus.“
Das Apothekenhonorar wurde seit elf Jahren nicht angepasst und zuletzt sogar gekürzt. Und das, obwohl die Kosten der Apotheken um 60 Prozent gestiegen seien – bei einer Inflation von 30 Prozent. „Gesundheit zu sichern ist kein Selbstläufer, weder im persönlichen noch im gesellschaftlichen Bereich. In Gesundheit muss man investieren.“ Doch die Ideen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seien nur Scheinreformen, er unternehme rein gar nichts, um die Apotheken zu stabilisieren.
Um die Arzneimittelversorgung und somit die Gesundheit zu sichern, werden Apotheken ihre Anliegen und die Interessen der Patient:innen in den kommenden Wochen deutlich sichtbar machen. Die neue Dachkampagne „Gesundheit sichern. Die Apotheke.“ werde die Patient:innen direkt in den Apotheken über die bedrohliche Lage informieren. Ab Montag werden deutschlandweit Aktionen in den Apotheken starten. Apotheken seien innovativ, kreativ und bereit sich zu verändern, aber das Alte müsse erhalten bleiben, so Overwiening.
„Aktuell befindet sich die Apothekenanzahl in Thüringen auf dem Niveau von 1995“, so LAKT-Präsident Ronald Schreiber. „Es ist Zeit zu handeln. Die Arzneimittelversorgung im Bund aber auch im Land muss dringend gestärkt werden.“ Schreiber hat mehrere Forderungen an die Politik und als Plan „Lebenszeichen Apotheke“ veröffentlicht.
Das ist der Sieben-Punkte-Plan:
Verbandschef Stefan Fink vermisst die Unterstützung des Staates, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Das Apothekensterben dynamisiere sich – weil es der Apotheke an Attraktivität und Wirtschaftlichkeit fehle. Das Honorar müsse dynamisiert erhöht werden. Die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheken trage sich selbst nicht. „Seit 2020 zahlen Apotheken rechnerisch im Schnitt pro abgegebener Packung drauf, 2023 waren es 46 Cent pro abgegebener Packung. Erst Rabatte, Skonti und die Quersubventionierung aus anderen Bereichen des Apothekenbetriebs führten gegebenenfalls noch zu einem positiven Betriebsergebnis.“
In dieser schon wirtschaftlich schwierigen Lage habe die Bundesregierung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz den Apothekenabschlag als Zwangsabgabe an die Kassen für zwei Jahre erhöht und damit eine durchschnittliche Apotheke zusätzlich mit 4100 Euro pro Jahr belastet.
Eine Apotheke in Thüringen versorgt im Durchschnitt mehr 4200 Menschen oder 12 Prozent mehr als 2011. Der Anteil der über 65-Jährigen pro Apotheke ist im gleichen Zeitraum sogar um mehr als 30 Prozent angestiegen, so Fink. Es sei Unsinn, wenn man Milliarden den Krankenhäusern oder anderen Leistungserbringern zur Verfügung stelle. Die Apotheken seien ein Schnäppchen.
Das Skonti-Verbot werde das Apothekensterben in Thüringen befeuern. „Das Urteil des BGH lässt gesichert erwarten, dass der Anteil der nicht mehr wirtschaftlichen Apotheken im Freistaat Thüringen auf circa 43 Prozent und der Anteil der defizitären Apotheken auf 13 Prozent steigen wird.“ Dabei seien die für 2024 zu erwartenden stark steigenden Personal- und Betriebskosten nicht eingepreist. Das bedeute in Zahlen: Von den derzeit 491 Apotheken in Thüringen seien 211 wirtschaftlich unrentabel und schon heute 64 quasi bankrott.
„Ohne eine schnellstmögliche Finanzhilfe des Bundes sowie eine angemessene und dynamisierte Erhöhung des Apothekenhonorars ist ernsthaft zu befürchten, dass die flächendeckende pharmazeutische Versorgung der Bevölkerung bereits in den nächsten Jahren nicht mehr überall in der Fläche aufrechterhalten werden kann.“
Am Mittwoch sollen die Apotheken in Thüringen auf die desaströse Lage aufmerksam machen. Die Kolleg:innen sind aufgefordert, Schaufenster und Apotheken-A zu verhüllen und die Versorgung über die Notdienstklappe sicherzustellen. Die Schaufenster sollen bis einschließlich 21. April verhüllt bleiben. „Mit dieser symbolhaften Aktion soll deutlich werden, dass die Apotheken und damit qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung vor Ort nicht mehr selbstverständlich für die Patienten verfügbar sein werden, wenn man ihnen die Existenzgrundlage nimmt.“
Auf dem DAV-Wirtschaftsforum werden zwei Gutachten vorgestellt, die die Pläne von Lauterbach beleuchten, so Overwiening. Zudem sollen die Apotheken für eine Woche die Fenster plakatieren und unter dem Motto: „Wir sehen rot.“ in Rot kleiden. Ziel sei es, mit den Patient:innen in Kontakt zu kommen und über die Notlage zu informieren.
„Wie erreichen wir die politisch Handelnden, dass sie sensibel werden für die Belange der Patient:innen“, fragt die Abda-Präsidentin. Politiker:innen in Berlin hätten keine Idee, was es bedeutet, wenn es keinen persönlichen Ansprechpartner vor Ort mehr gebe. Zudem werde die Kompetenz der Apotheker:innen nicht genutzt. Daher sollen Regale leergeräumt werden – Patient:innen sollen sehen, dass es nichts gibt.
Am 7. Juni ist der Tag der Apotheke, der soll in diesem Jahr der Tag der offenen Tür für die Politik werden: Alle seien herzlich eingeladen, auch spontan in die Apotheke zu gehen. Dies soll eine öffentlich wirksame Kampagne – es ist 5 vor 12 – unterstützen. Am Tag zuvor soll es eine Pressekonferenz geben.
„Jeder braucht Wertschätzung – auch Apotheker:innen“, so Overwiening. Dass PTA ohne Approbierte in der Apotheke versorgen dürfen sollen, lehnt die Abda-Präsidentin ab. „Das ist doch eine Abwärtsspirale.“ Das werde den Beruf in der Apotheke nicht attraktiver machen. „Die Versorgung in der Fläche erfolgt über die Apotheker:innen“, machte Overwiening klar.
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