Zwei Prozesse in Niedersachsen

28.000 Euro: Apotheker klagen gegen Kammerbeitrag

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Berlin -

Ob Versandhandel, Sterilherstellung oder Großhandel: Apotheken, die in Spezialbereichen hohe Umsätze fahren, müssen regelmäßig besonders hohe Kammerbeiträge zahlen – und das, obwohl sie nach eigenem Bekunden davon kaum profitieren, sondern mitunter sogar Steine in den Weg gelegt bekommen. In Niedersachsen versuchen derzeit zwei Apotheker, ihren Beitrag klein zu rechnen – bislang ohne Erfolg. Im ersten Fall wurden 28.000 Euro für die Zwangsmitgliedschaft bereits für zulässig erklärt.

In Niedersachsen zahlen laut Beitragsordnung der Kammer alle Inhaberinnen und Inhaber einen Beitrag, der sich an dem im vorausgegangenen Kalenderjahr erzielten Nettoumsatz der Apotheke im Kammerbezirk bemisst. Aktuell liegt der Beitrag bei 0,105 Prozent, eine Kappungsgrenze gibt es nicht. Der Jahresnettoumsatz erfasst alle Apothekenumsätze in voller Höhe, mit Ausnahme der Umsätze aus der Versorgung von Krankenhäusern mit Arzneimitteln, die nur zu einem Drittel einbezogen werden.

Zwei Apotheker aus dem Kammerbezirk, die mit ihren Apotheken auch als Großhändler aktiv sind, wollen dies nicht länger akzeptieren. Obwohl es bereits mehrere Entscheidung zu ähnlich gelagerten Konstellationen gibt, haben sie bereits Anfang 2022 gegen den Kammerbeitrag geklagt.

Im Fall von Dirk Düvel von den Wir-leben-Apotheken geht es um 6000 Euro, sein Fall vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg ruht allerdings derzeit. Denn in einem zweiten Verfahren ist die Sache schon weiter: Das Verwaltungsgericht Hannover hat einen Kammerbeitrag von knapp 28.000 Euro für zulässig erklärt. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt, nun muss das Oberverwaltungsgericht entscheiden.

Offizin- vs. Großhandelsumsatz

In dem Fall geht es um einen Apotheker, der namentlich nicht genannt werden will und der für 2020 gegenüber der Kammer nur einen „Apotheken-Offizin-Umsatz“ in Höhe von 3,6 Millionen Euro ausgewiesen hatte. Erst auf Nachforderung gab er zusätzlich ein Umsatz in Höhe von 22,9 Millionen Euro an, den er mit seinem pharmazeutischen Großhandel erzielt habe. Die Kammer setzte daher einen Beitrag auf der Grundlage des Gesamtumsatzes in Höhe von 27.881,28 Euro fest.

Der Apotheker klagte gegen den Bescheid. Es handele sich um zwei selbstständige Betriebe, die er in separaten Räumlichkeiten betreibe – das Großhandelslager befindet sich auf der anderen Straßenseite. Außerdem nutzte er unterschiedliche Warenwirtschaftssysteme. Die unzulässige Berücksichtigung dieser „sachfremden Umsätze“ führe nahezu zu einer Verzehnfachung seines Kammerbeitrags, ohne dass er dafür eine Gegenleistung erhalte. Da es sich um eine Zwangsmitgliedschaft handele, bedürfe es bei der Beitragsbemessung einer „restriktiven Interpretation“.

Doch die Festsetzung war laut Verwaltungsgericht Hannover „im Lichte der den berufsständischen Kammern wegen ihrer Selbstverwaltungsautonomie für die Regelung des Beitragsrechts zustehenden weitgehenden Gestaltungsfreiheit nicht zu beanstanden“. Der Wortlaut sei weit gefasst und schließe alle „Apothekenumsätze“ ein – also alle Umsätze, die mit dem Apothekenbetrieb erwirtschaftet werden.

Die Umsätze aus dem Großhandel gehörten schon deswegen zum Apothekenbetrieb, weil sie ebenfalls unter dem Namen der Apotheke erwirtschaftet würden. Daher sei es unerheblich, dass an den Großhandel zusätzliche rechtliche Anforderungen gestellt würden und dass es im konkreten Fall vollständig getrennte Warenkreisläufe gebe.

Kein eigenes Gewerbe

„Der Kläger hat für seinen Arzneimittelgroßhandel kein eigenständiges Gewerbe gegründet. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass sämtliche vom Kläger erzielten Umsätze – auch nach seiner eigenen unternehmerischen Entscheidung – im Rahmen seines Apothekenbetriebes erzielt werden. Der Apothekenbetrieb beinhaltet sowohl Einzel- als auch Großhandelstätigkeiten und hat die Teilnahme am Arzneimittelverkehr zum Gegenstand. Auch der erzielte Großhandelsumsatz ist mithin der Apotheke des Klägers zuzurechnen.“

Historisch gesehen sei der Arzneimittelgroßhandel auch als klassische Tätigkeit eines Apothekers zu begreifen, jedenfalls sei er keine dem Apotheker „wesensfremde“ Tätigkeit: „Vielmehr kann der Kläger für seinen Großhandel, indem auch diese Tätigkeit unter dem Dach seiner Firma erfolgt, das Renommee seiner Apotheke beziehungsweise als Apotheker und auch seine Kompetenz und Qualifikation fruchtbar machen.“ Das Berufsbild des Apothekers sei vielfältig und weit gefasst.

„Im Lichte dieser Erwägungen kann bei einem Apotheker, der unter der Firma seiner Apotheke einen Arzneimittelgroßhandel betreibt, nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Großhandel nicht zu seinem Kerngeschäft gehört. Die vom Kläger geltend gemachte räumliche und strukturelle Trennung der Tätigkeiten ändert mithin nichts an der Zugehörigkeit beider Umsätze zum Apothekenbetrieb.“

Ordnungspolitische Entscheidung

Dass die Klinikversorgung ausgenommen sei, spricht aus Sicht des Gerichts gerade für eine solche Auslegung und nicht dagegen: „Denn die Beitragsordnung geht in der besagten Vorschrift offenbar davon aus, dass Umsätze aus der Versorgung von Krankenhäusern mit Arzneimitteln und damit generell Sonderumsätze außerhalb des Apothekeneinzelhandels beziehungsweise Präsenzbetriebs dem Grunde nach unter die ‚Apothekenumsätze‘ fallen, denn sonst wäre die vorgenommene Privilegierung nicht erforderlich.“

Ohnehin sei der Umgang mit Umsätzen aus der Klinikversorgung eine „kammerpolitische Entscheidung“ gewesen, die die für die Beitragssatzung zuständige Kammerversammlung im Rahmen ihrer Satzungsautonomie getroffen habe. Daraus folge nicht, dass auch für andere Sonderumsätze ein Privilegierungstatbestand geschaffen werden müsse.

Privilegien sind nicht Pflicht

So ergebe sich aus höherrangigem Recht keine Verpflichtung der Kammer, in ihrer Beitragsordnung für Umsätze aus besonderen Geschäften einen privilegierenden Beitragsmaßstab zu schaffen oder diese Betriebstätigkeit beitragsfrei zu stellen. Da dem Kammergesetz für die Heilberufe (HKG) keine Vorgaben für die Bemessung von Kammerbeiträgen zu entnehmen seien, komme der Kammer aufgrund ihrer Satzungsautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. „Sie ist daher nicht gehalten, jedweden Besonderheiten, wie sie bei einzelnen Gruppen von Kammermitgliedern bestehen, Rechnung zu tragen. Vielmehr kann sie in sachlich vertretbarem Rahmen aus Praktikabilitätserwägungen, insbesondere im Interesse einer möglichst einfach zu handhabenden Beitragsordnung, bei der Beitragsbemessung Typisierungen und Pauschalisierungen vornehmen und von einer Differenzierung nach bestimmten Modalitäten der Berufsausübung absehen.“

Auch mit Blick auf das Verfassungsrecht und hier insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz sei die Differenzierung hinsichtlich der Beitragsermäßigung nicht zu beanstanden. Denn zwischen Großhandel und Krankenhausversorgung bestünden „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen“. Dies betreffe nicht nur die Tätigkeiten an sich, sondern auch die jeweiligen Vorschriften. So sei für die Klinikversorgung das Apothekengesetz (ApoG) relevant, der Großhandel sei dagegen im Arzneimittelgesetz (AMG) geregelt.

Kein garantierter Nutzen

Laut Gericht garantiert die Mitgliedschaft auch keinen konkreten Nutzen für das einzelne Mitglied, sondern nur für den gesamten Berufsstand. Abgesehen davon sei davon auszugehen, dass leistungsstarke Unternehmen von den Aktivitäten der Berufsvertretung per se einen höheren Nutzen ziehen könnten als wirtschaftlich schwächere: „Eine günstige Beeinflussung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird im allgemeinen den größeren Unternehmen – entsprechend ihrer größeren Wirtschaftskraft – stärker zugutekommen als kleinen.“

Dies stelle einen hinreichenden Bezug zwischen Vorteil und Beitragshöhe dar; jedenfalls sei nicht erforderlich, dass „der Beitrag einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil ausgleicht, der sich bei dem einzelnen Kammerangehörigen messbar niederschlägt“. Kammern hätten in erster Linie die Gesamtbelange ihrer Mitglieder zu wahren, wobei eine starke Interessenvertretung dem Inhaber auch im Hinblick auf seinen Arzneimittelgroßhandel zugute komme: „Ein Apotheker profitiert beim Verkauf sämtlicher Produkte und beim Anbieten aller Dienstleistungen im Rahmen seines Apothekenbetriebs ganz erheblich von dem Renommee seines Berufsstandes, das durch die Lobbyarbeit der Apothekerkammern gefördert wird.“

Sechsstellige Kammerbeiträge

Das Urteil aus Hannover bestätigt eine Reihe von Entscheidungen, in denen Apotheker mit Spezialaktivitäten zur Zahlung des kompletten Kammerbeitrags verpflichtet wurden. In Niedersachsen hatte der damalige Sanicare-Inhaber Johannes Mönter 2008 versucht, seine Einnahmen aus dem Versandhandel auf juristischem Weg vom Kammerbeitrag befreien zu lassen. Bei ihm ging es um eine Rekordsumme von immerhin 250.000 Euro. Doch er scheiterte vor Gericht genauso wie acht Jahre später Hermann Rohlfs, Inhaber der Privilegierten Rats-Apotheke in Uslar, der wegen seiner Umsätze im Bereich der Sterilherstellung in Höhe von rund 60 Millionen Euro zur Zahlung von mehr als 70.000 Euro verpflichtet wurde.

Auch in Sachsen wurde bereits über den Kammerbeitrag gestritten: Die Inhaberin der Apotheke im Paunsdorf-Center in Leipzig hatte nur Umsätze des Offizinbetriebs gemeldet – und versehentlich die Erlöse ihrer Versandapotheke Apo-Discounter vergessen, wie sie später vor Gericht versicherte. Die Kammer hatte aber beim Finanzamt eigene Auskünfte eingeholt und auf Basis eines Umsatzes von 53 Millionen Euro einen Beitrag von insgesamt rund 200.000 Euro festgesetzt. Dass Apo-Discounter defizitär war, ließen die Richter in ihrem Verfahren nicht als Argument gelten.

Die City-Apotheke in Hohenstein-Ernstthal bei Chemnitz wiederum gehörte zwar 2012 mit Umsätzen von 750.000 Euro zu den kleineren Betrieben im Freistaat; doch als Großhändler erzielte Inhaber Falk Hentzschel im selben Jahr Umsätze von mehr als 14 Millionen Euro. Daher sollte er für 2013 gemäß Beitragssatz in Höhe von 0,085 Prozent vom Umsatz einen Kammerbeitrag von knapp 15.000 Euro zahlen; das Verwaltungsgericht Chemnitz (VG) wies seine Klage 2019 ab.

Das Verwaltungsgericht Münster hatte 2012 die Beitragsordnung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) für zulässig erklärt: Weil die Beitragsbemessungsgrenze gestrichen worden war, musste die Berg-Apotheke von Paul-Christoph Dörr mit einem Umsatz von 127 Millionen Euro knapp 140.000 Euro nachzahlen. Dass andere Kammern den Beitrag deckelten oder Teilbereiche ausnähmen, ändere nichts an der Befugnis der Kammer, ihre eigenen Regeln zu erlassen, so die Richter damals.

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