Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Höchste Zeit, die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen. Von Höhen und Tiefen zu sprechen, ist vermutlich schwierig. Zwar ließ sich das Apothekenreformgesetz (ApoRG) noch verhindern, doch damit enden die Lichtblicke eigentlich auch schon.
Bereits 2023 endete mit einem Knall: Kurz vor Weihnachten legte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Eckpunkte für seine Apothekenreform vor. Von Anfang an machte er deutlich: Frisches Geld für die Apotheken wird es nicht geben. Seine „Honorarerhöhung“ sollen die Apotheken laut seinen Plänen durch eine Senkung des prozentualen Anteils quasi selbst finanzieren. Lauterbach sprach von einer Umverteilung.
Dann der zweite Paukenschlag: Lauterbach erklärte, dass Apotheken seiner Meinung nach auch problemlos ohne einen Apotheker vor Ort auskommen könnten – das Konzept nannte er „Telepharmazie“. Kein guter Start für 2024, doch es handelte sich zunächst nur um Eckpunkte – ein konkreter Referentenentwurf lag noch nicht vor.
Statt einer Reform, die der wirtschaftlich angeschlagenen Branche wenigstens ein wenig Perspektive gegeben hätte, mussten Apotheken gleich zu Beginn des Jahres einen weiteren Rückschlag verkraften: Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass Skonti bei Rx-Medikamenten unzulässig sind, sofern der Nachlass die 3,15-prozentige Handelsspanne übersteigt. Damit entfiel der letzte Einkaufsvorteil der Apotheken.
Einen Referentenentwurf gab es zwar immer noch nicht, dafür aber eine warnende neue Kampagne der Abda: Mit roten T-Shirts und unter dem Motto „Wir sehen rot“ wollte die Standesvertretung vom 22. bis 27. April auf die Lage der Apotheken hinweisen. Bei der Aktion sollten Apothekenteams bundesweit in roter Kleidung auftreten und damit ein „alarmierendes Zeichen gegen die Sparpolitik der Regierung“ setzen. Die Aktion kam bei den Apothekenteams allerdings nicht gut an: In vielen Betrieben ist die Dienstkleidung ohnehin rot, sodass die T-Shirts kaum auffielen.
Mit dem fertigen Entwurf ließ sich Lauterbach viel Zeit. Kein Wunder: Der Minister plante, im dritten Jahr der Legislaturperiode zahlreiche Gesetzesvorhaben durchzubringen. Erst im Juni lag der Entwurf schließlich vor – und Lauterbach hielt trotz massiver Kritik an den Eckpunkten fest. Er wollte die Reform noch vor der Sommerpause im Kabinett beschließen lassen und zeigte sich überzeugt, dass sie ohne größere Änderungen verabschiedet würde.
Während die Abda weiterhin passiv blieb, um sich „am Gesetzgebungsverfahren zu orientieren“, gingen andere Verbände in die Offensive. Der hessische Apothekerverband machte den Anfang und organisierte Protestaktionen und Kundgebungen. Es folgten Thüringen, Sachsen und später Brandenburg – in allen drei Bundesländern fanden die Proteste kurz vor den Landtagswahlen statt. Die mediale Aufmerksamkeit zeigte Wirkung: Politiker, darunter Spitzenkandidaten, sprachen sich in den betroffenen Bundesländern klar für die Apotheken und gegen Lauterbachs Reformpläne aus.
Auch in den Koalitionsverträgen der Landesregierungen spiegelten sich einige Forderungen der Apothekerschaft wider. Beispielsweise könnten in Brandenburg künftig Pharmazie-Studienplätze entstehen.
Die Politiker aus den Ländern holten sich für die Wahlkämpfe Unterstützung aus dem Bund. In Sachsen trat beispielsweise FDP-Chef Christian Lindner auf und erklärte: „Fakt ist, dass für uns keine Apotheken ohne Apotheker in Betracht kommen.“ Auch weitere FDP-Mitglieder positionierten sich daraufhin klar gegen Lauterbachs Reform – darunter auch mehrere Bundesminister – mit dem Ergebnis, dass das ApoRG das Kabinett nicht passieren konnte.
Bis zuletzt weigerte sich Lauterbach, das Scheitern seiner Reform offiziell einzugestehen. Erst im Oktober räumte er ein, dass die Apothekenreform vorerst nicht umgesetzt werde. Bei einem Termin in seinem Wahlkreis Leverkusen wurde Lauterbach von Apothekern mit kritischen Fragen konfrontiert – einige trugen weiße Kittel. Die Veranstaltung wurde regelrecht von Apothekern gekapert, andere Gesundheitsberufe gerieten hier sehr in den Hintergrund. Die Apothekenreform werde „hintenangestellt“, so Lauterbach, und die Branche sei laut ihm selbst schuld an der Situation, da sie sich wenig kooperativ gezeigt habe.
Weniger quer stellte sich Lauterbach dagegen bei den Vorschlägen den amerikanischen Pharmakonzern Lex Lilly. Im Oktober wurde bekannt, dass Aspekte des im September beschlossenen Medizinforschungsgesetzes (MFG) wohl auf Wunsch des Konzerns in den Gesetzesentwurf aufgenommen wurden. Die Zusage für eine Milliardeninvestition in Rheinland-Pfalz war demnach daran gekoppelt, dass für neue Wirkstoffe vertrauliche Erstattungsbeträge vereinbart werden können. Auch der Bundeskanzler soll hier Druck gemacht haben.
Das Problem: Die geheimen Preise würden einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeuten. Sowohl die Krankenkassen als auch Stimmen aus dem BMG warnten vor der Regelung. Dennoch setzte sich Lauterbach durch. Die Union hatte Aufklärung gefordert und vor Weihnachten eine Sondersitzung beantragt.
Die Regierungskoalition war zu diesem Zeitpunkt bereits in schwerem Fahrwasser. Lange vor dem endgültigen Bruch der Koalition wurde bereits über ihr Ende spekuliert. Ständig war von Streit und Uneinigkeit die Rede, teils schossen die einzelnen Koalitionspartner öffentlich gegeneinander. Anfang November erklärte Bundeskanzler Scholz nach erfolglosen Krisengesprächen die Entlassung von Finanzminister Lindner. Das Ende der Ampel markierte zugleich das Aus vieler Reformen, auch in der Gesundheitspolitik.
Doch Lauterbach kämpfte weiter für seine Pläne: Kurz vor Weihnachten brachte er noch zwei Reformen durchs Kabinett. Auch prüfte er, ob das RKI zugunsten eines neuen Instituts ohne parlamentarische Zustimmung aufgespalten werden könne. An Maßnahmen zur Unterstützung der Apotheken, denkt der Minister dabei nicht.
Eigentlich hätte das Ende der Ampel eine Chance auf einen Neustart sein können. Doch ausgerechnet in dieser Zeit gelang es der Abda nicht, Geschlossenheit zu demonstrieren. Überraschend wurde Präsidentin Gabriele Regina Overwiening nicht wiedergewählt und erklärte, auch nicht mehr für eine Wahl zur Verfügung zu stehen. Die Quittung bekamen die Apotheker sofort: In keinem der Wahlprogramme spielen die Apotheken eine Rolle.
Eine Woche vor Weihnachten ließ dm die Bombe platzen: Der Drogeriekonzern will in den Apothekenmarkt einsteigen. In der dm-App und im Webshop soll es künftig einen Reiter „Medizin“ geben, mit OTC-Medikamenten und Apothekenkosmetik. Insgesamt 2500 OTC-Produkte und 1500 Kosmetikartikel sollen zum Start angeboten werden. Eine eigenständige Versandapotheke ist zunächst nicht geplant. Der offizielle Launch ist für Oktober vorgesehen, dm rechnet mit einem dreistelligen Millionenumsatz.
Die Apotheken beenden das Jahr ohne Aussicht auf eine rettende Reform, ohne klare politische Maßnahmen zu ihren Gunsten und sogar ohne eine funktionierende Standesvertretung. Die Aussichten für das kommende Jahr sind düster.