2019: Schicksalsjahr für Apotheker Lothar Klein, 29.12.2018 09:05 Uhr
Selten gab es beim Blick in die Glaskugel für das neue Jahr so viel Unsicherheit wie derzeit. Am Horizont zeichnen sich für die Apotheker durchgreifende Veränderungen ab – aufgrund politischer Reformen, aber auch im Zuge digitaler und wirtschaftlicher Veränderungen. Der Apothekenmarkt ist in Bewegung wie schon lange nicht mehr. Aber: Wohin die Reise geht, ist unklarer denn je. Was macht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)? Wohin führen die Initiativen von Noweda/Burda und von Noventi/Wort&Bild und Co.? Und welche Veränderungen zieht das E-Rezept nach sich, das 2019 getestet wird? Fragen über Fragen, die Antworten sind ungewiss.
Nach der kurzen Weihnachts-/Silvesterpause geht es für die Apotheker zu Jahresbeginn sofort im Sprinttempo los. Der Terminkalender ist vollgepackt. Auf dem Tisch liegt der Acht-Punkte-Plan von Spahn zur Reform des Apothekenmarktes. Am 17. Januar treffen sich Kammern und Verbände erneut zu einer ABDA-Sondermitgliederversammlung. Dort soll über Spahns Plan B als Alternative zum versprochenen Rx-Versandhandelsverbot abgestimmt werden. Gleich in der ersten Wochen treffen sich in einigen Kammern und Verbänden die Vorstände zu Sondersitzungen. Andere Kammer und Verbände haben bis zum 17. Januar Mitgliederversammlungen einberufen. Die Frage steht im Raum: Wie gehen die Apotheker mit Spahn Vorschlägen um?
Derzeit zeichnet sich ein gespaltenes Bild ab. In den Kammern gibt es erheblichen Widerstand: Nordrhein hat bereits Nein gesagt. Auch in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, dem Saarland tut man sich schwer mit Spahns Ideen. Vor allem die Absicht, einen 2,50 Boni-Deckel ins deutsche Sozialrecht zu schreiben, stößt auf Ablehnung. Der Ausgang der Abstimmung ist ebenso ungewiss wie Spahns Reaktion auf ein Nein der Apothekerschaft. Zieht er seinen Plan B durch, nimmt er Korrekturen vor, lässt er seinen Plan B fallen und ein Rx-Versandverbot auf dem Gesetzesweg scheitern oder macht er gar nicht mehr? Jede Reaktion Spahns bedeutet für die Apotheker eine neue Lage mit erheblichen politischen wie wirtschaftlichen Risiken.
Am 11. Dezember hatte Spahn in der ABDA-Mitgliederversammlung das lange gehütete Geheimnis gelüftet: 375 Millionen Euro wert ist sein Plan B. Kassen dürfen danach ihre Versicherten nicht in die Arme der ausländischen Versandapotheken treiben und keine Einzelverträge mit abweichenden Preisen schließen. Auch das „Makeln“ von E-Rezepten will Spahn verbieten. Und der Deutsche Apothekerverband (DAV) erhält einen Strukturfonds von 240 Millionen Euro. Dafür und für den Nacht- und Notdienstfonds (NNF) steigt das Fixhonorar zweckgebunden um 48 Cent je Rx-Packung. Der Botendienst soll erweitert und die Temperaturkontrolle konkretisiert werden. Auch für ein neues EuGH-Verfahren macht Spahn Versprechungen.
Aber der entscheidende Punkt ist der Verzicht auf das im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Rx-Versandverbot. Stattdessen soll die Möglichkeit der Boni-Gewährung für ausländische Apotheken auf 2,50 Euro je abgegebener Packung begrenzt werden. Um zu verhindern, dass es wegen der Boni zu allzu gravierenden Verschiebungen der Marktanteile kommt, die die flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährden, wird die Entwicklung evaluiert. Sofern der Marktanteil des ausländischen Versandhandels 5 Prozent übersteigt, werden die Möglichkeiten zur Boni-Gewährung „überprüft und reduziert“.
Aber nicht Spahn allein treibt Unsicherheit in den Apothekenmarkt. Wichtige Player haben sich verbündet, um Antworten auf die Digitalisierung zu definieren und damit verbundene neue Angebote zu kreieren. Apotheken-/Patienten-Apps drängen in den Markt. Noventi und ARZ Darmstadt haben sich zur Vermarktung von Callmyapo zusammengeschlossen. Im Norden schmieden ARZ Haan und NARZ ein App-Konkurrenzbündnis.
Mehr noch: Noweda/Burda auf der einen Seite und Noventi, Wort&Bild, Gehe, Sanacorp und Rowa haben sich zur Initiative „PRO AvO“ (PRO Apotheke vor Ort) zusammengeschlossen. Beide wollen mit Handelsplattformen den Apothekenmarkt umkrempeln und damit dem erwarteten Markteintritt des Internetriesen Amazon zuvorkommen. Die Idee: Patienten sollen per App von jedem Ort aus Arzneimittel vorbestellen können. Die Apotheke vor Ort besorgt die Abgabe oder Lieferung. Die Grundidee dazu lieferte unter anderem Apotheker Ralf König mit Curacado: „Gemeinsam sind wir schneller als Amazon. 10.000 Fische sind stärker als der erste Hai.“ Inzwischen wurde Curacado vom Wort&Bild-Verlag übernommen.
Wie die neuen Handelsplattformen den Apothekenmarkt verändern werden, lässt sich nur erahnen. Klar ist jedenfalls, dass das traditionelle Apothekengeschäft als Einzelkaufmann, der auf seine Kunden mit Rezepten oder einer Erkältung wartet ein Auslaufmodell ist. Apotheker werden sich vernetzen, mit Handelsplattformen mit Ärzten und ihren Kunden.
Durchschütteln wird den Apothekenmarkt auch das E-Rezept. Gesundheitsminister Spahn drückt bei der Einführung aufs Tempo – und auch die ABDA reagiert. Im Frühjahr 2019 geht in Baden-Württemberg das „Gerda“-Pilotprojekt des dortigen Landesapothekerverbandes an den Start. Mit Modellprojekten hat man im „Ländle“ Erfahrung. Dort erproben die Ärzte bereits seit dem Frühjahr Video-Sprechstunden. In den „docdirekt“-Modellregionen soll auch Gerda seinen Tauglichkeit unter Beweis stellen. Die ABDA ist über die Avoxa-Tochter NGDA als Dienstleister mit im Boot. „Gerda“ steht für „Geschützter E-Rezept-Dienst der Apotheken“.
Das Projekt Gerda soll technisch gesehen als „geschützter Rezeptspeicher“ entwickelt werden. Durch definierte Schnittstellen sollen Ärzte ein verschlüsseltes Rezept in diesen Speicher ablegen können. Der Patient behält die Hoheit über dieses Rezept und kann frei entscheiden, in welcher Apotheke er das Rezept einlösen will. Hierfür kann er entweder eine Apotheke seiner Wahl aufsuchen und diese beauftragen, das Rezept vom Rezeptspeicher zu beziehen. Oder er verwendet einen Dienst der Leistungserbringer oder eines Drittanbieters, beispielsweise in Form einer App oder einer Desktopanwendung, um das Rezept weiterzuleiten. Mit einem Klick landet das E-Rezept aber auch bei DocMorris und Co. Von der Einführung des E-Rezepts erwarten Experten den Durchbruch des Versandhandels auch im rezeptpflichtigen Arzneimittelsegment. Aber auch die Apothekenrechenzentren bekommen die Umstellung zu spüren. Das E-Rezept ist ein digitaler Scheck, das Handling der Papierrezepte fällt Schritt für Schritt weg. Das wird Konsequenzen für die Mitarbeitern in den überwiegend apothekeneigenen Rechenzentren nach sich ziehen.