Kollegen geben Prozesshilfe

17 Apotheker gegen die AOK Bayern

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Berlin -

Die AOK Bayern spielt gegen Apotheker Dr. Franz Stadler auf Zeit. Aus Gerichtsdokumenten geht hervor, dass die Kasse den Prozess weiter hinauszögern will. Seit Jahren kämpft Stadler gegen die aus seiner Sicht ungerechtfertigten Retaxationen, in erster Instanz hat er gewonnen. Jetzt haben sich in einem Akt der Solidarität 16 Kollegen bereit erklärt, die Prozesskosten untereinander zu teilen.

Der Streit dreht sich um nicht vermeidbare Verwürfe bei parenteralen Zubereitungen. Die AOK verweigert die Erstattung dieser Teilmengen, bei denen die verbindliche Haltbarkeitsangabe überschritten ist. Eigentlich ist die Abrechnung in der Anlage zur Hilfstaxe zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband (DAV) geregelt. Die anderen Krankenkassen halten sich daran, nicht so die AOK Bayern.

Die Kasse beruft sich auf Studien, die eine über die Fachinformation hinausgehende Haltbarkeit nahelegen. Bei ihren Retaxationen der Verwürfe legt sich die AOK selbst aber nicht auf eine konkrete Haltbarkeit fest – vermutlich aus Haftungserwägungen. Die Apotheker:innen können also entweder den wirtschaftlichen Schaden in Kauf nehmen oder ihre Patient:innen mit formal abgelaufenen Rezepturen versorgen. Ein Skandal, findet Stadler, der wie andere Kollegen gegen die AOK klagt.

Das Verfahren der Stadlers – Klägerin ist seine Frau Beatrix – läuft seit 2014, in erster Instanz vor dem Sozialgericht München haben sie vollumfänglich gewonnen. Aktuell ist die AOK sehr bemüht darum, die Verhandlung vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) hinauszuzögern. Parallel hält sie – trotz des Münchener Urteils – an ihrer Retaxationspraxis fest. Stadler hat seine Sempt-Apotheke in Erding zwischenzeitlich verkauft und könnte auf den von der AOK angebotenen Deal eingehen. Doch er sieht ein grundsätzliches Problem: „Die Sicherheit der Arzneimittel ist genau das, wofür wir Apotheker stehen. Daran darf nicht gerüttelt werden.“

Deshalb will er weiter gegen die Retaxationen kämpfen – obwohl seit Jahren erhebliche Prozesskosten anfallen. Der Bayerische Apothekerverband (BAV) hat nach Stadlers Angaben ohne nähere Begründung die Prozesskostenunterstützung trotz des Siegs in erster Instanz eingestellt. Ein Verbandssprecher teilte dazu mit, dass der Vorstandsbeschluss auf das Verfahren in erster Instanz beschränkt gewesen sei. Das in diesem Fall klagende Verbandsmitglied habe die BAV-Mitgliedschaft zudem zum Jahresende 2019 gekündigt, das Verfahren sei bis zum Urteil im Juni 2020 finanziert worden. In der Sache ist der BAV aber auf Stadlers Seite. Man halte die Auffassung der AOK Bayern für unzutreffend und die Retaxationen für unberechtigt und vertragswidrig. „Maßgeblich für die Beurteilung von vermeidbaren Verwürfen ist die jeweils aktuelle Fassung der Hilfstaxe sowie die Fachinformationen der einzelnen Stoffe", so der Sprecher. Es sei auch keine andere Kasse bekannt, die so verfahre wie die AOK Bayern.

Dafür springen jetzt Kollegen ein. Dr. Thomas Wellenhofer, mit dem zusammen Stadler bei der „Arge PareZu“ (Arbeitsgemeinschaft parenterale Zubereitungen) aktiv ist, hat einen Appell an andere Zytostatika herstellende Apotheken verschickt. Es sein nicht im Interesse der herstellenden Apotheken, dass die AOK Bayern eine klare Entscheidung weiter hinauszögere. Dafür setze sich Stadler ein.

„Deshalb gebietet es die Fairness, dass die anfallenden Prozesskosten auf mehrere Schultern verteilt werden. Ich bitte also um Rückmeldung, wer sich an den Kosten beteiligen will“, so Wellenhofer. Im ersten Schritt geht es konkret um Anwaltskosten für die Vorbereitung der Verhandlungen der nächsten Instanz in Höhe von derzeit 5500 Euro. Und der Appell hat Wirkung gezeigt: 16 Kollegen haben Stadler bereits ihre Unterstützung zugesagt, die allermeisten aus Bayern. Damit fühlt sich Stadler nicht nur finanziell, sondern auch emotional gestärkt, um den Kampf gegen die AOK Bayern fortzuführen.

Die Kasse lässt derweil wenig unversucht, um den Prozess in die Länge zu ziehen. So wurde gegenüber dem Gericht mitgeteilt, man stelle die Berufungsbegründung zurück. Begründung: Man stehe in Gesprächen mit Stadler, eine außergerichtliche Einigung sei möglich. Außerdem laufe ein weiteres Verfahren der Apotheke vor dem Sozialgericht Nürnberg, bei dem Sprungrevision zum Bundessozialgericht vereinbart sei – also ohne Zwischenstation beim Landessozialgericht. In diesem Fall sei also schneller mit einer Klärung der Rechtsfrage zu rechnen.

Stadlers Anwälte widersprechen dem Antrag auf Ruhen des Verfahrens nachdrücklich. Das von der Kasse zitierte Verfahren aus Nürnberg sei nicht bekannt. Abgesehen davon würde man die Rechtsfrage gern selbst geklärt wissen, nachdem man bereits sechs Jahre auf die erstinstanzliche Entscheidung habe warten müssen. Ein Ruhen des Verfahrens komme auch deshalb nicht infrage, weil die AOK Bayern „die umstrittene Retaxationspraxis nach wie vor konsequent fortsetzt“. Entsprechend müsse auch die Klage immer wieder um neue Forderungen erweitert werden, was bei einem ruhenden Verfahren nicht möglich wäre. Die AOK soll daher ihre Berufung begründen, damit das Verfahren weitergeht. Die Kasse äußert sich selbst nicht zu laufenden Verfahren.

 

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