Apotheker stellen unter den Leistungserbringern nicht die meisten Abrechnungsbetrüger – verursachen aber mit weitem Abstand den größten Schaden. Durch gefälschte Abrechnungen und andere Betrügereien ist der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) im vergangenen Jahr ein Gesamtschaden von 1,8 Millionen Euro entstanden. Auf die Apotheken entfielen zwei Drittel – 1,2 Millionen Euro.
Wie jedes im März hat die KKH wieder eine Bilanz der spektakulärsten Fälle von Abrechnungsbetrug gezogen. Das Ermittlerteam deckte 810 neue Fälle auf. Es gab 47 Strafanzeigen.
„Betroffen sind nahezu alle Bereiche des Gesundheitswesens“, sagte KKH-Chef Ingo Kailuweit. „Die schwarzen Schafe der Branche wenden zum Teil erhebliche kriminelle Energie auf, um sich zu bereichern und dem Gesundheitssystem dringend benötigte Gelder unrechtmäßig zu entziehen.“
Am teuersten kamen die KKH Verstöße im Apothekenbereich zu stehen: Hier entstand 2016 ein Schaden von knapp 1,2 Millionen Euro. Unter anderem rechnete eine Apotheke Blutzuckerteststreifen in exorbitant hohen Mengen ab und sorgte somit alleine für einen Schaden von fast 75.000 Euro.
Die Prüfung ergab, dass anstelle der verordneten einzelnen Teststreifen von der Apotheke ganze Packungen abgerechnet wurden. Das heißt, bei zwei verordneten Packungen mit jeweils 50 Teststreifen wurde der Preis für zweimal 50 Packungen abgerechnet. Die KKH erstattete federführend Strafanzeige. Alleine bei der KKH betrug der Schaden fast 75.000 Euro. Für alle Kassen könnte der Schaden danach bei drei Millionen Euro liegen.
Die zweithöchste Schadenssumme verzeichnete die KKH bei ambulanten Pflegediensten mit 215.000 Euro. Ein Pflegedienst hat beispielsweise frei erfundene Pflegekurse für Angehörige abgerechnet und so einen Schaden von 56.7000 Euro verursacht. Auf Platz 3 folgen Sanitätshäuser. Hier betrieb unter anderem ein Diabetesfachhandel Räumlichkeiten in einer Arztpraxis und verstieß dabei gegen das neue Antikorruptionsgesetz.
Als Top 10 der neu aufgedeckten Fälle listet die KKH für 2016 folgende Fallzahlen auf: Krankengymnasten/Physiotherapeuten (116), Pflege ambulant (99), Ärztliche Leistung außerbudgetär (90), Apotheke (55), Orthopädische Hilfsmittel/Sanitätshäuser (32), Zahnärztliche Leistung (17), Orthopädische Hilfsmittel/Schuhmacher (11), Ergotherapie (8), Hebammen (7) und Logopädie (5).
Kailuweit begrüßte das Inkrafttreten des Antikorruptionsgesetzes: „Endlich ist Realität geworden, was wir als Krankenkasse bereits seit Jahren gefordert haben. Viel zu lange waren Ermittlungsbehörden die Hände gebunden.“ Natürlich entfalte ein derartiges Gesetz seine Wirkung nicht innerhalb von wenigen Monaten. Trotzdem habe das Antikorruptionsgesetz bereits dazu geführt, dass Ermittler wie Oberstaatsanwalt Christian Müller aus Celle jetzt aufgrund klarer rechtlicher Regelungen ihrer Tätigkeit nachgehen könnten. Insofern sei man „guter Hoffnung, Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen zukünftig wirksam bekämpfen zu können“.
Außerdem hat die KKH laut Kailuweit bereits einen größeren Fall aufgrund des Antikorruptionsgesetzes bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angezeigt: „Uns hatte ein Hinweis erreicht, dass ein Sanitätshaus Räumlichkeiten in einer Arztpraxis betreibt. Dabei werden die Patienten von den Sanitätshaus-Mitarbeitern auf Zuruf direkt in der Arztpraxis versorgt. Das Sanitätshaus zahlt der Ärztin mehr oder weniger Miete – je nach Anzahl der verordneten Rezepte. Das ist ein Klassiker der unzulässigen Zusammenarbeit.“
Von der in 2016 festgestellten Schadenssumme in Höhe von 1,8 Millionen Euro konnte die KKH 850.000 Euro bereits wieder zurückholen: „Das ist mehr als das Doppelte der vergangenen Jahre und damit ein Rekordergebnis“, so Kailuweit. Die aufgedeckten Fälle erstrecken sich über die verschiedensten Leistungsbereiche: Die Apotheken seien „Spitzenreiter bei der Schadenssumme“. Kailuweit: „Hier konnten wir Forderungen von 1,2 Millionen Euro geltend machen. Ein einzelner Apotheker verursacht schnell mal einen höheren Schaden als alle Physiotherapeuten zusammen.“ Bereits unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten werde deutlich, dass die KKH-Ermittler eine extrem wichtige Aufgabe erledigten – im Sinne der Beitragszahler.
Festzustellen sei, dass in letzter Zeit illegale Geschäftspraktiken oftmals auch die Gesundheit der Versicherten massiv gefährdeten, insbesondere in der Pflege. „So haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr einen Pflegedienst überführt, der für die sogenannte Behandlungspflege wie etwa die Wundversorgung in großem Umfang nicht qualifiziertes Personal eingesetzt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelte einen Gesamtschaden von 200.000 Euro“, so der KKH-Chef.
Zudem setzten Pflegedienste häufig nicht qualifiziertes Personal ein. Erst kürzlich sei ein Fall auf den Tisch bekommen, in dem eine Wohngruppe aus bis zu zehn Schwerstpflegefällen mit einer 24-Stunden-Betreuung von einer einzigen Person überwacht worden ist – ein ehemaliger LKW-Fahrer, der nur kurz angelernt wurde. Kailuweit: „Diese Form von Gewinnmaximierung auf Kosten besonders schwacher Menschen empfinden wir als extrem abstoßend.“
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