Vor etwa sieben Jahren war Merck bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) mit seinem Zulassungsantrag für Cladribin gescheitert, die Sicherheitsbedenken waren zu groß. Nun gab es im zweiten Anlauf doch noch grünes Licht. Der Wirkstoff gilt als wichtiger Hoffnungsträger für den Darmstädter Pharmakonzern.
Cladribin kann künftig in der EU sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen vermarktet werden. Das Präparat mit dem Handelsnamen Mavenclad ist zur Behandlung von Erwachsenen mit rezidivierenden Formen der Multiple Sklerose (MS) zugelassen. Das Arzneimittel steht als MS-Patienten als orale Darreichungsform zur Verfügung und könnte die Therapie erleichtern.
Cladribin soll die Häufigkeit der Schübe mindern und so die Krankheitsprogression verzögern. Das Arzneimittel lindert vermutlich durch Reduktion der Anzahl von T- und B-Lymphozyten Entzündungen im zentralen Nervensystem. Auch auf das Zytokinprofil könne Cladribin Einfluss nehmen und so antientzündlich wirken. Die Wirkung konnte in drei Phase-III-Studien mit 1326 Patienten mit schubförmiger remittierender MS (RRMS), die Verum oder Placebo erhielten, bestätigt werden.
Der Wirkstoff zählt zur Stoffgruppe der Zytostatika und wird als Infusionslösung bereits zur Behandlung der Haarzellen-Leukämie eingesetzt. Das Prodrug wird in den Körperzellen zum aktiven Triphosphat phosphoryliert. Der aktive Metabolit baut sich als falscher Bestandteil in die DNA ein und hemmt die Polymerasen. Die Zellteilung wird unterbrochen und es kommt schließlich zur Apoptose. Der Antimetabolit verursacht somit Strangabbrüche und verbraucht Lymphozyten. Während der Behandlung sind Nebenwirkungen wie Lymphopenie, Infektionen, Hautausschläge und Herpes zoster möglich.
Mit Cladribin will Merck an die Erfolge des Kassenschlagers Rebif (Interferon beta), der ebenfalls bei MS zum Einsatz kommt, anknüpfen. Das Interferon muss gespritzt werden, die Tablette gilt als anwenderfreundlicher. Konkurrenzprodukte gibt es dennoch – Gilenya (Fingolimod, Novartis) und Aubagio (Teriflunomid, Genzyme) sind als orale Darreichungsformen gegen MS auf dem Markt.
Rebif ist das umsatzstärkste Produkt des Herstellers, dennoch gingen die Umsätze aufgrund der großen Konkurrenz zurück. „Wir glauben, dass Rebif auch weiter Instrumentarium des MS behandelnden Arztes sein wird“, sagte Vorstandschef Stefan Oschmann. „Wir sehen aber, dass Rebif nicht mehr wachsen wird.“ Mitbewerber sind das generische Copaxone (Glatirameracetat, Teva), die Interferone Avonex (Biogen), Betaferon (Bayer) und Extavia (Novartis) sowie weitere Immunmodulatoren wie Tecfidera (Dimethylfumarat, Biogen) und Tysabri (Natalizumab, Biogen).
Schon vor ein paar Jahren hatte Merck versucht, die Tablette auf den Markt zu bringen. 2010 wies die EMA den Antrag des Konzerns wegen Sicherheitsbedenken zurück. Daraufhin nahm Merck das Mittel vom russischen und australischen Markt, wo es damals bereits zugelassen war. Geplant ist, das Mittel außer in Europa unter anderem auch auf den wichtigen US-Markt zu bringen.
APOTHEKE ADHOC Debatte