Zu viele Psychopharmaka in Heimen dpa, 11.07.2008 13:44 Uhr
Bewohner von Altenheimen bekommen nach Ansicht des Frankfurter Gerontopsychiaters Professor Dr. Johannes Pantel zu häufig und zu lange Psychopharmaka verabreicht. Die Motivation sei oft nicht, dem Patienten zu helfen, sondern ihn ruhig zu stellen, um die Pflege zu erleichtern, sagte Pantel. Für eine Doppel-Studie, deren Ergebnisse noch in diesem Jahr publiziert werden sollen, bewertete Pantels Team im August 2006 die Qualität der Psychopharmaka-Versorgung der Bewohner eines Frankfurter und eines Mainzer Heims.
Die Wissenschaftler legten dafür zehn Kriterien zugrunde, ob die Medikamentenverordnung „adäquat“ war. Als unangemessen gewertet wurden beispielsweise unnötige Pillen, zu hohe Dosierung, zu lange Einnahme oder schwere Nebenwirkungen. Der Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Stichprobe: „Beim Durchschnittspatienten waren 4,2 von 10 Kriterien zu bemängeln“, sagte Pantel. Einer der größten Mängel sei, dass Medikamente ausprobiert und nie wieder abgesetzt oder auch nur hinterfragt würden, so der Experte.
Die am häufigsten verordnete Medikamentengruppe in Heimen sind laut Pantel Antipsychotika und Tranquilizer. Sie würden vorwiegend zur Beruhigung von unruhigen, renitenten oder aggressiven Menschen eingesetzt. „Diese Medikamente haben hohes Suchtpotenzial, schwere Nebenwirkungen wie Schlaganfälle, und die Menschen sterben auch früher“, kritisierte er.
Pantel monierte nicht nur eine zu häufige, sondern auch eine falsche Medikamenten-Gabe. Manche Psychopharmaka-Gruppen wie etwa Antidepressiva werden seiner Ansicht nach sogar zu selten verschrieben: „Sie geben depressiven Menschen neuen Antrieb.“ Viel häufiger verschrieben werden sollten nach Pantels Auffassung auch Medikamente gegen Demenz. Obwohl in der Studie 50 Prozent der Patienten verwirrt waren, bekamen nur 15 Prozent diese Medikamente.
Die Studie untersuchte zudem, wie die Situation verbessert werden könnte. Intensive Schulungen könnten dem Pflegepersonal demnach helfen, Nebenwirkungen besser zu erkennen. Pantel empfiehlt den Heimen zudem, einen Vertrag mit einem „Heimarzt“ abzuschließen.