Zinbryta wird Reservemittel Nadine Tröbitscher, 14.11.2017 18:03 Uhr
Neue Sicherheitsmaßnahmen für Zinbryta: Das europäische Risikobewertungsverfahren für Daclizumab ist nun abgeschlossen. Der Antikörper von Biogen bekommt weitere Anwendungsbeschränkungen, um das Auftreten schwerer Leberschädigungen zu reduzieren.
Die europäischen Experten kamen zu dem Schluss, dass sowohl während als auch bis zu sechs Monate nach der Behandlung mit dem Arzneimittel gegen Multiple Sklerose (MS) unvorhersehbare immunvermittelte Leberschädigungen mit möglicherweise tödlichem Ausgang zu verzeichnen sein können. Klinische Studien liefern Daten mit schweren Leberschäden bei 1,7 Prozent der Patienten.
Künftig sollen nur MS-Patienten mit dem Arzneimittel behandelt werden, die auf mindestens zwei krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) nur unzureichend ansprachen und für die keine andere DMT in Frage kommt. Patienten mit einer Vorerkrankung der Leber dürfen nicht mit Zinbryta behandelt werden. Bestehen weitere Autoimmunerkrankungen oder übersteigen die Leberenzymwerte den Normalwert um mehr als das Doppelte, ist eine Neubehandlung ausgeschlossen.
Während der Therapie sollten die Leberfunktionswerte mindestens einmal pro Monat – am besten unmittelbar vor der Medikamentengabe – überprüft werden. Die Kontrolluntersuchungen sollen mindestens sechs Monate über das Therapieende hinaus fortgeführt werden.
Ein Abbruch der Behandlung ist angezeigt, wenn die Kontrolluntersuchungen nicht eingehalten werden, die Therapie nur unzureichend anspricht oder die Leberenzymwerte den Normalwert um ein Dreifaches übersteigen. Treten erste Anzeichen eines Leberschadens auf oder wurden Betroffene positiv auf Hepatitis B oder C getestet, sind sie an einen Facharzt für Lebererkrankungen zu überwiesen. Anzeichen und Symptome einer Leberschädigung können Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Müdigkeit, Appetitverlust, Gelbfärbung der Haut und Augen sowie dunkler Urin sein.
Auslöser der Neubewertung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) waren vier Fälle schwerwiegender Leberschäden und der Tod einer Patientin. Vier Injektionen Zinbryta hatte eine deutsche MS-Patientin erhalten; sie starb später an den Folgen eines akuten Leberversagens. Leberenzyme und Bilirubinwerte wurden jedoch vorschriftsmäßig während der Behandlung überprüft. Das Risiko für Leberschäden unter Zinbryta war bereits zum Zeitpunkt der Zulassung bekannt.
Daraufhin wurde im Juli die Anwendung von Daclizumab vorläufig beschränkt. Es sollten nur noch Patienten mit einer hochaktiven schubförmigen MS behandelt werden, die auf andere Therapien nicht ansprechen. Außerdem durfte Zinbryta bei Patienten zum Einsatz kommen, die an einer rasch fortschreitenden MS leiden und bei denen keine Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen – eine engmaschige Kontrolle der Leberwerte vorausgesetzt.
Das Arzneimittel sollte nicht mehr bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion oder weiteren Autoimmunerkrankungen angewendet werden. Bei Betroffenen, die potenziell leberschädigende Arzneistoffe einnehmen, war Vorsicht geboten. Ärzte sollten die Leberwerte mindestens einmal im Monat überprüfen. Zudem sollten die Patienten auf erste Anzeichen von Leberschädigungen achten.
Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der an T-Zellen bindet, die Teil des Immunsystems sind und durch Interleukin-2 (IL-2) aktiviert werden. Durch Bindung von Daclizumab an die T-Zellen kann IL-2 nicht mehr angreifen – eine Schädigung der Nervenzellen bleibt aus. Seit August 2016 ist Zinbryta zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (RMS) zugelassen.
Bei MS zerstören Immunzellen die isolierende Hüllschicht der Nervenfasern (Myelinscheide), sodass die Weiterleitung von Signalen gestört ist. Bei Gesunden hält das Abwehrsystem solche Immunzellen in Schach, unter anderem durch die spezielle Gruppe der Suppressorzellen, auch regulatorische T-Zellen genannt. Diese fehlen bei MS-Patienten, sodass die überschießende Abwehr des Immunsystems nur unzureichend gebremst wird. Die Wirksamkeit von Daclizumab wurde in Studien mit mehr als 2400 Probanden bestätigt.