Zinbryta: Enzephalitis als Spätschaden APOTHEKE ADHOC, 09.08.2018 11:24 Uhr
Unerwünschte Arzneimittelwirkung auch nach Absetzen der Behandlung möglich: In einem Rote-Hand-Brief informiert Biogen über das Auftreten einer immunvermittelten Enzephalitis im Zusammenhang mit Zinbryta (Daclizumab) auch mehrere Monate nach Ende der Therapie. Die Hinweise waren notwendig geworden, obwohl das Präparat seit Monaten vom Markt ist.
Zinbryta wurde am 27. März von der EU-Kommission auf Antrag von Biogen die Marktzulassung entzogen, nachdem schwerwiegende und potentiell tödlich verlaufende entzündliche Erkrankungen der Gehirns und anderer Organe dokumentiert wurden. Zuvor wurde im November 2017 die Anwendung des Arzneimittels eingeschränkt. Es sollten nur noch Patienten mit Multipler Sklerose mit dem Arzneimittel behandelt werden, die auf mindestens zwei krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) nur unzureichend ansprachen und für die keine andere DMT in Frage kommt.
Im März folgten risikominimierende Maßnahmen. Es sollten keine neuen Patienten eingestellt und anbehandelte Patienten auf ein anderes Arzneimittel umgestellt werden. Sie Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass Nebenwirkungen auch bis zu sechs Monate nach dem Absetzen möglich sind. Daher sollten die Patienten mindestens monatlich oder gegebenenfalls öfter für bis zu sechs Monate nach der letzten Anwendung überwacht werden. Dieser Zeitraum wird nun auf zwölf Monate ausgeweitet.
Der Marktrücknahme und den Einschränkungen liegt das Auftreten einer immunvermittelten Enzephalitis einschließlich Anti-N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor-Enzephalitis zugrunde. Bis zum 10. Juli wurden sieben Fälle einer immunvermittelten Enzephalitis dokumentiert. Für zwei von ihnen wurde eine NMDA-Enzephalitis bestätigt. Beide Fälle traten im Zeitraum von drei bis vier Monaten nach dem Absetzen von Zinbryta auf. Die Betroffenen berichteten mit Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen, Verwirrung, Zittern, Sehstörungen oder Krämpfen über unspezifische zentrale Symptome. Aufschluss konnte nur ein spezifischer Antikörpertest im Liquor und Serum liefern.
Besteht der Verdacht einer Enzephalitis, sollte frühzeitig eine Liquor- und Serumuntersuchung auf NMDA-Rezeptor-Antikörper zur Diagnosestellung in Betracht gezogen werden. Patienten, die beispielsweise anhaltendes Fieber, schwere Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gelbsucht, Übelkeit oder Erbrechen bemerken, sollen umgehend einen Arzt konsultieren.
Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der an T-Zellen bindet, die Teil des Immunsystems sind und durch Interleukin-2 (IL-2) aktiviert werden. Durch Bindung von Daclizumab an die T-Zellen kann IL-2 nicht mehr angreifen – eine Schädigung der Nervenzellen bleibt aus. Seit August 2016 war Zinbryta zur Behandlung von Erwachsenen mit schubförmiger Multipler Sklerose (RMS) zugelassen.
Bei MS zerstören Immunzellen die isolierende Hüllschicht der Nervenfasern (Myelinscheide), sodass die Weiterleitung von Signalen gestört ist. Bei Gesunden hält das Abwehrsystem solche Immunzellen in Schach, unter anderem durch die spezielle Gruppe der Suppressorzellen, auch regulatorische T-Zellen genannt. Diese fehlen bei MS-Patienten, sodass die überschießende Abwehr des Immunsystems nur unzureichend gebremst wird.