KI-Diagnostik-Pionier Prof. Dr. Dr. Torsten Haferlach

Wie Ärzte sich selbst überflüssig machen – zum Wohl der Patienten

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Berlin -

Macht Künstliche Intelligenz (KI) viele Tätigkeiten im Gesundheitswesen bald überflüssig? Ja, sagt Professor Dr. Dr. Torsten Haferlach, aber das ist nicht schlecht, sondern gut. Haferlach arbeitet nämlich selbst mit Hochdruck daran: Er hat die Münchner Leukämielabor GmbH (MLL) gegründet und trainiert an einem gewaltigen Datenschatz eine KI, die jetzt schon korrekte Diagnose stellen kann. Worauf wir uns in Zukunft einstellen müssen und welche Rolle die KI-Diagnostik in der Gesundheitsversorgung spielen wird, erklärt er bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC, powered by Noventi. Tickets gibt es hier.

562 Publikationen, alle peer-reviewed, in 15 Jahren hat das MLL veröffentlicht. „Das ist mehr als jede Uniklinik“, sagt Haferlach stolz. Und von einer Uniklinik kommt er eigentlich, der LMU München nämlich, einer der renommiertesten Universitäten Europas. Dennoch – oder gerade deshalb? – konnte die universitäre Bürokratie nicht das bereitstellen, was Haferlach für seine Forschung benötigt: Geschwindigkeit und Flexibilität. „Universitäten sind unersetzlich, aber wenn es schnell gehen muss, stoßen ihre Strukturen an ihre Grenzen“, sagt er. So kam es, dass Haferlach sich mit mehreren Mitstreitern 2005 selbstständig machte und das MLL gründete, um dort seine Vision einer KI-basierten hämatologischen Diagnostik zu verwirklichen.

Dort nutzen er und seine Kollegen einen Datenschatz aus über 600.000 Einzelfällen – alle Daten, die seit 2005 im Rahmen der Routinediagnostik erhoben haben: Diagnosen, Befunde, Bilddaten aus der mikroskopischen Diagnostik. An denen trainieren sie ihre KI, die dort Muster erkennen kann, die dem menschlichen Verstand verborgen bleiben würden. Dazu bedienen sie sich sowohl maschinellen Lernens als auch neuronaler Netze.

Über 100 Gigabyte Daten pro Patient werden von den Algorithmen durchleuchtet, um einerseits Leukämieformen zu diagnostizieren und Hinweise auf Therapiemöglichkeiten zu liefern, anderseits um völlig neue Erkenntnisse zutage zu fördern. Ein echter Mensch bräuchte Jahrzehnte, um allein einen einzigen Datensatz zu analysieren. 3 Petabyte an Daten hat das MLL mittlerweile zur Verfügung – das entspricht 3 Millionen Gigabyte. Dadurch, dass KI in Zukunft Ärzten die Diagnose abnehmen kann – davon ist Haferlach überzeugt – werden menschliche Mediziner zwar in einem ihrer zentralen Tätigkeitsfelder beinahe überflüssig – aber eben nur dort, für die Therapie ist das ein Gewinn. „Überflüssig werden wir nicht, sondern wir können uns dann wieder mehr auf den Patienten konzentrieren und uns mit ihm unterhalten, anstatt stundenlang Knochmarksanalysen anzuschauen“, so Haferlach.

Nur um die Diagnostik geht es dabei aber auch nicht. 2015 startete das MLL sein „5000 Genom-Projekt“, bei dem die KI neue Zusammenhänge und Muster in Bezug auf die onkologische Diagnostik in menschlichen Genen erkennen soll. Mit der eigenen Technik konnten sie das nicht stemmen. 2015 unterschrieb Haferlach deshalb einen Vertrag mit dem IT-Konzern IBM, der seinen Supercomputer Watson zur Verfügung stellte. Auch mit Google, bekanntermaßen ebenfalls führend beim Thema KI, war Haferlach im Gespräch. Auch weil das MLL die Datenhoheit behalten wollte, kam die Kooperation jedoch nicht zustande.

Der Vertrag mit IBM ist bereits ausgelaufen – er war extra flexibel genug gestaltet worden, dass das auch kurzfristig möglich war. Mittlerweile stellt die Amazon-Tochter AWS die notwendige Rechenleistung zur Verfügung, seine gigantischen Datenmengen hat das MLL in einer Cloud gespeichert. Die gigantische Datenverarbeitung und der digitale Erkenntnisgewinn haben aber noch einen viel grundlegenderen Vorteil für die Wissenschaft an sich: Erfahrung wird unabhängiger vom menschlichen Individuum. „Wenn ich dieses Wissen in Algorithmen einfrieren kann, kann ich es mehr Menschen zur Verfügung stellen.“

Haferlachs Forschungsarbeit leistet einen wesentlichen Beitrag zum Durchbruch personalisierter Medizin. Je genauer der Untertypus einer Leukämie erkannt, desto besser kann die Therapie darauf angepasst werden. „Das ist die Zukunft“, sagt Haferlach. „Wir brauchen möglichst spezifische Medikamente. Je gezielter ein Medikament wirkt, desto besser.“ Groß ist deshalb auch das Interesse großer forschender Pharmaunternehmen wie Roche oder Novartis, das MLL berät sie bei Forschung und Entwicklung. Dabei sind die Ergebnisse des MLL nicht nur für die Leukämieforschung und -therapie relevant, sondern können auch grundlegende Erkenntnisse für die Onkologie bei soliden Tumoren liefern. „Die schauen sich das dann bei uns ab“, merkt Haferlach ironisch an.

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