Nur 2 Prozent der rund 150.000 Patienten mit resistenten Formen von Tuberkulose (TBC) erhalten die derzeit bestmögliche Therapie mit den neuen Medikamenten Sirturo (Bedaquilin) und Deltyba (Delamanid). Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (ÄoG) fordert daher anlässlich des Welt-Tuberkulose-Tages, dass die beiden Medikamente für mehr Menschen bezahlbar und verfügbar gemacht werden.
Sirturo und Deltyba wurden 2014 als erste neu entwickelte TBC-Medikamente nach mehr als 50 Jahren zugelassen. Kombiniert mit älteren Mitteln bekämpfen sie multiresistente Erregerstämme, die sich unter anderem in Osteuropa ausbreiteten. Die Arzneimittel werden als Hoffnungsträger angesehen: Behandlungen, die eines der beiden neuen Medikamente beinhalteten, konnten den Gesundheitszustand von Patienten mit multiresistenter Tuberkulose (MDR-TBC) deutlich verbessern – in klinischen Studien konnten bis zu 70 Prozent der Patienten geheilt werden. Mit anderen Arzneimitteln wurde bislang eine Heilungsrate von 30 bis 50 Prozent erreicht.
Das Antibiotikum Sirturo greift an die ATP-Synthase an und unterbricht die Energiegewinnung der Tuberkulose-Bakterien. Wegen seiner schwerwiegenden kardialen Nebenwirkungen ist das Medikament mit speziellen Warnhinweisen versehen. In zwei klinischen Studien war Sirturo zusammen mit der Standardtherapie aus verschiedenen Antibiotika an 440 Patienten getestet worden. Die Zeit, nach der keine Mykobakterien mehr im Sputum nachweisbar waren, lag bei 83 beziehungsweise 57 Tagen gegenüber 125 Tagen unter Basistherapie allein. Die Patienten hatten in den ersten zwei Wochen täglich 400 mg erhalten, danach dreimal wöchentlich 200 mg.
Deltyba agiert über eine Hemmung der Biosynthese von Mykolsäuren und stört damit den Zellwandaufbau der Keime. Die Einnahme von 100 mg pro Einzeldosis erfolgt zweimal täglich mit den Mahlzeiten über 24 Wochen. In einer klinischen Studie mit 321 MDR-TB-Patienten war die Behandlung zusätzlich zu einer optimierten Basistherapie mit vier oder fünf Medikamenten gegen Tuberkulose stärker wirksam als die Basistherapie allein. Auch bei Deltyba treten erhebliche Nebenwirkungen auf: Neben einer QT-Zeit-Verlängerung und abnormalen Leberwerten sind außerdem Bluthusten, Hypokaliämie, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Parästhesien und Tremor bekannt.
Trotz der schweren Nebenwirkungen seien beide Präparate für die TBC-Behandlung sehr wichtig, so ÄoG. „Dank dieser neuen Medikamente sehe ich Patienten das Krankenhaus verlassen, die ohne sie gestorben wären“, sagt Dr. Yoseph Tassew, medizinischer Koordinator von ÄoG in Russland. „Es ist frustrierend, dass wir diese Hoffnung nicht allen Betroffenen bieten können. Nach einem halben Jahrhundert haben wir endlich neue Medikamente gegen TBC, die schwerkranken Patienten das Leben retten können. Doch derzeit können wir nur sieben Patienten in Russland mit dem Medikament behandeln. Pharmafirmen und Regierungen müssen dringend daran arbeiten, dass alle Patienten, die diese Medikamente benötigen, sie bekommen.“
Bedaquilin und Delamanid werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Um den Zugang zu verbessern, sollten die Hersteller Janssen Cilag und Otsuka die Medikamente vorrangig in Ländern registrieren lassen, in denen viele Menschen an TBC erkrankt seien, fordern die Mediziner. Zusätzlich müssten sie in Entwicklungsländern und Ländern mit hohen TBC-Zahlen bezahlbar bleiben. Die betreffenden Länder sollten die neuen Medikamente schnell in ihre Behandlungsrichtlinien aufnehmen, empfiehlt ÄoG.
„Damit wir über die beiden neuen Medikamente hinaus noch mehr und vor allem bessere Behandlungsmöglichkeiten, aber auch neue Diagnostika und einen umfassend wirksamen Impfstoff bekommen, muss außerdem die Forschung zu TBC und Antibiotika-Resistenzen insgesamt gestärkt werden“, sagt Marco Alves von der Medikamentenkampagne von ÄoG. „Auf dem G7-Gipfel in Japan und der nächsten Weltgesundheitsversammlung der WHO sollte eine substantielle Forschungsförderung beschlossen werden. Dabei sollten die Kosten für Forschung von den Produktpreisen entkoppelt werden, damit dringend benötigte Medizinprodukte verfügbar und bezahlbar sind.“
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