Welt-Aids-Tag

HIV-Behandlung im Überblick Dr. Kerstin Neumann, 01.12.2015 12:38 Uhr

Berlin - 

Der Welt-Aids-Tag ist Tradition. Am 1. Dezember werden in Fußgängerzonen rote Schleifen zum Zeichen der Solidarität mit HIV-Infizierten verteilt, in allen Medien wird über HIV und seine Folgen berichtet. Weltweit sterben jedes Jahr mehr als eine Million Menschen an der Immunschwächekrankheit. Durch intensive Forschungsarbeit und eine Vielzahl von Medikamenten kann man die HIV-Infektion heute gut in Schach halten. Und es gibt sogar neue Therapieansätze.

Die medikamentöse Therapie von HIV-infizierten Patienten steht mittlerweile auf einer breiten Basis. Wirkstoffe aus vier verschiedenen Klassen sind in Deutschland zugelassen. Die Grundregel früherer Jahre „Hit hard and early“ wird inzwischen nicht mehr praktiziert. Ein frühestmöglicher Start der Therapie wird zwar weiterhin empfohlen. Anstelle von hohen Dosen wird aber vielmehr versucht, durch geschickte Kombinationen von Medikamenten die Viruslast zu senken, ohne durch Nebenwirkungen den Patienten zu belasten.

Das erste HIV-Medikament im Jahr 1987 war Retrovir (Zidovudin), welches die Gruppe der nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) begründete, allerdings auch schwere Nebenwirkungen wie Lipoatrophie und Blutarmut zeigte. Es folgten bis 2005 sechs weitere Wirkstoffe der Klasse. Der letzte Neueinsteiger, Emtricitabin, zeigt kaum noch Nebenwirkungen und ist auch bei Hepatitis B wirksam. Insgesamt macht die Gruppe der NTRI laut Arzneiverordnungsreport mit 16,8 Millionen verordneten Tagesdosen knapp 60 Prozent der in Deutschland verwendeten HIV-Medikamente aus.

Neben den NRTI hatte sich zwischenzeitlich die Gruppe der nicht-nukleosidischen Hemmern der reversen Transkriptase (NNRTI) etabliert. Allerdings konnte sich nur Nevirapin am Markt behaupten. Zu viele Nebenwirkungen und eine nur eingeschränkte Wirksamkeit nur für den Virustyp HIV-1 ließen die NNRTI schnell wieder an Bedeutung verlieren.

Proteasehemmer greifen in den Replikationsmechanismus der Viren ein. Sie haben einen festen Platz in der HIV-Therapie, wurden bislang aber nur gleichzeitig mit Ritonavir eingesetzt. Ritonavir fungiert dabei als „Booster“: Die Substanz verhindert den Abbau der eigentlichen Wirkstoffe durch CYP 3A4 in der Leber. Die Bioverfügbarkeit des Kombinationspartners ist dadurch deutlich erhöht. Seit November kann Reyataz (Atazanavir) als erster Proteasehemmer unter bestimmten Bedingungen auch ohne Booster gegeben werden.

Mit Isentress (Raltegravir) wurde 2007 die Gruppe der Integrase-Inhibitoren begründet. Der Wirkstoff hemmt die Integration viralen Genmaterials in die DNA der Wirtszelle. 2014 folgte mit Tivicay (Dolutegravir) ein weiterer Vertreter. Beide Wirkstoffe sind sehr gut verträglich und haben sich als Kombinationspartner in der HIV-Primärtherapie etabliert.

Mit der zunehmenden Vielfalt der verfügbaren Wirkstoffe haben auch die Fixkombinationen in der HIV-Therapie deutlich an Bedeutung gewonnen. Jede Primärtherapie beinhaltet mindestens drei verschiedene Wirkstoffe aus unterschiedlichen Klassen, um auftretenden Resistenzen vorzubeugen. In der Regel sollten alle drei wichtigen Mechanismen – Inhibition der reversen Transkriptase, Protease und Integrase – in der Behandlung enthalten sein.

In den USA werden antiretrovirale Medikamente inzwischen auch prophylaktisch verschrieben. Bei der sogenannten HIV-PrEP, der Präexpositionsprophylaxe, wird eine Kombination aus Tenofovir und Emtricitabin eingesetzt. Gilead hatte die Kombination unter dem Namen Truvada 2012 auf den Markt gebracht. Die PrEP zeigte in klinischen Studien eine Verminderung der Ansteckungsrate von 44 Prozent. In Leitlinien wird aber ein zusätzlicher Schutz, zum Beispiel die Verwendung von Kondomen, empfohlen.

Auch als „HIV-Pille danach“ wird die antiretrovirale Therapie genutzt. Je nach Art der Exposition – durch sexuelle oder Blutübertragung beispielsweise im Krankenhaus – wird nach strenger Indikationsstellung durch einen Schwerpunktarzt eine Kombinationsbehandlung mit Wirkstoffen aus allen drei Klassen über 28 bis 30 Tage empfohlen.

Viele Versuche hat es bereits gegeben, einen Impfstoff gegen das HI-Virus zu entwickeln. Von den mehr als 100 getesteten Vakzinen hat es bis heute allerdings kein einziger bis zur Marktreife geschafft. Zuletzt war HI-Virus-Entdecker Robert Gallo mit einem neuen Impfstoff ins klinische Studienprogramm gestartet.

Derzeit leben etwa 80.000 Menschen in Deutschland mit dem HI-Virus. Etwa 3200 Menschen haben sich nach einer Modellrechnung des Robert Koch-Instituts (RKI) im vergangenen Jahr mit HIV angesteckt. Trotz Aufklärungskampagnen und Medikamenten sinkt die Zahl seit 2006 nicht.

HIV wird oft erst Jahre nach der Infektion festgestellt. Die Zahl der Neuinfektionen bei heterosexuellen Menschen ist demnach sogar leicht steigend. Die meisten Betroffenen sind allerdings Männer, die Sex mit anderen Männern haben – wenngleich die Zahl neuer Infektionen in dieser Gruppe in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen ist.

Unter Teenagern ist Aids weltweit die zweithäufigste Todesursache. In Afrika sei die Immunschwächekrankheit sogar der häufigste Grund für Todesfälle in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen, berichtet die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. Insgesamt ging die Zahl der HIV-Neuinfektionen weltweit –- bezogen auf alle Altersgruppen –- von der Jahrtausendwende bis 2014 um 35 Prozent auf zwei Millionen im Jahr zurück. Im vergangenen Jahr starben den Angaben zufolge 1,2 Millionen Menschen an Aids, 800.000 weniger als 2004.