Eigentlich sollte das Engpass-Gesetz (ALBVVG) die Herstellung von Kinderarzneimitteln lukrativer machen und so die Versorgung verbessern. Doch teilweise gibt es einen gegenteiligen Effekt: Zwar können höhere Kosten zu Lasten der Kassen abgerechnet werden, doch bei einigen Präparaten sinkt der Verkaufspreis stattdessen. Denn die neue Regelung führt zu einem Preisdeckel, der keine Aufzahlungen mehr zulässt. Infectopharm will daher jetzt bestimmte unwirtschaftliche Präparate aus dem Portfolio streichen – und zwar ausgerechnet bei Antibiotika. Bei APOTHEKELIVE versicherten die beiden Firmenchefs Philipp Zöller und Dr. Markus Rudolph, dass es weiterhin für jedes Körpergewicht eine Behandlungsmöglichkeit gibt.
Infectopharm hat sich auf Arzneimittel für Kinder spezialisiert; bei einigen Präparaten ist der Mittelständler mittlerweile der einzige Anbieter. Zu den Antibiotikasäften etwa gibt es bei bestimmten Wirkstoffstärken keine einzige Alternative mehr. Bei Cefadroxil und Cefixim ist Infectopharm sogar der einzige Lieferant von Säften in Deutschland.
Auch wenn einige Produkte seit Jahren unwirtschaftlich sind, hatte das Unternehmen aus Hessen sie lange im Sortiment behalten und quer finanziert. „Das ist der Kern unseres Unternehmens, die Kinderärzte würden es uns nicht verzeihen, wenn wir hier aussteigen“, sagte Rudolph im APOTHEKELIVE. Trotzdem hatte das Unternehmen vor einem Jahr die Reißleine gezogen und erstmals den Preis über Festbetrag angehoben. „Wir haben uns die Entscheidung alles andere als leicht gemacht, immerhin mussten Eltern in der Konsequenz die Mehrkosten selbst zahlen“, so Rudolph. Und Zöller ergänzt: „Am Ende haben wir viel Verständnis erhalten – wenn nicht sogar das ALBVVG angestoßen.“
1:03:45 Start der Sendung
Antwort auf einen offenen Brief, in dem die beiden Firmenchefs ihre Probleme gegenüber Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) darlegten, gab es keine. Aber an den Folgereaktionen konnte man schnell sehen, dass sie mit ihrer Maßnahme genau richtig lagen: Die Kassen erklärten umgehend, dass sie die Mehrkosten übernehmen würden. Und mit seinen befristeten Sofortmaßnahmen und zuletzt mit dem ALBVVG lockerte auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die allzu fest angezogenen Daumenschrauben: Die Festbeträge wurden ausgesetzt beziehungsweise um 50 Prozent angehoben, neue Rabattverträge für Kinderarzneimittel wurden verboten.
Doch wie Zöller und Rudolph im APOTHEKELIVE erklärten, führt das Gesetz bei einigen Präparaten zu paradoxen Effekten. Einerseits würden die neuen Preise durch Zwangsrabatte gleich wieder aufgezehrt, sodass sie faktisch nicht 50, sondern circa 40 Prozent höher lägen. Vor allem aber lägen sie teilweise immer noch unter dem, was die Herstellung koste. Die Differenz könne aber jetzt nicht mehr über Aufzahlungen an die Patientinnen und Patienten weitergereicht werden, da Zuzahlungen gesetzlich ausgeschlossen seien. Die neuen Preise wirkten also wie ein Deckel.
Am Beispiel von Infectocillin rechnete Zöller vor, was die Neuregelung auf Basis der Herstellerabgabepreise (ApU) bedeutet:
Die Konsequenz: „Wir werden den Penicillin-250-Saft nicht mehr anbieten, weil er sich schlichtweg nicht mehr rechnet“, sagt Zöller. Das habe man gegenüber dem BMG auch bekannt gemacht, denn noch hofft man, dass solche Fehler aus dem ALBVVG korrigiert werden. Doch der Hersteller will auch andere Produkte aus seinem Sortiment streichen: „Über verschiedene große Wirkstoffe hinweg werden in den nächsten Monaten zunächst sieben PZN außer Vertrieb gehen.“
Zöller und Rudolph versichern, dass weiterhin alle Kinder versorgt werden können und dass auch für jedes Körpergewicht eine Option angeboten werden soll. „Aber nachdem wir über Jahre hinweg ein in seiner Breite einzigartiges Sortiment vorrätig gehalten haben, geht es jetzt um eine rationale Verengung des Portfolios.“ Ziel sei auch, die Planbarkeit zu erleichtern, laut Zöller könnte der Arzneimittelmarkt insgesamt künftig anders aussehen als vor Corona.
Die beiden Firmenchefs rechnen weiterhin mit einer angespannten Liefersituation. Zwar sei Ware im Markt: Jedes Kind sollte Penicillin bekommen können, wenn vielleicht auch nicht jede Stärke verfügbar sei. „Wir hoffen einfach, dass wir einen normalen Winter ohne exzessive Infektionswelle und ohne Ausfälle bei Wettbewerbern bekommen und dass wir auf Patientenebene durchkommen“, so Rudolph.
Aber bis es gelingen werde, das eigene Lager und auch die Handelsstufen wieder aufzufüllen, werde es wohl noch länger dauern. „Unsere Lager sind leer, wir hoffen bei jeder Charge, dass wir sie freigegeben bekommen. Und dann rauscht innerhalb von drei Tagen ein Dreimonatsbedarf einfach so durch. Wir haben derzeit von keinem unserer Antibiotika etwas da, bis wir wieder Sicherheitsbestände aufbauen können, wird es Jahre dauern.“
Neben den klassischen Kinderarzneimitteln wie Fiebersäften und Antibiotika sind aber auch Präparate betroffen, für die es keine Ausweichmöglichkeiten gibt. Mit dem Bronchospray hat Infectopharm ein Salbumatol-Präparat im Portfolio, das zwar einen geringen Marktanteil hat, aber mit seinem Autohaler für Kinder die „Königslösung“ ist.
Auch hier liegt der erhöhte Festbetrag unter dem eigentlich erforderlichen Preis; ab Februar würde das Unternehmen pro Packung einen Euro draufzahlen. „Wir hoffen, dass wir hier noch eine Lösung bekommen. Denn wenn dieses Präparat vom Markt gehen würde, dann hätten wir wirklich ein Problem in der Therapie.“
Zöller und Rudolph finden das ALBVVG trotz der Pannen im Grundsatz nicht schlecht. Aber es müssten nach den Kinderarzneimitteln schnell weitere Gruppen folgen. „Es gibt keine Patentlösung und es ist wirklich viel Arbeit. Aber die Politik muss sich jetzt einmal mutig sein und das gesamte System prüfen“, so Zöller. „Der Flickenteppich muss weg, sonst werden wir früher oder später mit jeder generischen Substanz die gleichen Probleme bekommen.“
APOTHEKE ADHOC Debatte