Weg von der Pille – hin zum Arzt Alexandra Negt, 25.06.2020 07:47 Uhr
Kopfschmerzen gehören für viele Menschen zum Alltag. Besorgniserregend ist, dass auch immer mehr junge Menschen unter Spannungskopfschmerz, Migräne & Co. leiden. Eine aktuelle Studie zeigt, wer bei diesem häufigen Leiden den Arzt um Rat bittet. Denn nicht immer handelt es sich um harmlose Schmerzen. Je nach Begleitsymptomen ist eventuell schnelles handeln gefragt. Alarmierend ist auch die Anzahl an schmerzmittelabhängigen Personen – schätzungsweise 1,5 Millionen Bürger nehmen dauerhaft Analgetika ein. Die neue S1-Leitlinie „Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Schmerzmitteln“ soll Wege aus dem Teufelskreis zeigen.
Kopfschmerzen treten häufig auf. Es gibt zahlreiche verschiedene Formen, die entweder als einzelnes Symptom oder als Begleiterscheinung anderer Erkrankungen auftreten können. Treten Kopfschmerzen im höheren Lebensalter zum ersten Mal auf, oder sind sie ungewöhnlich stark, so sollte eine ärztliche Abklärung erfolgen. Mitunter ist der Kopfschmerz ein Warnsignal für eine ernst zu nehmende Krankheit.
Eine aktuelle Studie hat nun untersucht, wer aufgrund von Kopfschmerzen zum Arzt geht. Nicht nur die Frequenz und die Schmerzintensität waren ausschlaggebend für einen Arztbesuch, auch das Alter und das Beschäftigungsverhältnis. Insgesamt nahmen 2461 Personen an der Studie teil. 39 Prozent der Teilnehmer berichteten von Kopfschmerzen innerhalb der letzten sechs Monate. Die Hälfte der Teilnehmer gab an, mindestens einmal in ihrem Leben aufgrund von Kopfschmerzen einen Arzt aufgesucht zu haben. Jeder fünfte von ihnen gab an, dass er drei oder mehr Ärzte aufgrund der Kopfschmerzen aufgesucht hatte.
Zum einen stieg die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuches mit der Zahl der Kopfschmerztage pro Monat. Je intensiver die Schmerzen und je stärker die Einschränkung der Lebensqualität, desto häufiger gingen die Menschen zum Arzt. Auch das Alter spielt bei der Wahrscheinlichkeit einer Arztkonsultation aufgrund von Kopfschmerzen eine Rolle. Junge Menschen suchen aufgrund dessen seltener einen Arzt auf. Sie neigen eher dazu Tabletten einzunehmen und sich selbst zu behandeln. Personen im Alter zwischen 55 und 74 Jahren suchten am häufigsten einen Arzt auf.
Selbstständige greifen eher zur Tablette
Die Art der Beschäftigung hatte ebenfalls einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Arztkonsultation. Personen im Angestelltenverhältnis suchten häufiger einen Arzt auf, als Selbstständige. Wiederum keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hatten die Parameter Bildung, Haushaltsstruktur und Wohnort.
Im Ergebnis zeigt die Studie, dass nur jeder zweite Patient mit Kopfschmerzen zum Arzt geht – Selbstständige noch seltener. Um diese Personengruppe vor einer zu häufigen Schmerzmitteleinnahme zu schützen, können Arzt und Apotheker innerhalb der Beratung auf eine mögliche Gefahr der Chronifizierung hinweisen. Eine umfangreiche Anamnese kann mitunter die Gründe für die anhaltenden Schmerzen aufzeigen. Neben Stress und Verspannungen können auch Fehlhaltungen Kopfschmerzen verursachen.
Schmerzen lindern ohne Tablette
Massagen, Physiotherapie und ausreichend Bewegung können Kopfschmerzen, die aufgrund von Verspannungen oder Fehlhaltungen entstehen lindern. Häufig ist auch der Arbeitsplatz Grund für Kopfschmerzen. Ein zu hoher Schreibtisch, ein zu weicher Stuhl – Kleinigkeiten können bei täglicher Nutzung von acht Stunden und mehr dazu führen, dass Muskeln verkrampfen oder Bänder verkürzen. Regelmäßige kurze Pausen mit Bewegung bringen den Körper wieder ein Stück ins Gleichgewicht. Bevor der Griff zur Tablettenschachtel erfolgt, sollten Betroffene überlegen, ob sie genug getrunken und gegessen haben. Ein Spaziergang an der frischen Luft oder die Anwendung von Pfefferminzöl auf den Schläfen kann schmerzlindernd wirken.
Arzneimittelmissbrauch relativ häufig
Schätzungsweise 1,5 Millionen Bürger nehmen Analgetika dauerhaft ein. Ein Drittel von ihnen leidet leiden an durch Schmerz- oder Migränemittel verursachten Kopfschmerzen (Medication Overuse Headache, MOH). Davon gehen zumindest die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) aus. In der europäischen Leitlinie ist medikamenteninduzierter Kopfschmerz wie folgt definiert: „Es handelt sich um einen MOH, wenn die Kopfschmerzen an 15 oder mehr Tagen pro Monat über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten bestehen und durch die regelmäßige Einnahme von symptomatischer Kopfschmerzmedikation an mindestens 10 beziehungsweise 15 Tagen pro Monat ausgelöst werden.“
Aufklärung sinnvoll
„Die meisten Patienten ahnen nicht, dass Schmerztabletten die Schmerzursache sein können“, sagt Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Kopfschmerzexperte der DGN. Menschen, die häufig Kopfschmerzen haben, sollten vorbeugend aktiv werden, um nicht in einen Teufelskreis von Schmerzen und Medikation zu kommen. Gefragt ist ein bewusster Einsatz von Schmerzmitteln. Im Rahmen der Selbstmedikation sollten Schmerzmittel nicht länger als drei Tage in Folge und nicht häufiger als an zehn Tagen pro Monat eingenommen werden. Wer sich nicht an die sogenannte „Zehnerregel“ hält, läuft Gefahr, in einen Teufelskreis zu gelangen. Dabei kann ein MOH nicht nur durch NSAID ausgelöst werden, sondern auch durch Triptane, Opioide und Ergotamine.
Besonders gerne genommen: Kombi-Arzneimittel
Thomapyrin, Neuralgin, Aspirin Complex oder Plus C – alle diese Mittel enthalten neben den eigentlichen schmerzlindernden Wirkstoffen weitere Komponenten. Coffein soll den Wirkeintritt beschleunigen und einen synergistischen Effekt hervorrufen. Vitamin C soll das Immunsystem stärken, Pseudoephedrin erkältungsbedingte Begleitsymptome nehmen und gleichzeitig „fit“ machen. Diese Kombinationsmittel werden insbesondere von Personen nachgefragt, die die Tabletten häufiger als empfohlen anwenden. Fragt ein Patient nach zwei Packungen Thomapyrin intensiv, so sollten Apotheker und PTA aufmerksam werden und den Grund des Kaufwunsches hinterfragen. Nicht immer muss ein Abusus dahinterstecken. Manche Patienten sollten aufgrund ungeklärter Schmerzen zum Hausarzt geschickt werden. Eine unentdeckte Migräne oder dauerhafte Verspannungen können zu einem hohen Bedarf an NSAID führen.