Kein Vergleich = Kein Zusatznutzen?

Vitrakvi: Nutzenbewertung stößt an ihre Grenzen

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Berlin -

Das Nutzenbewertungsverfahren von Vitrakvi (Larotrectinib, Bayer) wirft Fragen auf: Sowohl das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), wie auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) siehen keinen Zusatznutzen für die tumorunabhängige Therapie – Bayer ist dennoch überzeugt von seinem Kandidaten und hofft auf eine positive Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses, welche im April erwartet wird. Die Nutzenbewertung stoße bei innovativen Medikamenten in der Präzisionsonkologie offenbar an ihre Grenzen, erklärt der Konzern.

Stellungnahme des IQWiG

Im Januar folgte der erste Rückschlag für das tumorunabhängige Arzneimittel: Das IQWiG sah keinen Zusatznutzen im Vergleich zur bereits verfügbaren bestmöglichen Behandlung oder anderen Therapien. Für die Nutzenbewertung zog das Institut die drei Zulassungsstudien von Vitrakvi heran. Grund für die negative Stellungnahme: Es deute zwar vieles auf das Potenzial des Arzneimittels hin, dennoch sei die Ableitung eines Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht möglich. Denn aufgrund des neuen tumorunabhängigen Behandlungsfeldes seien keine Vergleiche möglich. Bei den Zulassungsstudien gab es dementsprechend keine Kontrollarme, in denen die Patienten eine Vergleichstherapie bekamen. Zwar wurden für die Unterstützung der Dateninterpretation zu Larotrectinib Vergleichsdaten aus Studien mit anderen Wirkstoffen betrachtet, es konnte laut IQWiG jedoch für keine der Tumorentitäten ein hinreichend großer Effekt bei einem der patientenrelevanten Endpunkte angenommen werden, der nicht allein auf systematischer Verzerrung basieren könnte.

Die AkdÄ schließt sich an

Kürzlich schloss sich auch die AkdÄ dem IQWiG an: Aufgrund der derzeit unzureichenden Datenlage sei der Zusatznutzen von Larotrectinib aus Sicht der AkdÄ nicht belegt. Bayer präsentiere für die vorliegende Nutzenbewertung eine unzureichende Datenbasis mit einem zudem schlecht dokumentierten Patientenkollektiv ohne geeignete Vergleichskohorte. Die Datenlage reiche unter den formalen Kriterien der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V nicht aus, um eine aussagekräftige Bewertung des Zusatznutzens von Larotrectinib vornehmen zu können. Dies gelte insbesondere angesichts der breiten Zulassung unter Einschluss von histologischen Tumorentitäten, für die derzeit der medizinische Stellenwert noch völlig unklar sei.

Bayer beharrt auf Zusatznutzen

Bayer hingegen ist – auch ohne Vorliegen von klinischen Studien mit Vergleichsgruppen oder Kontrollarmen – überzeugt von Vitrakvi: Trotz der negativen Stimmen hoffe man daher auf ein positives Votum des G-BA. In den klinischen Studien habe Larotrectinib außergewöhnlich starke Wirksamkeit bei gleichzeitiger guter Verträglichkeit für Patienten mit TRK-Fusionstumoren gezeigt. Vitrakvi ist das erste Medikament, das in der EU eine tumorunabhängige Zulassung erhalten hat. Die aktuelle AMNOG-Nutzenbewertung stoße bei innovativen Medikamenten in der Präzisionsonkologie offenbar an ihre Grenzen, heißt es von Seiten des Herstellers. Sie akzeptiere regelhaft ausschließlich klinische Studien mit Vergleichsgruppen oder Kontrollarmen, für die große Patientenfallzahlen benötigt werden. „Dies ist jedoch bei Wirkstoffen wie Vitrakvi zur Therapie sehr seltener Erkrankungen nicht in einem angemessenen Zeitrahmen durchführbar, so dass Patienten unverhältnismäßig lange auf therapeutischen Fortschritt warten müssten“, erklärt eine Sprecherin.

Kritik an Ausrichtung des Nutzenbewertungsverfahrens

Die europäische Zulassungsbehörde EMA habe Vitrakvi daher eine Zulassung unter besonderen Bedingungen erteilt, so dass weitere klinische Evidenz nach der EMA-Zulassung über internationale Register und nicht-interventionelle Phase IV-Studien generiert werden wird. „Außerdem ist die aktuelle AMNOG-Nutzenbewertung nicht auf tumorübergreifende Evidenz ausgerichtet, denn sie bewertet Wirkstoffe ausschließlich nach der Tumorart.“ Schließlich erlaube die tumorartunabhängige Zulassung von Vitrakvi keinen Orphan Drug-Status und lasse damit keine automatische Anerkennung des Zusatznutzens zu. „Hier zeigt sich, dass die Anforderungen der europäischen Zulassungsbehörden und Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) nicht harmonisiert sind“, erklärt Bayer.

Letzte Hoffnung ist der G-BA

Nun muss Bayer auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hoffen – denn ihm obliegt die endgültige Entscheidung. Fällt der Hoffnungsträger durch, darf der Erstattungspreis nur im Rahmen vergleichbarer, bereits länger auf dem Markt befindlichen Arzneimittel liegen – diese sind jedoch oft erheblich günstiger. Die Jahrestherapiekosten für Larotrectinib pro Patient belaufen sich derzeit auf knapp 44.000 Euro für Kinder und rund 230.000 Euro für Erwachsene. Erst im September hatte der Pharmakonzern die die EU-Zulassung für Vitrakvi erhalten. Vitrakvi stellt die erste tumorunabhängige Zulassung in der EU dar. Es ist geeignet für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren, die eine seltene Genom-Veränderung aufweisen – die so genannte NTRK-Genfusion. Im August hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) bereits eine bedingte Zulassungsempfehlung ausgesprochen. In den USA, Kanada und Brasilien hat Bayer die Zulassung für Vitrakvi schon länger.

Vitrakvi: Allzweckwaffe gegen Tumore

Voraussetzung für die Behandlung mit Vitrakvi ist, dass neben dem Vorliegen der neurotrophen Tyrosin-Rezeptor-Kinase (NTRK)-Genfusion die Tumore lokal fortgeschritten oder metastasiert sind oder eine chirurgische Resektion eine hohe Morbidität zur Folge haben kann. Das präzisionsonkologische Arzneimittel wurde gezielt zur Behandlung von Tumoren mit einer NTRK-Genfusion entwickelt. Damit stellt das Arzneimittel nicht nur eine Therapieoption für eine Krebsart, sondern für verschiedene Tumore dar. Der Ansatz von Vitrakvi zielt auf die spezifische genomische Veränderung ab und blockiert die Wirkung der Proteine und hemmt so das Tumorwachstum. Weil die NTRK-Genfusionen unabhängig von bestimmten Zell- und Gewebearten auftreten können, ist der Einsatz von Larotrectinib beispielsweise bei Lungen- und Schilddrüsenkrebs, Melanomen, Dickdarm-, Bauchspeicheldrüsen-, Gallengangskarzinomen oder Tumoren des Wurmfortsatzes, Sarkomen, Gliomen und Gliobastomen sowie bestimmten pädiatrischen Tumoren wie infantilem Fibrosarkom und Weichteilsarkom möglich. Das neuartige Arzneimittel wird oral verabreicht.

 

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