In den Medien ist es oft nur noch als „das Sonnenvitamin“ bekannt, die Bedeutung einer ausreichenden Versorgung ist mittlerweile auch in der breiten Bevölkerung angekommen. Vitamin D hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Relevanz gewonnen und ist auch im Zuge der Corona-Pandemie wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Dennoch gibt es teilweise große Wissenslücken. Professor Dr. Stefan Pilz, Endokrinologe an der Universität Graz, will Klarheit in die Vitamin-D-Informationsflut bringen.
Es ist in Werbung, Zeitschriften und den sozialen Medien zu finden und gehört zu den „Vitamin-Klassikern“ der Apotheke: Vitamin D ist – vor allem während der dunklen Jahreszeit – in aller Munde. Doch wie vielen Menschen mittlerweile bekannt ist, handelt es sich beim Vitamin D gar nicht um ein Vitamin im klassischen Sinne. Es sei wichtig, dass das auch in der breiten Bevölkerung ankomme, findet Pilz. „Es ist vergleichbar mit Geschlechts- oder Schilddrüsenhormonen – das Verständnis eines Mangels ist dann ein ganz anderes.“
Denn eine ausreichende Versorgung ist wichtig, da es in viele Bereiche des Körpers eingreift. Die Umwandlung im Körper ist sehr komplex. „Vereinfacht kann man sagen, dass der Körper es in zwei Schritten aktiviert.“ Die Rezeptoren finden sich dann überall im Organismus. Auch beim Immunsystem spiele es eine wichtige Rolle, da es modulierend und regulierend wirke. Deshalb werde es beispielsweise auch bei Autoimmunerkrankungen erforscht. Doch bei Dosierung und Darreichungsform gibt es verschiedene Möglichkeiten – auch in den Drogerie-Regalen. Grundsätzlich gehöre die Beratung zu Vitamin D daher in die Apotheke, findet Pilz. Dies sei vor allem bei hochdosierten Präparaten der Fall. „Eine ausführliche Beratung ist da immer gut.“ Und diese kann sehr individuell ausfallen.
Ein Blick in die Schublade zeigt unter anderem Stärken mit 500, 1000, 2000 und 4000 I.E., hinzu kommen verschiedene Darreichungsformen als Tablette, Kapsel, Tropfen oder Spray. Was also wem empfehlen? Pilz schafft Klarheit: Präparate mit einer Dosierung von 800 bis 1000 I.E könnten in der Apotheke grundsätzlich jedem empfohlen werden – auch wenn zuvor kein Vitamin-D-Spiegel bestimmt wurde.
Denn viel hilft nicht immer viel: „Wenn Kunden mit dem Wunsch nach einer höheren Dosierung in die Apotheke kommen, sollte man das schon begrenzen.“ Die Grenze liege bei maximal 4000 I.E pro Tag: Selbst bei einer Dosis von 10.000 I.E habe man zwar keine Nebenwirkungen beobachtet, aber dennoch einen gewissen Puffer zur Sicherheit eingebaut. „Überdosierungen sind extrem selten“, berichtet Pilz. „Wenn im Körper zu viel vorhanden ist, wird es abgebaut – der Körper reguliert da schon mit.“ Bei extrem hohen Dosen würde zunächst der Calcium-Spiegel im Harn ansteigen, später dann auch im Blut. Das könne zu Übelkeit und im schlimmsten Falle schließlich auch zu Nierenschäden führen. In der Praxis sei dies jedoch nicht zu erwarten – selbst bei höheren Dosierungen.
Ein weiterer Aspekt, bei dem sich die Geister scheiden, ist die tägliche oder wöchentliche Einnahme von Colecalciferol. „Ich empfehle primär die tägliche Gabe, weil es dazu die beste Datenlage gibt“, meint Pilz. Außerdem sei diese Form der Einnahme am natürlichsten. Denn die in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltene Vorstufe von Vitamin D habe eine Halbwertszeit von unter einem Tag. Bei einer schlechten Compliance könne jedoch auch auf die wöchentliche Einnahme gesetzt werden, statt gänzlich auf die Zufuhr zu verzichten.
Der Darreichungsform sind mittlerweile keine Grenzen gesetzt, das Angebot ist groß und reicht von der klassischen Tablette über Tropfen bis hin zum praktischen Spray. Doch gibt es Unterschiede in Bezug auf die Wirkung und Bioverfügbarkeit? „Vitamin D wird extrem gut aufgenommen“, erklärt Pilz. Deshalb habe die Darreichungsform keine große Relevanz. „Früher wurde häufig empfohlen, es zu einer fetthaltigen Mahlzeit einzunehmen – aber auch das ist mittlerweile überholt.“
Vitamin D findet sich außerdem in zahlreichen Kombi-Präparaten. „Wenn Empfehlungen gemacht werden, setzt man erstmal voraus, dass die anderen Nährstoffe ausreichend vorhanden sind“, erklärt Pilz. Daher müssten solche Präparate je nach Einzelfall betrachtet werden.
Da viele Menschen unter einem Magnesium-Mangel leiden, könne auch dieser gut mit in die Beratung aufgenommen werden. „Viele Enzyme von Vitamin D haben Magnesium als Co-Faktor.“ Daher sei auch hier eine ausreichende Versorgung wichtig. Die Kombination mit Vitamin K2 sieht der Endokrinologe kritisch, da bislang keine eindeutigen Daten für eine verbesserte Wirkung vorlägen.
In Deutschland sei der Vitamin-D-Mangel ein „Riesenthema“ – rund jeder Zweite sei unterversorgt. „Das ist ein großes Problem“, meint Pilz. Vor allem für Frauen im gebärfähigen Alter sei eine Einnahme absolut sinnvoll, damit im Falle einer Schwangerschaft die Spiegel ausreichend hoch sind. Denn ausreichend hohe Konzentrationen erhalte man nicht von heute auf morgen. Eine Kontrolle des Vitamin-D-Spiegels solle außerdem nicht zu früh erfolgen: „Frühestens zwei Monate nach Beginn der Einnahme ist das sinnvoll.“
Dabei sei auch das Thema Vitamin-D-Messung an sich ein großes Feld. „Es gibt wirklich große Unterschiede je nach Labor.“ Wichtig sei daher, nur bei einem geprüften Labor testen zu lassen. „Ermittelt wird dann das sogenannte 25-Hydroxy-Vitamin-D, weil es den Spiegel am besten anzeigt“, erklärt Pilz. „Das ist die Substanz, die in der Leber aus der Vorstufe entsteht.“ Bei bestimmten Patientengruppen sei eine regelmäßige Ermittlung des Vitamin-D-Spiegels sinnvoll, beispielsweise bei Osteoporose, Niereninsuffizienz oder Übergewicht, außerdem in der Schwangerschaft und während der Stillzeit. „Personen mit einem nachgewiesenen Mangel sollten zudem regelmäßig kontrolliert werden.“
Seit der Pandemie ist Vitamin D auch in Bezug auf Covid-19 in den Fokus gerückt. „Es war schon vorher bekannt, dass eine Vitamin-D-Supplementierung Atemwegsinfekte reduzieren kann“, erklärt der Endokrinologe. Ein gewisser prophylaktischer Effekt sei somit auch bei Sars-CoV-2 zu erwarten. „Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist – im Vergleich zu anderen Substanzen, die grade getestet werden – sehr gut.“ Außerdem sei die Einnahme nebenwirkungsarm und günstig. „Wir wissen, dass Personen mit einem Mangel oft schwerere Verläufe aufweisen.“
Da Vitamin D modulierend auf das Immunsystem wirkt, könne es möglicherweise die bei Covid-19 auftretende, überschießende Reaktion beeinflussen. Dennoch sieht der Experte den Einsatz als Behandlungsoption eher skeptisch. „Bei einer Erkrankung mit hochdosiertem Vitamin D zu behandeln, könnte zwar helfen, aber wir wissen einfach noch zu wenig – in solch hohen Dosierungen ist die Verabreichung nicht mehr nebenwirkungsfrei.“ Für alle, die Sorge vor einer Covid-Erkrankung haben, könne die präventive Einnahme jedoch eine gute Möglichkeit sein. „Jeder, der einen Vitamin-D-Mangel vermeiden will, soll sich entweder zuerst testen lassen, oder kann Vitamin D auch prophylaktisch einnehmen“, meint Pilz.
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