„NDMA in Valsartan-Arzneimitteln – was kann und muss getan werden, um ähnliche Fälle in Zukunft zu vermeiden?“ Diese Frage wollten heute Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Professor Dr. Theodor Dingermann, Professor Fritz Sörgel, Professor Dr. Mona Tawab, Andreas Kiefer und Fritz Becker in einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Expopharm beantworten.
Das Thema Valsartan ist noch nicht durch und lässt sich nicht einfach unter den Teppich kehren. Apotheker werden noch immer mit dem Skandal am HV konfrontiert. Apotheker spielten und spielen eine wichtige Rolle in der Story um den Blutdrucksenker, das bestätigte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes Fritz Becker. „Die Apotheke war der erste Ansprechpartner für verunsicherte Patienten.“ Der „oberste Apotheker“ spricht von einer sehr guten Information durch das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) und der AMK. Außerdem hätten die modernen Medien über das verunreinigte Valsartan informiert. „Tagtäglich gab es neue Horrormeldungen und verunsicherte Patienten.“ Dennoch sieht Becker „Luft nach oben, weil die ein oder andere Meldung zuerst bei der Presse war.“
Die Verunsicherung der Menschen hält an“, sagt der Präsident der Bundesapothekerkammer Andreas Kiefer. „Den Patienten so complient wie möglich zu halten, ist eine große Herausforderung.“ Aber wer ist schuld? Aufsichts- oder Zulassungsbehörden? „Am Ende des Tages ist es egal, wir müssen dazu kommen, dass tatsächlich präventiv gehandelt wird.“ Nur so könne ein zweites Valsartan vermieden werden. Für Kiefer ist eine engere Zusammenarbeit nötig. Habe ein Skandal Ausmaße in ganz Deutschland, stelle sich die Frage der Zentralisierung. Dass Apotheken dabei eine zentrale Rolle haben, hätten alle gesehen. „Man muss den Rückruf nicht nur anordnen, sondern auch ausführen.“ Man sollte sich nie auf diverse Zertifikate verlassen. „Nicht die Deklaration, sondern nur die substanzielle Kontrolle zählt“, so Kiefer. „Wir haben ein Problem mit der Arzneimittelsicherheit, vor 20 Jahren hätte ich das nicht gedacht, da hilft kein Jammern. Wir müssen mehr in die Qualitätssicherung investieren, das kostet Geld. Eine absolute Produktsicherheit wird erst auf lange Zeit erreicht werden.“
Geld, das angesichts des Preisdrucks kaum aufwendbar scheint. Professor Theodor Dingermann sieht sich in seiner Kritik am deutschen Preissystem bestätigt. Wenn der Patentschutz abgelaufen ist, werde brutal zugegriffen. „Rabatte von 90 Prozent. Da muss man sich im Niedrigpreisbereich nicht wundern, dass irgendwann nach Lösungen gesucht wird, die sowas noch realisierbar machen. Ich kann verstehen, dass die Herstellung ausgelagert wird – nach Indien, China, Brasilien usw. – das ist Realität, da wird man nicht viel dran ändern können.“ So müssten diejenigen, die die enormen Rabatte abschöpfen auch die Prüfungen der Arzneimittel bezahlen. Sörgel habe laut Dingermann einmal vorgeschlagen für jede Tablette/Tagesdosis einen Cent zu fordern. „Da kämen 50 Millionen zusammen, da kann man viele Chromatogramme laufen lassen.“
Für Biologicals befürchtet Dingermann keine Gefahr. „Auf der Schiene bin ich relativ beruhigt, man kann von den Biologicals einiges lernen.“ Was sich bei den großen Molekülen bewährt habe, müssen bei den Kleinen viel konsequenter angewendet werden. Man müsse weg von „The product is the molecule zu the product is the process.“ Bei Biologicals führe eine Änderung des Produktionsprozess zu einer Neuzulassung. Hier werde sehr starkes Augenmaß auf den Prozess gelegt. Zudem könne man die Prüfung nicht einer einzigen Person überlassen sondern einem Gremium oder auswärtigen Gutachtern.
Wer aber trägt die Verantwortung? Kann man bei dem Desaster von einem Multifunktionsversagen sprechen, will Schubert-Zsilavecz wissen. Für Sörgel ist in erster Sicht der Hersteller schuld. Die Schwächen des EDQM hätten ihn überrascht. „Die Auditoren müssten exzellente pharmazeutische Chemiker sein. Aber das ist nicht deren Aufgabe. Sie prüfen in erster Linie Papier und schauen nicht in den Syntheseraum.“ Dennoch will Sörgel das EDQM ein bisschen verteidigen. Die Behörde habe über 1000 Änderungen zu prüfen. „Dafür können sie nicht genügend pharmazeutische Chemiker haben. Das EDQM muss versuchen Dinge an Experten extern zu verschicken, aber der ein oder andere externe Experte wäre auch nicht drauf gekommen.“ Wichtiger sei es, die Frage zu beantworten: „Wer hat es gesehen?“
900.000 Patienten seien in Deutschland betroffen. Aber wie viele interessiert es wirklich, will Sörgel wissen. „Wenn alle Patienten zu den Apotheken kämen, wären diese überfüllt.“ Sörgel schätzt das 600.000 bis 700.000 Patienten der Skandal um verunreinigtes Valsartan egal sei. Becker schätzt anhand der Zahlen der Nachverordnung, das etwa 50 Prozent der Betroffenen auch interessiert sind.
„Am Ende des Tages ist jeder betroffen“, wirft Kiefer ein. Auch wenn es keinen Rückruf auf Patientenebene gab, sei irgendwann die Packung zu Ende. Spätestens am Tag der Neuverordnung, werde das Thema angesprochen.
Was bleibt, sind die Angst der Betroffenen und der Vertrauensverlust in das Arzneimittel. Eine Angst die auch Tawab bestätigt. „Was ich vermisse, ist ein klares Statement gegenüber den Patienten, das Vertrauen in Arzneimittel zurückgibt. Korrektive Maßnahmen müssen auch an den Patienten übermittelt werden. Von der Politik und dem EDQM erwarte ich klare Signale, Antworten und Maßnahmen. Die FDA ist uns einen Schritt voraus. Die haben bereits eine Leitlinie erstellt, wie man mit Umstellungen im Produktionsprozess umgehen muss.“ Trotz allem hat Tawab auch eine positive Nachricht. Das ZL hat zusätzlich zu den durchgeführten Stichproben 17 weitere Präparate untersucht, darunter auch jene mit anderen Sartanen. „Zur Freude aller Verbraucher war weder NDMA noch NDEA nachweisbar.“
Für das verunreinigte Valsartan spricht Tawab von einem Multiversagen und einer Aneinanderreihung vieler unglücklicher Faktoren. Der Hersteller habe die GMP-Vorschriften nicht ernst genommen und sei schlampig mit Peaks umgegangen. „Derjenige am Anfang der Kette muss seine Hausaufgaben machen.“ Aber auch Kontrollsysteme hätten versagt. „EU-Kontrolleure vor Ort haben keine gravierenden Mängel festgestellt, die der FDA schon.“ Zudem sei es nicht verwunderlich, wenn der pharmazeutische Hersteller nicht genügend Informationen bekommt, um seine Analytik darauf ausrichten zu können. „Wie lange wollen wir uns abhängig machen von der Mitteilungsbereitschaft der asiatischen Hersteller? Wir müssen endlich das Zepter selbst in die Hand nehmen und ein erweitertes Screeningverfahren erstellen. Das ist bitter nötig.“ Tawab fordert mehr Transparenz und mehr Kontrolle. „Die Apotheke muss sicher sein, dass wir saubere Ware bekommen“, wirft Becker ein. „Rabattverträge hin oder her, es werden 90er Prozente gegeben. Aber Qualität kostet.“
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