Impfstoffe für Kinder fehlen Julia Pradel, 16.09.2015 09:19 Uhr
Während Experten nach umfassenden Impfungen für Flüchtlinge rufen, gibt es neue Engpässe an der Impfstoff-Front: Von den rund 70 Vakzinen auf dem Markt sind derzeit 14 von Lieferschwierigkeiten betroffen – das ist jedes fünfte. Probleme bereitet den Herstellern vor allem die Komponente gegen Keuchhusten. Betroffen sind daher vor allem die Kombinationsimpfstoffe für die Grundimmunisierung von Kleinkindern.
Die Liefersituation analysiert hat Markus Kerckhoff, Leiter der Schloss-Apotheke in Bergisch-Gladbach. Regelmäßig fasst er Engpässe bei Impfstoffen zusammen. Die Situation hat sich aus seiner Sicht zuletzt deutlich verschlechtert.
Den Fünffachimpfstoff gegen Tetanus, Diptherie, Keuchhusten, Polio und Haemophilus influenzae Typ b (Hib) ist derzeit weder bei GlaxoSmithKline (GSK) noch bei Sanofi Pasteur MSD erhältlich. GSK will mit Infanrix-IPV+Hib ab Ende Oktober wieder lieferfähig sein. Den Sechsfachimpfstoff, der zusätzlich vor Hepatitis B schützt, hat GSK mit Infanrix Hexa noch in einer 10er- und 50er-Packung vorrätig. Die Einzeldosis soll Ende November wieder erhältlich sein. Eine GSK-Sprecherin erklärt die Lieferengpässe mit „Verzögerungen bei der internen Qualitätskontrolle und einem erhöhten Marktbedarf für Polio-Auffrischimpfungen“.
Sanofi Pasteur MSD kann derzeit weder Pentavac noch Hexyon anbieten. Man gehe momentan davon aus, Ende des Jahres wieder lieferfähig zu sein, so eine Unternehmenssprecherin. „Die Herstellung von Kombinationsimpfstoffen, die eine azelluläre Pertussiskomponente enthalten, gehört in Bezug auf die verschiedenen Antigene zu den komplexesten und ist verbunden mit einer Vielzahl von Herstellungs- und Kontrollschritten.“
Seit 2014 sei die Produktion des Pertussis-Impfstoffs kontinuierlich gesteigert worden, um die weltweit stark angestiegene Nachfrage bedienen zu können. „Dennoch übersteigt die aktuelle Nachfragesituation die vorhandenen Produktionskapazitäten, wodurch der Bedarf nicht vollständig abgedeckt werden und es dadurch zu zeitweisen Lieferproblemen kommen kann“, so die Sprecherin weiter. Man arbeite intensiv daran, die Lieferfähigkeit so schnell wie möglich wieder herzustellen.
Probleme gab es zuletzt auch immer wieder bei dem Vierfachimpfstoff gegen Tetanus, Diphterie, Keuchhusten und Polio. Laut Kerckhoff kann Sanofi derzeit die 10er-Packung Repevax nicht liefern. Als Alternative stehen den Apothekern allerdings die Einzelspritze oder die Packung à 20 Stück zur Verfügung. Der Hersteller selbst erklärt, die Situation entspanne sich bereits wieder: Der Vierfachimpfstoff sei wieder erhältlich.
Der Konkurrenz geht es nicht viel besser: GSK kann Boostrix Polio zwar aktuell liefern – im August sah es aber noch ganz anders aus. Damals war der GSK-Impfstoff in allen Packungsgrößen defekt. Auch der Dreifachimpfstoff TdPa-Immun von Pfizer ist von dem Engpass betroffen – die Packung mit einer Spritze gibt es aktuell nicht.
Aber auch andere Impfstoffe sind von Engpässen betroffen. GSK kann den Impfstoff Priorix MMR gegen Masern, Mumps und Röteln in keiner Packungsgröße liefern. Alternativ gibt es MMR Vaxpro von Sanofi Pasteur MSD. Den Vierfachimpfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen, Priorix Tetra, hat GSK derzeit in der Einzeldosis nicht vorrätig. Als Grund nennt die Unternehmenssprecherin einen erhöhten Marktbedarf und Verzögerungen bei der internen Qualitätskontrolle.
„Wir gehen jedoch davon aus, dass sich noch ausreichend Ware in der Handelskette befindet, so dass es zu keinem ernsthaften Versorgungsengpass durch diese kurzfristige Lieferunfähigkeit kommen sollte“, so die Sprecherin. Früher als zunächst erwartet hat GSK Ware erhalten: Die Einzeldosis wird dem Hersteller zufolge seit gestern wieder ausgeliefert. Die 10er-Packung sei ebenfalls im Lager und müsse nur noch durch die Qualitätskontrolle – werde also auch noch in dieser Woche ausgeliefert.
Die beiden verfügbaren Vakzine gegen Typhus, Typhim Vi von Sanofi Pasteur MSD und Typhoral L von Novartis, sind derzeit nicht erhältlich. Der Lieferengpass bei Typhim Vi dauert bereits seit Juli an. Ohne Alternative sind Patienten, die den inaktivierten Poliomyelitis-Impfstoff IPV Merieux von Sanofi Pasteur MSD brauchen. Die 10er-Packung soll es ab Ende Oktober wieder geben, für die Einzeldosis nennt der Hersteller kein Datum.
Der Hersteller erklärt zu den Engpässen, Impfstoffe seien biotechnologische Produkte, deren Herstellung komplex und aufwendig sei. Deshalb könne es vereinzelt zu Lieferengpässen kommen. Man arbeite intensiv daran, „die unbefriedigende Situation zu beheben“.
Bei den Impfstoffen gegen Hepatitis A gibt es Schwierigkeiten: GSK kann Havrix 1440 voraussichtlich erst im zweiten Quartal 2016 wieder liefern. Alternativ können Havpur von Novartis oder Vaqta von Sanofi Pasteur MSD abgegeben werden. Vaqta für Kinder ist allerdings nicht lieferbar. Stattdessen gibt es Havrix 720 oder Havpur.
Sanofi Pasteur MSD kann schließlich auch den Pneumokokken-Impfstoff Pneumovax 23 in Durchstechflaschen in der Zehnerpackung nicht liefern. Stattdessen bietet das Unternehmen seit September Pneumovax-Fertigspritzen an – und sei damit voll lieferfähig, heißt es. Die Durchstechflaschen gingen vom Markt.
Aus Sicht von Kerckhoff sind die aktuellen Probleme besonders dramatisch. Denn aufgrund der Flüchtlingssituation komme es zu einer erhöhten Nachfrage nach den Standardimpfstoffen. Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt Flüchtlingen und Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften, möglichst schnell die Schutzimpfungen zu erhalten. Ziel sei die Vervollständigung der Grundimmunisierung.