OTC-Medikamente

Urteil: Prospan verspricht zu viel Patrick Hollstein, 11.03.2015 11:23 Uhr

Berlin - 

Den Anbietern von Efeu-Präparaten drohen ungemütliche Zeiten: Das Verwaltungsgericht Köln (VG) hat in einem Streit um Prospan-Brausetabletten entschieden, dass die bisherigen Indikationen nicht ausreichend belegt sind. Außerdem seien bei den Lutschpastillen Angaben zur Häufigkeit allergischer Reaktionen nicht haltbar. Die spannende Frage ist, ob das Urteil in den Folgeinstanzen rechtskräftig wird und ob die Behörde dann auch gegen andere Präparate innerhalb und außerhalb des Prospan-Sortiments vorgehen wird.

In den 1990er Jahren hatte Engelhard Arzneimittel mit Prospan die Nachzulassung absolviert. Schon damals stritten sich Hersteller und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wegen der Indikationen vor Gericht; am Ende einigte man sich auf der Grundlage eines Gutachtens aus dem Jahr 1997 auf einen Vergleich. Seitdem darf der Trockenextrakt eingesetzt werden „zur Besserung der Beschwerden bei chronisch-entzündlichen Bronchialerkrankungen“ sowie „akuten Entzündungen der Atemwege mit der Begleiterscheinung Husten“.

Doch damit war der Fall noch nicht abgeschlossen, denn nach fünf Jahren musste Engelhard die Zulassung für die Brausetabletten noch einmal verlängern lassen. Im März 2004 wurde der entsprechende Antrag gestellt – im September 2011 stellte das BfArM überraschend die Ablehnung in Aussicht. Die Wirksamkeit in beiden angegebenen Indikationen sei nicht ausreichend belegt, hieß es zur Begründung.

Das BfArM nahm Bezug auf die Arbeit des Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC). Der bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) angesiedelte Expertenausschuss hatte den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Efeu neu bewertet; die Monografie aus dem Jahr 2009 sieht für entsprechende Präparate lediglich das Anwendungsgebiet „Pflanzliches Arzneimittel zur Anwendung als schleimlösendes Mittel bei produktivem Husten“ vor. „Die Bewertung der Studien ergab, dass diese zum Beleg der Wirksamkeit bei chronisch-entzündlichen und akuten entzündlichen Bronchialerkrankungen nicht geeignet sind“, so das BfArM.

Auch Studien, die der Hersteller nachreichte, überzeugten nicht: Langzeituntersuchungen, die bei chronischen Erkrankungen erforderlich wären, existierten genauso wenig wie Dosisfindungs- oder passende Vergleichsstudien. Die vorgelegten Anwendungsbeobachtungen seien „aus methodischen Gründen (keine Vergleichsgruppe/Placebo-Gruppe, Begleitmedikation)“ zum Beleg der Wirksamkeit grundsätzlich nicht geeignet, so das BfArM.

Aus dem klinischen Gutachten gehe insgesamt hervor, dass „auch keine anderen, den aktuellen Anforderungen entsprechenden klinischen Untersuchungen für die beantragte Indikation und Dosierung vorliegen“. Die Unterlagen zum Beleg der Wirksamkeit gingen nicht über die Daten der HMPC-Monografie hinaus. Im November 2012 wurde die Verlängerung der erteilten Zulassung versagt.

Bei Engelhard konnte man nicht verstehen, warum das BfArM plötzlich seine Meinung geändert hatte. Seit dem gerichtlichen Vergleich im Jahr 2002 habe es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gegeben; außerdem seien mehr als 40 andere Efeu-Präparate mit derselben Indikation auf dem Markt. Im Juli 2013 reichte der Hersteller aus Niederdorfelden bei Frankfurt Klage ein.

Doch vor wenigen Wochen gab das VG der Behörde Recht: Engelhard sei den Beweis schuldig geblieben, dass „die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung“. Die langjährigen Erfahrungen mit dem Produkt könnten die gebotene klinische Erprobung nicht ersetzen; genauso wenig gebe es einen Vertrauensschutz auf Fortbestand der Indikation: „Jeder Zulassungsinhaber muss damit rechnen, dass sich sein Produkt der Zulassungsverlängerung stellen muss.“

Mit der erneuten Prüfung im Nachzulassungsverfahren habe der Gesetzgeber verhindern wollen, dass „Arzneimittel unterschiedlichen Prüfungsniveaus dauerhaft verkehrsfähig“ seien, so die Richter weiter. Bestehende Zulassungen könnten aufgrund eines ungünstigen Nutzen/Risiko-Verhältnisses auch dann widerrufen werden, wenn sich nachträglich die Bewertungsmaßstäbe geändert hätten. Insofern sei das BfArM auch nicht an den früheren Vergleich gebunden.

Unerheblich ist aus Sicht der Richter auch der Verweis auf die Konkurrenz: Die Umsetzung wissenschaftlicher Vorgaben in der regulatorischen Praxis könne „naturgemäß nur sukzessive entsprechend den sachlichen und personellen Möglichkeiten der Bundesoberbehörde“ erfolgen – davon habe Engelhard letztlich selbst profitiert, da die Entscheidung über den Verlängerungsantrag einschließlich des gerichtlichen Verfahrens mehr als zehn Jahre in Anspruch genommen habe.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar – dass die Prospan-Brausetabletten tatsächlich vom Markt genommen werden müssen, ist aber unwahrscheinlich. Engelhard hat Berufung eingelegt, auch um weitere Unterlagen vorlegen zu können. Sollten spätere Instanzen zu einer anderen Einschätzung kommen, könnte die Behörde womöglich für entgangene Umsätze in die Pflicht genommen werden.

Wird allerdings das Urteil rechtswirksam, haben vermutlich auch andere Hersteller über kurz oder lang ein Problem. Denn nicht nur die Prospan-Produkte sind in der streitigen Indikation auf dem Markt, sondern auch Hedelix (Krewel Meuselbach), Sinuc (Hexal), Esberitox (Schaper & Brümmer), Bronchostad (Stada) sowie die Efeu-Säfte von Ratiopharm, 1A und Madaus. Nur Sidroga hat bei Bronchoverde auf die Monografie Bezug genommen und sich an die dort vorgegebene Indikation gehalten.

Bei den Nebenwirkungen muss Engelhard schon nachbessern: In einem parallelen Verfahren hat das VG einen Versuch des Herstellers abgewiesen, die Häufigkeit allergischer Reaktionen unter der Einnahme von Prospan-Lutschpastillen von „selten“ auf „sehr selten“ herabzustufen. Auch hier verwiesen die Richter auf die Monografie, in der als Häufigkeit sogar „gelegentlich“ angegeben sei. Dieses Urteil ist bereits rechtskräftig, das heißt die Packungsbeilagen der Lutschpastillen enthalten künftig eine andere Angaben zu den Nebenwirkungen als die anderen Produkte.

Spannend wird die Frage, wie das BfArM mit dem Urteil umgehen wird. Normalerweise haben bestehende Zulassungen einen „Bestandsschutz“ – so gesehen hatten die Brausetabletten schlichtweg „Pech“, dass sie durch die Zulassungsverlängerung mussten. Bleibt es aber bei dem Einzelfall, wären künftig unterschiedliche Efeu-Präparate mit unterschiedlicher Indikation auf dem Markt.

Das VG hat in seinem Urteil bereits durchblicken lassen, dass das BfArM die HMPC-Monografie umsetzen will. Welche Mittel die Behörde weiter nutzt, wird sich zeigen. In Bonn wollte man sich auf Nachfrage weder zum Einzelfall noch zu grundsätzlichen Fragen äußern.

Prospan kommt unter den Efeu-Präparaten auf einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent, abgeschlagen folgen mit jeweils 3 Prozent Hedelix und Sinuc, dahinter Bronchostad und Bronchoverde. Entsprechend wichtig ist Prospan für Engelhard: Rund zwei Drittel des Umsatzes hierzulande von insgesamt 30 Millionen Euro entfallen auf die 1950 eingeführte Marke. Weil eine Indikationseinschränkung aber auch Auswirkungen auf das internationale Geschäft haben könnte, lässt Engelhard die Wirksamkeit von Efeublätter-Trockenextrakt weiter untersuchen, etwa durch die TU Dresden. Seit 2003 in der Grundlagenforschung aktiv, konnte bereits der Wirkmechanismus von Alpha-Hederin entschlüsselt werden.