Uridin: Neuer Wirkstoffkandidat bei Essstörungen? Sandra Piontek, 26.01.2023 15:03 Uhr
Verminderter Appetit ist bei Patient:innen mit Essstörungen häufig ein gravierendes Problem. Ein zentraler Baustein der Ribonukleinsäure (RNA) – das Uridin – könnte Betroffenen helfen, wieder mehr lebensnotwendige Nahrungsmittel zu sich zunehmen. Interessant könnte der Wirkstoff aber auch für Übergewichtige im Hinblick auf die Regulation des Appetits sein.
Appetit ist ein psychisches Phänomen: Kein Hungergefühl oder keinen Appetit zu haben, wirkt sich direkt auf das Essverhalten aus. Zu Appetitverlust kann es kommen bei:
- Nebenwirkungen von Medikamenten,
- Schwangerschaft,
- körperliche Erkrankungen (Diabetes, Schilddrüsenüberfunktion)
- psychische Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen
- Stress und Konflikte
Eine Substanz der Ribonukleinsäure könnte Abhilfe schaffen: Uridin-Mono-Phosphat (UMP). Das Zwischenprodukt entsteht bei der Herstellung von RNA und DNA. Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung und der Uniklinik Köln konnten zeigen, dass bei Einnahme von UMP das Hungergefühl verstärkt wird. Verschiedene Forschungsgruppen haben untersucht, ob eine zusätzliche UMP-Einnahme einen Nutzen bringt. In früheren Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass UMP eine positive Wirkung auf Nervenwachstum und Dopamin-Ausschüttung gezeigt. Außerdem kann Uridin das Herz schützen und den Blutdruck erhöhen. Uridin ist in vielen Lebensmitteln wie Hefe, Brokkoli oder Fisch enthalten und wird in kleinen Mengen auch in der Leber synthetisiert.
Hungersignal durch Uridin
Die vom Uridin abgeleitete Substanz Uridindiphosphat spielt eine Schlüsselrolle bei der Speicherung von Kohlenhydraten. Uridin wird für das Wachstum und Überleben von Zellen in unserem Körper benötigt, daher ist der Uridinspiegel im Blut ebenso wie Glukose sehr streng reguliert. Im Blut kann Uridin Bluturidin als „Hungersignal“ wirken kann. Im nüchternen Zustand steigt der Bluturidinspiegel an. Dies ist eng mit einem Abfall der Körperkerntemperatur verbunden. Erhöhte Uridinspiegel im Blut implizieren demnach einen gesteigerten Appetit. Langfristig könnte Uridin ein potenzieller Kandidat für Therapeutika gegen Essstörungen beim Menschen sein.
Uridin steuert Nahrungsaufnahme
Anhand von Untersuchungen an Mäusen fanden Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung bereits vor einigen Jahren heraus, dass Uridin eine wichtige Funktion bei der Steuerung der Nahrungsaufnahme hat.
„Wir wollten wissen, ob Uridin auch im Menschen das Essverhalten steuert. Im Menschen sind solche Untersuchungen aber sehr viel komplizierter, da zum Beispiel die soziale Interaktion einen großen Einfluss hat. Wenn andere Menschen beobachten, was wir essen, kann das dazu führen, dass wir unser Essverhalten ändern“, so Ruth Hanssen, Erstautorin der Studie.
Durch Separierung der Proband:innen vor der Uridingabe, wurde die Beeinflussung so gering wie möglich gehalten. Die Teilnehmer:innen durften während des Tages ohne Einschränkung essen, sollten aber Angaben zum Hungergefühl während des Beobachtungszeitraumes machen. Zudem wurde Blut abgenommen, um den Uridin-Spiegel im Blut zu kontrollieren. Anhand der Ergebnisse konnte belegt werden, dass die Proband:innen nach der Uridin-Einnahme deutlich hungriger waren und demzufolge mehr der angebotenen Nahrung verzehrten. Besonders stark war das Hungergefühl nach geringen Gaben Uridin.
„Wir wissen jetzt, dass Uridin auch im Menschen die Nahrungsaufnahme steuern kann. Möglicherweise kann es auch als Nahrungsergänzungsmittel helfen, das Hungergefühl in Patienten mit Essstörungen zu steigern. Wir wissen aber noch nicht, ob der Effekt von Uridin stark genug ist, um die psychologischen Ursachen zu überwinden. Dazu sind noch weitere klinische Studien nötig“, so Lionel Rigoux, ebenfalls Erstautor der Studie.