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Steckbrief: Alle neuen Wirkstoffe 2016 Nadine Tröbitscher, 28.12.2016 15:21 Uhr

Berlin - 

Die forschenden Pharmaunternehmen haben auch 2016 neue Wirkstoffe durch die Zulassung und etwa 30 neue Medikamente auf den Markt gebracht. Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich dadurch für bestimmte Erkrankungen erweitert. Die Innovationen kommen jedoch fast alle aus dem Ausland. Laut Bilanz des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) stammt nur ein Medikament aus Deutschland.

Der größte Anteil der Neupräparate entfällt auf Krebsmedikamente, allein zehn neue Wirkstoffe wurden zugelassen, darunter ein Impfstoff.

Venclyxto (Venetoclax; AbbVie) ist der jüngste Zugang und dient zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) mit oder ohne bestimmte genetische Veränderungen, die 17-p-Deletion oder TP53-Mutation genannt werden. Der Wirkstoff hemmt das Protein BCL-2, das Krebszellen hilft zu überleben. Ist das Protein gehemmt, sterben die Krebszellen ab und das Fortschreiten der Erkrankung kann verlangsamt werden. Die Filmtabletten sind zu 10, 50 und 100 mg erhältlich.

Lonsurf (Trifluridin/Tipiracil; Servier) soll eingesetzt werden bei Patienten mit fortgeschrittenem metastasiertem kolorektalem Karzinom (mKRK). Das Mittel kommt dann zum Einsatz, wenn andere verfügbare Therapien versagt haben oder nicht zum Einsatz kommen können. Die Kombination greift die Tumorzellen-DNA direkt an und hemmt dadurch das Wachstum der Krebszellen. Trifluridin ist ein antineoplastisches Nukleosidanalogon, das direkt in die DNA eingebaut wird und so deren Funktion beeinträchtigt. Die Konzentration im Blut wird anhand von Tipiracil aufrechterhalten, einem Hemmer des Trifluridin-abbauenden Enzyms Thymidinphosphorylase.

Ibrance (Palbociclib; Pfizer) ist für die Behandlung von Frauen mit Hormonrezeptor (HR)-positivem, humanem epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (HER2)-negativ lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs zugelassen. Ibrance wird dann mit einem Aromatasehemmer wie Femara (Letrozol) oder Arimidex (Anastrozol) kombiniert. Frauen, die bereits eine endokrine Therapie erhalten haben, verwenden den neuen Wirkstoff zusammen mit dem Zytostatikum Faslodex (Fulvestrant).

Imlygic (Talimogen Laherparepvec, Amgen) ist der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse und kommt bei Melanomen zum Einsatz, wenn diese nicht resezierbar und metastasiert sind. Die aktive Substanz, Talimogene laherparepvec, ist ein gentechnisch verändertes Herpes-simplex-Virus (HSV-1). Der Wirkstoff löst bei Tumorzellen eine übermäßige Produktion des humanen Immunproteins GM-CSF aus. Dies führt zu einem so hohen Energieverbrauch der Zelle, dass diese abstirbt. GM-CSF stimuliert außerdem eine systemische Immunantwort gegen die Tumorzellen.

Portrazza (Necitumumab, Lilly) dient der Behandlung des Nicht-kleinzelligen-Lungenkrebses (NSCLC) und wird in Kombination mit Gemcitabin und Cisplatin bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem NSCLC angewendet, die zuvor noch keine andere Therapie erhalten haben. Der monoklonale Antikörper wirkt spezifisch und hochselektiv auf den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) in der Tumorzelle und blockiert die Bindungsstelle des natürlichen Liganden.

Lartruvo (Olaratumab: Lilly) für die Behandlung von Erwachsenen mit fortgeschrittenen Weichteilsarkom und hemmt den Platelet-Derived-Growth-Factor-Receptor-Alpha (PDGFR-alpah). Betroffene Patienten sollen das Medikament in Kombination mit dem Zytostatikum Doxorubicin verwenden, wenn ein operativer Eingriff oder eine Chemotherapie nicht in Frage kommen. Lartruvo wurde in einem beschleunigten Verfahren begutachtet und erhielt den Status „Arzneimittel gegen eine seltene Krankheit“ - Orphan drug.

Empliciti (Elotuzumab, BMS/AbbVie): BMS und AbbVie haben sich bei der Entwicklung des monoklonalen IgG1-Antikörpers zusammengetan. Emplicity soll bei der Behandlung des rezidivierenden oder refraktären Multiplen Myeloms zur Anwendung kommen. Der Wirkstoff richtet sich gegen ein Oberflächen-Glykoprotein der Myelomzellen. Das Produkt wird in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason eingesetzt.

Darzalex (Daratumumab; Janssen-Cilag) dient der Behandlung des Multiplen Myeloms von Patienten, die mindestens drei Vortherapien erhalten haben, darunter ein immunmodulatorisches Medikament und ein Proteasomenhemmstoff. Daratumumab richtet sich gegen das Signalmolekül CD38, welches sich auf der Oberfläche von Tumorzellen befindet. Der Wirkstoff greift die Zelle direkt an, vermittelt aber auch eine Immunantwort des Patienten gegen die Myelomzellen.

Unituxin (Dinutiximab, United Therapeutics) soll in Kombination mit koloniestimulierenden Faktoren (GM-CSF), Interleukin-2 und Isotretionen bei Patienten mit Hochrisiko-Neuroblastom eingesetzt werden. Die Nervenzelltumore treten vor allem bei kleinen Kindern auf, das Präparat hat den Status als Orphan Drug erhalten. Dinutiximab blockiert das Disialogangliosid GD2, das in großer Menge auf der Oberfläche von Melanomzellen vorkommt

Gardasil 9 (HPV-Stämme 6, 11, 16, 18, 31, 33, 45, 52, 58; SPMSD) Der Impfstoff ist indiziert zur aktiven Immunisierung von Patienten ab einem Alter von neun Jahren gegen neun verschiedenen Typen der Humanen Papillomaviren (HPV) - das sind fünf Typen mehr als Gardasil. Der neun-valente Impfstoff dient der prävention von Gebärmutterhalskrebs, Genitalwarzen sowie verschiedener Genital- und Analkrebsarten, die durch HPV verursacht werden.

Tagrisso (Osimertinib; Astra Zeneca) wurde im März auf den Markt gebracht und bereits im November wieder verschwunden, da dem Wirkstoff vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) kein Zusatznutzen zugeschrieben wurde. Der Kinasehemmer wirkt auf den EGFR-Rezeptor mit T790M-Mutationen des NSCLC.

Zur Behandlung gegen Blutungskrankheiten kamen vier Medikamente auf den Markt. Boehringer Ingelheim sorgte für ein Antidot des Schlaganfallmittels Pradaxa.

Elocta (Efmoroctocog alfa; Biogen) und Obizur (Susoctocog alfa; Baxter) werden bei Hämophilie A eingesetzt. Das Produkt von Biogen ist ein lang wirksamer rekombinierter Faktor VIII und muss nur alle drei bis fünf Tage appliziert werden.

Alprolix (Eftrenonacog alfa; Biogen) und Idelvion (Albutrepenonacog alfa; CSL Behring) kommen zur Behandlung und Prophylaxe der Hämophilie B zum Einsatz. Beide Wirkstoffe werden gentechnisch hergestellt. Das Produkt von CSL-Behring ist ein rekombinierter Gerinnungsfaktor IX und das Biogen-Produkt dessen Weiterentwicklung.

Praxbind (Idarucizumab; Boehringer Ingelheim) ist das Antidot zum oralen Antikoagulans Pradaxa (Dabigatran; Boehringer Ingelheim). Das humanisierte Antikörperfragment hemmt Dabigatran durch dessen Bindung und stellt somit die volle Gerinnungsfähigkeit der betroffenen Patienten wieder her. Das Antidot soll für den Notfall bereitgestellt werden.

Für die Therapie von Hepatitis C stehen zwei neue Medikamente zur Verfügung.

Epclusa (Velpatasvir/Sofosbuvir; Gilead) ist eine Kombination aus einem bekannten Wirkstoff (Sofosbuvir; Sovaldi) und dem neuen Velpatasvir, das zusätzlich das Protein NS5A hemmt. Sofosbuvir blockiert die NS5B RNA-abhängige RNA-Polymerase. Das Hepatitis C-Virus in somit in seiner Vermehrung und der Infizierung neuer Zellen gehemmt. Das Arzneimittel ist gegen Hepatitis-C-Viren der Genotypen 1 bis 6 wirksam.

Zepatier (Grazoprevir/Elbasvir; MSD) ist die Kombination aus zwei neuen Wirkstoffen, die gegen Hepatitis-C-Viren der Genotypen 1a, 1b oder 4 wirksam. Grazoprevir hemmt die Proteasen NS3 und NS4A, Elbasvir blockiert den Replikationskomplex NS5A.

Zur Behandlung von HIV 1-Infektionen steht seit diesem Jahr Genvoya (Tenofovir-Alafenamid/Elvitegravir/Cobicistat/Emtricitabin; Gilead) kann bereits für Kinder ab zwölf Jahren eingesetzt werden, Voraussetzung ist ein Mindestgewicht von 35 kg. Neu in der Kombination aus Nukleosidischen-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI), Booster und Intergasehemmer ist das NRTI Tenofovir-Alafenamid (TAF). Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Tenofovir-Disoproxylfumarat (TDF) ist TAF besser verträglich, da es plasmastabil ist und geringer dosiert werden kann.

Der Bedarf von Antibiotika wird verstärkt diskutiert und auf Grund von Resistenzen wird der Ruf nach neuen Wirkstoffen und Lieferengpässen lauter. Im laufenden Jahr wurden zwei neue Antibiotika eingeführt – beide zur Behandlung von Haut- und Weichteilinfektionen zur Infusion gegen MRSA-Keime.

Xydalba (Dalbavancin, Durata): Dalbavancin gehört wie Vancomycin zu den Glykopeptid-Antibiotika, die die Zellwandsynthese grampositiver Bakterien hemmen und vor allem bei akuten bakteriellen Haut- und Weichgewebeinfektionen verwendet werden. Das Präparat wird wöchentlich intravenös verabreicht und wirkt auch gegen MRSA-Bakterien.

Orbactiv (Oritavancin, The Medicines Company) ist das erste in Einzeldosis zu verabreichende Antibiotikum zur Behandlung akuter bakterieller Haut- und Hautstrukturinfektionen, die durch empfindliche grampositive Bakterien wie MRSA-Keime verursacht werden. Das Glycopeptid hemmt die bakterielle Zellwandsynthese und stört die bakterielle Membranintegrität. Das führt zu einem raschen Zelltod.

Briviact (Brivaracetam; UCB) kam im Februar zur Zusatzbehandlung fokaler Epilepsieanfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 16 Jahren eingesetzt. Fokale Anfälle beginnen auf einer Hirnseite und können sich dann auf beide Seiten ausbreiten. UCB hat das Arzneimittel aber als „Vorsichtsmaßnahme“ auf „außer Vertrieb“ gesetzt, da der G-BA dem Medikament keinen Zusatznutzen ausgesprochen hat. Der Wirkstoff galt als Nachfolger für Levetircetam, da in beiden Fällen eine Bindung an das synaptische Vesikelprotein 2A erfolgt, wobei Brivaracetam mit höherer Affinität bindet.

Senshio (Ospemifen; Shionogi) soll Abhilfe bringen für Frauen, die unter Vulva- und Vaginalatrophie leiden. Seit Mai ist das Präparat des japanischen Herstellers in Deutschland erhältlich. Die Rückbildung der äußeren Geschlechtsorgane ist eine der am häufigsten berichteten Beschwerden nach der Menopause und ist häufig mit Dyspaurenie verbunden. Ospemifen ist ein selektiver Östrogenrezeptor-Modulator (SERM) und ahmt die Wirkungen von Estrogen auf vaginales Gewebe nach. Die Tablette wird in einer Dosis von 60 mg einmal am Tag mit der Nahrung eingenommen. Ospemifen macht vaginales Gewebe dicker und weniger anfällig.

Ongentys (Opicapon; Bial-Portela) dient der Behandlung von Parkinson und motorischen Störungen. Der Wirkstoff ist ein peripher und reversibel wirksamer, selektiver lang wirksamer Catechol-O-Methyltransferase-( COMT)-Inhibitor, der ergänzend zu einer Therapie mit L-Dopa eingesetzt werden soll.

Nicht nur Krebsmedikamente wurden 2016 als Orphan-Drug eingeführt sondern auch Arzneistoffe in vier anderen Therapiegebieten.

Scenesse (Afamelanotid; Clinuvel) ist ein Implantat zur Behandlung der erythropoetischen Protoporphyrie. Der Wirkstoff ist eine Analogon von Alpha-Melanozyten-Stimulierendem-Hormon) und stimuliert die Produktion von Eumelanin und schützt so die Haut gegen phototoxische Reaktionen.

Galafold (Migalastat; Amicus) soll für die personalisierte Therapie der seltenen lysosomalen Speicherkrankheit Morbus Fabry mit bestimmten Mutationen eingesetzt werden. Weltweit sind knapp 10.000 Menschen betroffen. Der Wirkstoff steigert die Aktivität der alpha-Galaktosidase A und ist eine Alternative zur Enzymersatztherapie. Geeignet ist Galafold für Patienten mit AT1001-ansprechbarer GLA-Mutation. Das entspricht immerhin zwischen 30 und 50 Prozent aller Betroffenen.

Wakix (Pitolisant; Bioprojet Pharma) soll bei erwachsenen Patienten zur Behandlung der Narkolepsie eingesetzt werden. Pitolisant ist ein inverser Agonist des histaminergen H3-Rezeptors. Der Wirkstoff verstärkt die Histamin-vermittelte Signalübertragung im Gehirn und führt somit zu einer Verminderung der Schläfrigkeit der Betroffenen.

Hetlioz (Tasimelteon; Vanda) wird zur Behandlung der Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus bei blinden Erwachsenen eingesetzt. Das Psycholeptikum ist ein Melatonin-Rezeptoragonist und wirkt als zirkadianer Regler, der die „innere Uhr“ im suprachiasmatischen Kern zurücksetzt.

Nucala (Mepolizumab; Glaxo) kann seit Februar zur behandlung von schwerem eosinophilen Asthma eingesetzt werden. Der Wirkstoff ist als Injektionslösung im Handel und ist als humanisierter monoklonaler Antikörper ein Interleukin-5-Antagonist.

Uptravi (Selexipag; Actelion) kommt seit Juni bei arteriellem Lungenhochdruck zum Einsatz. Der Wirklstoff ist der erste Vertreter der neuen Klasse der oralen Prostaglandin IP2-Rezeptor-Agonisten. Durch die Bindung an den IP2-Rezeptor bewirkt das Mittel eine Erweiterung der Blutgefäße. Zudem hat Uptravi eine zellwachstumshemmende und antiinflammatorische Wirkung.

Entresto (Sacubitril/Valsartan; Novartis) dient zur Behandlung von Herzinsuffizienz und ist das erste neue Medikament für diese Indikation seit etwa zehn Jahren. Die Tabletten enthalten den bekannten Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker Valsartan, der als Altoriginal unter dem Namen Diovan von Novartis vermarktet wird.

Neu ist Sacubitril – der erste Vertreter der neuen Wirkstoffklasse der Angiotensin-Rezeptor/Neprolysin-Inhibitoren (ARNI). Das Enzym, das auch als neutrale Endopeptidase (NEP) bekannt ist, baut in der Niere unter anderem natriuretische Peptide ab; dadurch steigt die Volumenbelastung für das Herz.