Alkoholismus

Trocken werden mit Tabletten? Deniz Cicek-Görkem, 11.10.2017 11:29 Uhr

Berlin - 

Alkoholismus stellt nicht nur für die Betroffenen eine gesundheitliche Gefahr dar, sondern ist auch mit sozialen und ökonomischen Folgeschäden verknüpft. Umso wichtiger ist eine entsprechende Therapie. Doch der Ausstieg für die Menschen, die die Kontrolle über das Genussmittel verloren haben, ist oft eine Herausforderung. Medikamentös können verschiedene Arzneistoffe eingesetzt werden, die den Entzug unterstützen. Wie sieht die Evidenzlage aus? Dies haben kürzlich französische Wissenschaftler auf den Prüfstand gestellt.

Dr. Clément Palpacuer vom Clinical Investigation Centre in Rennes und sein Team werteten im Rahmen eines systematischen Reviews 32 randomisierte, kontrollierte Studien aus, die zwischen 1994 und 2015 publiziert wurden. Die Untersuchungen verglichen die Effekte von oral appliziertem Nalmefen (n=9), Naltrexon (n=14), Acamprosat (n=1), Baclofen (n=4) and Topimarat (n=4) gegenüber Placebo. Keine Studie lieferte einen direkten Vergleich zwischen den Arzneistoffen. Insgesamt wurden die Datensätze von 6036 Patienten ausgewertet. Der primäre Endpunkt war die Reduktion des totalen Alkoholkonsums.

Bei 26 Studien fanden die Forscher ein Risiko für lückenhafte Daten, in 17 Studien eins für selektives Reporting. Viele der Studien waren mit Bias versehen, die zu einer übertrieben dargestellten Wirkung beitrugen, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Addiction“. Sie haben herausgefunden, dass die Substanzen Nalmefen, Baclofen und Acamprosat in Bezug auf den Alkoholkonsum überlegener waren als Placebo.

Eine Wirksamkeit für Naltrexon und Acamprosat konnten sie dagegen nicht beobachten. Sie stellten fest, dass kein Medikament auf die Reduktion des körperlichen Schadens hin analysiert wurde. „Keine Studie erforschte die gesundheitlichen Folgen“, bemängeln die Wissenschaftler. Auch kritisierten sie, dass die Ergebnisse mancher Untersuchungen nicht reproduzierbar waren.

Den Ergebnissen zufolge gibt es keine fundierten Belege dafür, dass die Medikamente helfen, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Insgesamt bezweifeln die Forscher die Evidenz: „Wir fanden keinen eindeutigen Beweis für den Nutzen dieser Medikamente zur Kontrolle des Alkoholkonsums“, sagt Palpacuer. „Das bedeutet nicht, dass diese Medikamente nicht wirken, es besagt, dass wir es jetzt noch nicht wissen.“ Bessere Studien seien erforderlich.

In Deutschland sind zur Therapie der Alkoholkrankheit drei Arzneistoffe zugelassen: Acamprosat (Campral, Merck), Nalmefen (Selincro, Lundbeck) und Naltrexon (Adepend, Desitin). Angezeigt sind diese Substanzen nur im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts, das auch begleitende psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen beinhaltet. Pharmakologisch stellt man unterschiedliche Wirkmechanismen fest: Der Effekt von Acamprosat basiert wahrscheinlich auf einer Stimulierung der inhibitorischen GABA-ergen Neurotransmission sowie auf einem antagonistischen Effekt auf die erregenden Aminosäuren, insbesondere Glutamat.

Nalmefen wurde in der Vergangenheit bei Opiat-Intoxiationen verwendet. Aus In-vitro-Studien ist bekannt, dass der Arzneistoff ein selektiver Opioid-Rezeptorligand mit antagonistischer Aktivität am μ- und δ-Rezeptor und mit partieller agonistischer Aktivität am κ-Rezeptor ist. In In-vivo-Studien wurde eine Verringerung des Alkoholkonsums beobachtet, möglicherweise durch Modulierung von kortiko-mesolimbischen Funktionen. Bei Naltrexon vermutet man auch eine Interaktion mit dem endogenen Opiodsystem. Der herausragende Effekt der Behandlung alkoholkranker Patienten mit Naltrexon scheint eine Senkung des Risikos zu sein, dass es nach Konsum einer begrenzten Menge Alkohols zu einem kompletten Rückfall mit unkontrolliertem Rauschtrinken kommt.