Arzneimittel mit dem Wirkstoff Tolperison sollen künftig Hinweise auf eine mögliche Überdosierung sowie entsprechende Handlungsempfehlungen enthalten. Dies empfahl der Pharmakovigilanzausschuss für Risikobewertung (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) nach Prüfung der periodischen Sicherheitsberichte.
Der Wirkstoff Tolperison zählt zu den zentralen Muskelrelaxantien. Er wirkt direkt auf die Reizweiterleitung im Nervensystem und die Skelettmuskulatur, indem Calcium- und Natriumkanäle inhibiert werden. Dadurch werden die Neurotransmitterfreisetzung gehemmt und spinale Reflexe werden gedrosselt. Die Wirkung von Tolperison ähnelt stark dem Lokalanästhetikum Lidocain, welches auch chemisch eng mit der Substanz verwandt ist. Die Tolperison-Wirkung auch daher häufig auch „lidocain like activity“ genannt. Bei Muskelkrämpfen kommt es durch kleinste Reize zu einer erhöhten Spannung der Skelettmuskulatur: Die einzelnen Muskelfasern ziehen sich zusammen, dadurch kann es zu starken Schmerzen kommen.
Durch Tolperison werden diese auslösenden Reize gedämpft und kontrahierte Muskeln entspannen sich. Die Substanz wird mittlerweile gemäß der Zulassung nur noch bei Muskelkrämpfen nach Schlaganfällen eingesetzt: Durch die kontrahierten Muskeln können Gefäße abgedrückt werden, wodurch es häufig zu sogenannten „ischämischen Schmerzen“ kommt. Früher war Tolperison auch bei Muskelverspannungen im Schulter- und Rückenbereich zugelassen – 2012 wurde diese Zulassung jedoch widerrufen.
Nun wurde der Wirkstoff erneut bewertet: Im Zuge des Verfahrens wurde die Analyse von Daten eines Schweizer Giftzentrums zur Überdosierung von Tolperison bei Patienten, die Tolperison allein oder in Kombination mit nichtsteroidalen Entzündungshemmern einnahmen, betrachtet. Der PRAC empfiehlt auf Basis dieser Ergebnisse die Aktualisierung der Produktinformation tolperisonhaltiger Arzneimittel mit Informationen zur Überdosierung. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Wirkstoffes sei – vorbehaltlich der vorgeschlagenen Änderungen der Produktinformationen – jedoch unverändert.
Die Fachinformationen sollen künftig Hinweise auf die Symptomatik einer Tolperison-Überdosierung enthalten. Symptome einer Überdosierung können Somnolenz, gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und epigastrischer Schmerz, Tachykardie, Bluthochdruck, Bradykinese und Schwindel beinhalten. In schweren Fällen wurde über Krampfanfälle, Atemdepression, Apnoe und Koma berichtet. Die Einzeldosis von Tolperison liegt bei 50 bis 150 mg, die Tagesgesamtdosis bei 150 bis maximal 450 mg.
Auch ein Hinweis auf das fehlende Antidot soll in die Fachinformationen aufgenommen werden: „Es gibt kein spezielles Antidot für Tolperison, eine symptomatische Behandlung wird empfohlen.“ In die Packungsbeilage sollen zudem Handlungsempfehlungen für den Patienten bei einer Überdosierung aufgenommen werden. Im Abschnitt 3 („Wenn Sie eine größere Menge von Tolperison eingenommen haben, als Sie sollten“) wird geraten, sich sofort mit dem Arzt oder Apotheker oder einer Notaufnahme in zu Verbindung setzen. Bis zum 14. Mai müssen die Inhaber der Zulassungsgenehmigungen die Änderung umgesetzt und entsprechende Anträge eingereicht haben.
Bisher waren in der Fachinformation keine Hinweise auf Überdosierungen enthalten – lediglich die Information, dass in akuten Toxizitätsstudien unter höheren Dosierungen, bei Tieren Ataxie, tonisch-klonische Krämpfe, Dyspnoe und Atemlähmung beobachtet wurden. Beim Menschen seien daher wahrscheinlich ähnliche Symptome zu erwarten. Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Tolperison zählen Magen-Darm-Beschwerden, allergieähnliche Hautreaktionen und Schwindel sowie abnehmender Blutdruck und Mundtrockenheit.
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