Analgetika

Toleranzentwicklung: Warum Opioide ihre Wirkung verlieren

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Berlin -

Wissenschaftler aus Jena haben in internationaler Zusammenarbeit mit Kollegen weitere molekulare Details der Toleranzentwicklung gegen Opiate aufklären können. Sie haben herausgefunden, dass es für Morphin und synthetische Opioide in Ablauf und Geschwindigkeit unterschiedliche Mechanismen gibt, die zur Desensibilisierung der Opioidrezeptoren führen. Die im Fachjournal „Science Signaling“ veröffentlichten Studienergebnisse könnten für die Entwicklung synthetischer Wirkstoffe mit geringer Toleranzentwicklung und reduziertem Suchtpotenzial von Bedeutung sein.

Definitionsgemäß wird unter Toleranz im pharmakologischen Sinne verstanden, dass die Wirkung einer bestimmten Dosis eines Opiates beziehungsweise Opioids durch Gewöhnung immer geringer wird und eine gleichbleibende Wirkung nur durch Steigerung der Dosis erreicht werden kann. Doch der Gewöhnungseffekt führt dazu, dass das Risiko für Nebenwirkungen durch immer höhere Dosen größer wird. Atemdepression und Todesfälle sind bekannte Folgen. Professor Dr. Stefan Schulz sieht im Begriff der Toleranzentwicklung einen „eigentlich sinnvollen Schutzmechanismus der Zelle vor einer Dauerreizung“. Er erforscht zusammen mit seiner Arbeitsgruppe „Rezeptorpharmakologie“ am Universitätsklinikum Jena die Mechanismen der Regulation von Opioidrezeptoren sowie der Toleranz und Abhängigkeit.

Bisher lässt sich kein eindeutiger Pathomechanismus für die Toleranzentwicklung bei Opioiden finden. Wissenschaftler gehen von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Mechanismen aus. Zum einen beschreiben sie eine Aktivierung pronozizeptiver Vorgänge bei längerer Gabe von Opioiden. Denn dadurch werden proalgetische Substanzen wie Dynorphin und Stickstoffmonoxid (NO) freigesetzt und proalgetischen NMDA-Rezeptoren sensitiviert. Insgesamt führt dies zu einer verstärkten Wahrnehmung von Schmerzen.

Des Weiteren wird auch eine Internalisierung (Translokation von der Zelloberfläche in das Zellinnere) des Rezeptors als Mechanismus diskutiert. Auch spielt die Signaltransduktion eine Rolle: Durch Andocken des Opioids wird eine Phosphorylierung ausgelöst, die über verschiedene Prozesse zur Desensibilisierung beziehungsweise Inaktivierung des Opioidrezeptors führt, sodass eine weitere Opioidbindung einen immer geringeren Effekt hat.

Opioidrezeptoren sind G-Protein-gekoppelt. Bei einer Toleranz wird im Anschluss an die Phosphorylierung das Gerüstprotein Arrestin an den Rezeptor gebunden, welcher schließlich in die Zelle aufgenommen wird. Dieses Protein ist wichtig für die (Down-)Regulierung der Andockstellen. „In früheren Arbeiten konnten wir zeigen, dass dieser Prozess bei synthetisch hergestellten hochwirksamen Opioiden wesentlich ausgeprägter ist als beim natürlich vorkommenden Wirkstoff Morphin“, so Schulz. Die Signalwege für die Toleranzentstehung würden sich für diese Wirkstoffgruppen unterscheiden.

Gemeinsam mit Kollegen konnten die Jenaer Forscher nun weitere Details der an der Toleranzentwicklung beteiligten Mechanismen aufklären. Ihren Fokus legten sie dabei auf die räumlichen und zeitlichen Abläufe der Bindungsprozesse. „Wir fanden Phosphorylierungsmuster, die hochspezifisch für die verschiedenen Wirkstoffe sind und ein ausgeklügeltes Zusammenspiel der Enzyme und Gerüstproteine ansteuern. Im Vergleich zu Morphin bewirken synthetische Opioide eine höhere Enzymaktivität und eine schnellere Desensibilisierung der Rezeptoren“, fasst die Erstautorin der Studie Dr. Elke Miess zusammen. Studienleiter Schulz zufolge liefern die Ergebnisse hilfreiche Ansätze für weiterführende Entwicklung von Opioiden, die weniger Toleranz und Abhängigkeit auslösen.

Opioide werden bei starken bis sehr starken Schmerzen eingesetzt. In der Praxis werden verschiedene Wege gegangen, um einer Opioidtoleranz entgegen zu wirken. So wird die ausschließliche Verwendung retardierter Formulierungen bei chronischen Schmerzpatienten empfohlen, da unretardierte Präparate den Gewöhnungseffekt fördern können. Zudem scheint die Gabe dual wirkender Opioide sinnvoll zu sein. Beispielsweise wirkt Tramadol sowohl am Opioidrezeptor als auch in der Reuptakehemmung von Noradrenalin und 5-HAT. Nicht zuletzt empfiehlt sich die sogenannte Opioidrotation, da verschiedene Opioide unterschiedlich stark auf die Opioidbindestellen ansprechen.

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