Therapieresistente Depression: Wenig Evidenz Alexandra Negt, 25.09.2020 14:13 Uhr
Depression als Volkskrankheit: Laut einer Umfrage kommen depressive Verstimmungen in Deutschland deutlich häufiger vor als im EU-Durchschnitt. Auch die therapieresistente Depression spielt eine Rolle. Die Behandlungsoptionen sind begrenzt und darüber hinaus wenig erforscht. Gewisse Vorgehensweisen trifft man im Praxisalltag immer noch an, obwohl jegliche Evidenz fehlt.
Die Behandlungsmöglichkeiten bei der therapieresistenten Depression sind begrenzt. Nicht alles, was Mediziner in der Praxis anwenden, basiert auf Evidenz, so das Fazit von Professor Dr. Mazda Adli, Leiter des Forschungsbereichs für affektive Störungen an der Klinik für Psychiatrie an der Charité in Berlin. Mit der Eingangsfrage „Schwer behandelbare Depression – Wo stehen wir und was brauchen wir?“ hat der Chefarzt im Rahmen eines Fachpressegesprächs von Aristo nicht nur Therapieoptionen aufgezeigt, sondern auch deutlich gemacht, dass eine breite Evidenz fehlt und in der Therapie dieser Patienten „Try & Error“ weiterhin an der Tagesordnung ist.
Depression als Volkskrankheit
8,3 Prozent der Deutschen, also rund sechs Millionen Personen, leiden an einer Depression. „Jeder achte Mann und jede vierte Frau sind einmal im Leben von einer depressiven Episode betroffen.“ Adli verweist darauf, dass rund 80 Prozent aller depressiven Erkrankungen vom Hausarzt behandelt werden. Der erste Therapieversuch ist selten erfolgreich, so der Mediziner. Der Anteil der nicht-remittierten Patienten liegt nach dem ersten Therapieversuch bei bis zu 70 Prozent. Auch nach dem dritten Versuch liegt der Anteil noch bei 15 Prozent. Betroffene mit ängstlichen Depressionen sprechen häufiger weniger gut auf die Medikation an als Menschen mit anderer Ausprägung.
Dosissteigerung – nicht bei SSRI
„Stellt sich innerhalb des ersten Therapieversuches keine Besserung ein, dann versuchen viele Mediziner eine bessere Wirksamkeit zunächst über eine Dosissteigerung zu erreichen“, so Adli. Nach drei Wochen ohne Besserung sinke die Wahrscheinlichkeit eines therapeutischen Ansprechens auf unter 10 Prozent. Somit sollte nicht zu früh aufdosiert werden. Eine Dosissteigerung ist jedoch nicht bei allen Wirkstoffgruppen sinnvoll. Bei den trizyklsichen Antidepressiva wie Amitriptylin und Doxepin kann eine höhere Dosierung zu einem Behandlungserfolg führen. Gleiches gilt für die Gruppe der MAO-Hemmer. Bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern, wie Fluoxetin und Citalopram, gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass eine Dosissteigerung zu einem Therapieerfolg führt. „Interessant ist, dass aber genau die SSRI in der Praxis am meisten aufdosiert werden. Es liegt keine Evidenz vor, dass die höhere Dosis besser wirkt“, gibt der Mediziner zu bedenken.
Kombi-Therapie als Neustart
Spricht ein Patient auf eine Monotherapie nicht an, so kann eine Kombi-Therapie versucht werden. Die Augmentation mit atypischen Antipsychotika, also die Kombination von Medikamenten mit dem Ziel, die anvisierte Wirkung zu verstärken, ist nicht immer zielführend. Zu den möglichen Wirkstoffen zählen beispielsweise Aripiprazol, Quetiapin, Olanzapin und Risperidon. Häufig, so berichtet Adli, ist die Compliance aufgrund der starken Nebenwirkungen schlecht. Unter der Einnahme kann es zu starker Sedierung und Gewichtszunahme kommen. Darüber hinaus kann es zu einer allgemeinen Erhöhung der metabolischen Werte kommen. Adli stellt darüber hinaus klar, dass die Evidenz für Olanzapin eher schwach ist. Für die drei anderen Arzneistoffe liegen verschiedene Studien vor.
Innerhalb der S3-Leitlinie zur Behandlung der Depression aus dem Jahr 2015 wird ausschließlich für die Kombination von Mianserin oder Mirtazapin mit einem SSRI oder einem trizyklischen Antidepressivum eine Evidenz beschrieben. „Nur für diese Kombination wurde in mehreren randomisierten und doppelblinden Studien gezeigt, dass sie wirksamer ist, als die Monotherapie mit nur einem Wirkstoff. Auch der Wechsel des Antidepressivums sei häufig nur ein Versuch. Adli verweist auf eine dünne Studienlage. Die wenigen Studien, die es gibt, zeigen, dass ein Wechsel häufig wenig sinnvoll ist. „Die genauen Effekte sind leider zu wenig untersucht, um eine fundierte Aussage zu treffen.“
Ernährung als Unterstützung
Unterstützend kann auch eine spezielle Ernährungsform sein. Adli spricht die tyraminarme Diät an. Tyramin gehört zu den Aminen, genauso wie Histamin und Serotonin. Es entsteht vor allem beim Reifen und Lagern von Lebensmitteln durch bakteriellen enzymatischen Abbau der Aminosäure L-Tyrosin. Bei der Einnahme von MAO-Hemmern ist der Abbau von Tyramin für die Zeit der Einnahme beeinträchtigt. Innerhalb der Diät verzichtet der Patient auf tyraminreiche Lebensmittel wie Käse oder Innerein. Auch einige Fischsorten, wie beispielsweise der Hering, sind reich an Tyramin. Um die Diät besser umzusetzen, gibt es Kochbücher und Leitfäden für Patienten. Einige Pharmahersteller, darunter auch Aristo, stellen Patientenratgeber mit Tipps & Tricks und leckeren Rezepten bereit.