Patient muss bekannt sein

Telepharmazie: Kein Callcenter von den Bahamas

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Berlin -

Unter dem Motto „Telepharmazie – Chancen und Grenzen“ fand heute das Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK) im Apothekerhaus in Berlin statt. Schnell wurde klar: Telepharmazie soll dazu beitragen, die Apotheke als Gesundheitsstandort zu stärken – aber nur, wenn Patient:innen der Apotheke bekannt sind. Callcenter von den Bahamas kommen nicht in Frage.

Was ist Telepharmazie überhaupt? Eine genaue Definition gibt es bislang nicht. Das hatte zuletzt die Abda kritisiert. Die Kommunikation zwischen PTA und Approbierten – wie es das Eckpunktepapier zur Apothekenreform aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorsieht – ist es aus Sicht der BAK nicht. Vielmehr sei Telepharmazie ein Kommunikationsweg zwischen Patient:innen und Apotheker:innen bei räumlicher Trennung.

Für den SPD-Abgeordneten Matthias Mieves, der sowohl Mitglied im Gesundheitsausschuss als auch im Ausschuss für Digitales, ist, verfolgt Telepharmazie drei Ziele:

  • Versorgung für Menschen besser machen und aufrechterhalten
  • Beruf Apotheker:in attraktiv halten
  • Apotheken als Gesundheitsstandorte stärken und weiterentwickeln: „Apotheken können viel mehr als Arzneimittelpackungen über den Tisch zu schieben.“

„Videotelefonie mit Frau Overwiening“

Die Ziele könnten auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Vorstellbar sind für Mieves zwei Konstellationen:

  • Der Patient kann bei nicht schwerwiegenden Dingen auf dem Sofa bleiben und sich „zu Frau Overwiening schalten lassen, um fachkundig per Videotelefonie zu Allergie oder Halskratzen beraten zu werden und das nötige Medikament aus der Apotheke von Frau Overwiening per Bote geliefert zu bekommen“. Dieses Szenario kommt Sicht von Mieves in Frage, wenn der Patient nicht in die Apotheke will oder kann oder „wenn Frau Overwiening sagt, ich mache heute meinen Home-Office-Day“.
  • Ein zweites Beispiel ist die Erweiterung des Aufgabenspektrums der Apotheken. Stichwort Remote-Monitoring.

Telepharmazie am Telefon

Für Dr. Hannes Müller, Mitglied des Geschäftsführenden BAK-Vorstand, ist auch das Telefon – die Beratung am Telefon – schon Telepharmazie. Krank auf dem Sofa ist für Müller nicht zwingend Telepharmazie. „Das machen wir seit Jahren, das ist nichts Futuristisches, das ist gelebte Praxis, dass wir die Versorgung sicherstellen, wenn die Patient:innen nicht in die Apotheke kommen.“ Es müsse zwischen Telemedizin und Telepharmazie unterschieden werden.

Für Müller könnte Telepharmazie hierzulande das Problem in der Adhärenz lösen. Dabei blickt der Apotheker nach Großbritannien und den New Medicine Service – die Anleitung bei jeder Neuverordnung durch die Apotheke mit Zweit- und Drittkonsultation. Adhärenzförderung bei der Neuverordnung von Arzneimitteln per Telepharmazie ist für Müller der Game-Changer.

Nur nach persönlichem Kontakt

Der Patient müsse so oder so in der Apotheke bekannt sein, so BAK-Präsident Thomas Benkert. Der persönliche Kontakt zwischen Patient:in und Apotheker:in sei wichtig. Telepharmazie dürfe nicht aus einem Callcenter auf den Bahamas erfolgen. Die Anbindung an die Apotheke vor Ort sei nötig. Es dürfe kein Patient aus Ostfriesland in einer Apotheke in Bayern anrufen.

Auch für Mieves ist klar: Es dürfen keine telemedizinischen Zentren entstehen. Telepharmazie müsse bewusst die Apotheke stärken und weiterentwickeln. Die Standorte vor Ort müssen gestärkt werden. „Lassen Sie uns Telepharmazie aktiv gestalten und vor Ort-Apothekenstandorte stärken.“

Ideen aus der Apothekerschaft gefragt

Die Apotheken seien jetzt gefragt, einen Vorschlag zu entwickeln, den die Politik umsetzen könne. „Ich versuche mich zurückzuhalten, Ihnen zu sagen, wie Sie Ihren Job machen sollen. Ich bin nicht der Experte“, so Mieves. Benkert ist derzeit nicht bekannt, ob es einen entsprechenden Antrag auf dem Deutschen Apothekertag (DAT) geben wird.

Zudem sei ein Zusammenschluss nötig, so Mieves. Die digitale Lösung dürfe nicht von einem Großkonzern wie beispielsweise Amazon kommen. Hier wurde die Verbändetochter Gedisa von Anke Rüdinger als „der einzig gangbare Weg“ ins Spiel gebracht. Nur weil über die Gematik-App CardLink nicht möglich sei, habe die Priorität bislang in diesem Bereich gelegen.

Homeoffice nicht in Vollzeit

„Ich brauche die Mitarbeiter in der Apotheke. Da finden Patientenkontakte statt“, so Benkert. Nach der Erstvorstellung sei die Medikationsanalyse am Bildschirm vorstellbar – auch von Teilzeitkräften, die am Nachmittag die Kinder betreuten. Dass diese die Beratung per Telepharmazie stören können, ist für Benkert kein Problem: Schließlich würden Apotheker:innen bei der Medikationsanalyse in der Apotheke auch unterbrochen, wenn Fragen aufkämen. Rüdinger warnte hingegen davor, Mütter zu Hause „ein bisschen Telepharmazie machen zu lassen“. Familie sei wichtiges Thema.

Für Müller selbst ist Telepharmazie in Vollzeit arbeitstechnisch nicht vorstellbar. Wer jeodch den Schritt machen möchte, könne dies ausprobieren.

Telepharmazie im Notdienst

Ist Notdienst in Form von Telepharmazie denkbar? Ja, in weiten Teilen. Müller nennt als Beispiel den Einsatz für kleine Kinder, die krank nicht aus dem Bett kommen. Zudem könne Telepharmazie die Kommunikation zu Arzneimitteln verbessern, wenn Boten/Angehörige zur notdiensthabenden Apotheke geschickt werden, weil Betroffene nicht selbst kommen können.

pDL

Vorstellbar wäre auch eine räumliche und zeitliche Trennung. Beispielsweise, wenn die Erstberatung in der Apotheke erfolgt und ein Schulungsvideo nachgereicht wird. Allerdings sollten Anwendungsschulungen wie die Inhalator-Schulung vor Ort in der Apotheke stattfinden und das Video zum Verfestigen als Ergänzung nachgeschickt werden.

Vergütung

Eine neue Vergütungsstruktur ist notwendig. Schließlich brauche es neue Angebote in der Gesundheitsversorgung – aus verschiedenen Gründen heraus. „Es muss geklärt werden, wie wir diese Angebote finanzieren“, so Mieves.

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