Blickt man in die Onkologie-Pipeline, so zeigt sich, dass das klassische Zytostatikum schon lange nicht mehr im Fokus der Forschung steht. Krebs soll gezielter behandelt werden, Rezidive bewusst vermieden werden. Auch Biontech will mit seiner mRNA-Technologie in diese Richtung gehen. Um eine noch breitere Abwehr zu induzieren, kooperiert der Hersteller jetzt mit der Biotechfirma Medigene.
Impfungen gegen Krebs funktionieren im Grunde ähnlich wie Impfungen gegen Infektionskrankheiten: Durch die Verabreichungen von ausgesuchten Antigenen wird der Körper in die Lage versetzt, eine Immunreaktion gegen die entsprechenden Strukturen der Tumorzellen aufzubauen. Mit der mRNA-Technologie werden die Antigene sogar im Körper selbst produziert.
Doch es gibt auch so etwas wie eine „passive Immunisierung“, die – ebenfalls analog zu Infektionskrankheiten – für eine starke Abwehrreaktion entscheidend sein könnte. Medigene forscht seit Jahren an T-Zell-Rezeptoren, die spezifisch für bestimmte Krebserkrankungen sind. Das Unternehmen hat eine eigene Bibliothek aufgebaut, die Biontech nun im Rahmen der Kooperation nutzen will.
Die TCR-T-Zell-Therapie gehört zu den Immuntherapien, bei denen der/die Patient:in ein individuelles Therapeutikum erhält: Mittels gentechnologischer Methoden werden körpereigene Abwehrzellen außerhalb des Körpers so verändert, dass sie den Tumor gezielt angreifen können. Hierfür werden der zu behandelnden Person zunächst T-Zellen entnommen. Im Labor erfolgt dann die „Programmierung“. Die Zellen erhalten präklinisch getestete T-Zellrezeptoren, die auf ihre Krebserkrankung abgestimmt sind.
Die vermehrten und aufbereiteten T-Zellen können dann rückgeführt werden. Der „programmierte“ Angriff auf die Tumorzellen kann beginnen. Medigene hat sich dabei auf solide Tumore fokussiert, denn hier sind so viele Krebszellen in einem massigen Gebilde angesammelt, dass die körpereigenen T-Zellen allzu schnell „erschöpft“ sind.
Medigene besitzt eine breite Plattform zur Identifizierung neuer T-Zell-Rezeptoren (TCRs). Biontech kann durch die Zusammenarbeit die bereits existierenden T-Zell-Rezeptoren erwerben und die Forschung an weiteren Immuntherapien vorantreiben. Das Mainzer Unternehmen bestimmt dabei die Zielstrukturen. Biontech erwirbt dabei die exklusiven weltweiten Entwicklungs- und Vermarktungsrechte für alle aus der Zusammenarbeit hervorgehenden TCR-Immuntherapien.
Dabei sei die Entwicklung der TCR-Technologie nur ein Standbein der in der Entwicklung stehenden Immuntherapien. „Neben der Zusammenarbeit mit Biontech und unseren anderen Partnern widmen wir uns auch dem Bereich ‚Dark Matter‘“, so Professor Dr. Dolores Schendel, Vorstandsvorsitzende bei Medigene. Bei der dunklen Materie geht es um den noch relativ unerforschten Bereich der normalerweise nicht-codierenden Gene. Die Entstehung zahlreicher Krankheiten wird mit diesem Bereich in Verbindung gebracht. Ein Teil der Dark Matter sind beispielsweise die long non-coding RNAs (lncRNAs) – sie machen rund 98 Prozent des menschlichen Genoms aus.
Diese Immuntherapien sind keine Arzneimittel, die heute verschrieben und morgen verabreicht werden können. Schendel erläutert: „Der Prozess von der Zellentnahme bis zur Rückführung dauert rund sechs Wochen. Die Hälfte der Zeit muss für die Einhaltung der Qualitätsstandards genutzt werden. Der Punkt Sterilität ist nur einer von vielen.“ Und diese Therapien könnten nicht in jedem Labor hergestellt werden. „Der Prozess ist das Produkt“, gibt Schendel zu bedenken. „Nur wenn der Prozess optimal ist, gelangen ausreichend viele aktive T-Zellen zurück in den Körper. Je besser die Qualität der T-Zellen, desto besser der Therapieerfolg.“ Durch eine einmalige Anwendung können im Optimalfall über Jahre hinweg T-Zellantworten induziert werden. Ziel von Medigene sei es jedoch, den zeitlichen Ablauf von der T-Zellentnahme bis zur Verabreichung durch neue, verfeinerte Produktionsprozesse stark zu verkürzen.
Durch das Prinzip der TCR-T-Zell-Therapie könnte sich die Art und Weise, wie wir Krebs heute behandeln, komplett ändern. Um TCR-basierte Immuntherapien schneller zugänglich zu machen, verkünden die beiden deutschen Unternehmen Medigene und Biontech ihre Zusammenarbeit.
Schaut man auf die Liste der Wirkstoffe, die in diesem Jahr zugelassen werden könnten, zeigt sich, dass es im Forschungsgebiet Onkologie die meisten Markteinführungen geben könnte. Leider sind bestimmte Krebsarten immer noch nicht oder nur bedingt heilbar. So überleben laut Krebsregister des Robert-Koch-Institutes (RKI) nur etwa 7 bis 8 Prozent der Patient:innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Die Forschung ist deshalb auf der Suche nach gezielteren Therapien.
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