In Zeiten von Corona ist auch die Substitutionstherapie gefährdet: Die möglichen Auswirkungen auf suchtkranke Menschen bereiten den Fachgesellschaften Sorge – ebenso wie der fehlende ärztliche Nachwuchs in dieser Spezialisierung. Nun sollen Apotheken und Pflegeheime helfen.
Patienten mit Suchterkrankungen, die einem Substitutionsprogramm angehören, müssen regelmäßig betreut werden – während der Corona-Krise konnte sich diese Zusammenarbeit jedoch problematisch darstellen. Daniela Ludwig (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hatte bereits vor den Auswirkungen der Corona-Krise auf suchtkranke Menschen gewarnt. So wies sie beispielsweise darauf hin, dass diese einen unbegleiteten Entzug durchführen könnten, welcher unbedingt zu verhindern sei – anderenfalls bestehe die Gefahr, dass „Betroffene wahllos zu Substanzen greifen, die eine akute Lebensgefahr mit sich bringen“. Auch die Drogen- und Suchthilfe hatte ähnliche Bedenken geäußert.
Aufgrund der Kontaktsperren hatten einige Einrichtungen – beispielsweise Drogenkonsumräume – ihr Angebot für Suchtkranke eingeschränkt. Dort werden unter anderem sterile Spritzbestecke, Pflaster, Tupfer, Alkoholtupfer und steriler Einweghandschuhe ausgegeben. Diese Räumlichkeiten seien für viele Drogenabhängige ein lebenswichtiger Bezugspunkt, erklärte Ludwig. In Zeiten von Corona seien sie „mehr denn je ein elementarer Bestandteil zum Infektionsschutz“ – auch weil Suchtkranke durch das Virus besonders gefährdet seien. „Die Gefahr, dass Menschen in risikoreiche Situationen kommen, steigt, da schnelle Hilfe dann nicht möglich ist“, erläuterte Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen Aidshife. Dadurch sei ein Anstieg von Drogennotfällen und Drogentodesfällen möglich.
Auch im Bereich Selbsthilfe gibt es Einschränkungen: Man stehe vor „ganz neuen Herausforderungen“ erklärte die Hilfsorganisation Blaues Kreuz. Denn Selbsthilfegruppen könnten nicht zu ihren Treffen einladen, Beratungsstellen müssten den Publikumsverkehr einstellen und Kliniken und therapeutische Einrichtungen seien zu Schutzmaßnahmen gezwungen. Die Krise schaffe „ein ideales Umfeld für Suchtmittelmissbrauch“. Dies gilt nicht nur für die Drogensucht, sondern auch andere Bereiche wie Spielsucht. Prinzipiell sei die Gefahr für Suchtkranke, in dieser Situation in alte Muster zu verfallen, „gewaltig“.
Nun warnen die Fachgesellschaften zudem vor möglichen ärztlichen Engpässen im Substitutionsbereich: Die Versorgung von heroinabhängigen Menschen mit Substitutionstherapien in Deutschland sei auf Dauer nicht mehr gewährleistet. Daher haben sich unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, der Dachverband Substituierender Ärzte und die Deutsche Aids-Gesellschaft zusammengeschlossen um gemeinsam einen Zehn-Punkte-Plan zu erstellen, der die Versorgung weiter gewährleisten soll. Drogenbeauftragte Ludwig unterstützt die Initiative.
Grund für den zukünftigen Mangel sei vor allem, dass viele Substitutionsärzte in den Ruhestand gehen. Für den ärztlichen Nachwuchs sei diese Spezialisierung nicht attraktiv genug. „Das Klientel gilt als schwierig, mit den Drogenkonsumenten werden auch die Praxen stigmatisiert. Der bürokratische Aufwand zur Gewährleistung der Betäubungsmittelsicherheit ist hoch, die Vergütung bescheiden“, erklären die Fachgesellschaften. Schon jetzt werde nur etwa die Hälfte der Opioidabhängigen erreicht, zukünftig könnten es noch weniger Suchtkranke werden, die optimal mit der Substitutionsbehandlung versorgt werden.
Um den ärztlichen Nachwuchs zu fördern, sei vor allem eine angemessene Bezahlung für Praxen und Ambulanzen notwendig. Außerdem könnten leicht erreichbare Angebote auch in Drogenhilfeeinrichtungen angeboten werden. „Für eine effiziente Vergabe der Medikamente könnten außerdem Apotheken, Suchtkliniken und Pflegeheime genutzt werden, wie es teilweise in anderen Ländern bereits üblich ist“, empfehlen die Verbände.
Viele Patienten seien aufgrund ihres körperlichen Zustandes bereits in einem relativ jungen Alter in Pflegeeinrichtungen untergebracht, erläutert ein Sprecher der Deutschen Aidshilfe. Seit der neuen Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) von 2018 dürfen die Betreiber von Pflegeheimen, Suchtkliniken und Drogenhilfevereinen nach vorheriger Fortbildung und Vertragsschließung die Vergabe der Substitutionsmittel vom Personal durchführen lassen. Diese Möglichkeit werde jedoch bisher kaum bis gar nicht genutzt. „Bisher findet die Versorgung meistens noch immer durch den behandelnden Arzt statt“, erläutert er. Die meisten würden vom sogenannten „Delegationsrecht“ keinen Gebrauch machen – obwohl es die Versorgung grade zu Coronazeiten wesentlich verbessern und erleichtern könnte.
Für den Arzt bedeute die Substitution von Patienten extrem viel Zusatzaufwand: Neben dem „normalen“ Praxisalltag muss der Weg zu den Heimen zurückgelegt und die Vergabe durchgeführt werden – oft finde dies daher nach den Sprechzeiten statt. Die rund 2500 spezialisierten Ärzte hätten zudem extrem große Patientenkohorten von 200-400 Patienten zu betreuen. Die Versorgung von Heimpatienten durch das Personal könne damit eine Entlastung darstellen. Die Vergabe durch Drogenhilfevereine stelle zudem für Nicht-Heimbewohner die Möglichkeit einer wohnortnahen Versorung dar – welche im Zuge der derzeitigen Situation ebenfalls sinnvoll wäre.
Im Bereich der Apotheken würde die Vergabe zwar bereits stattfinden, allerdings werde die Möglichkeit nicht in dem Maße genutzt, wie sie eigentlich könnte. Politik und Kostenträger müssten nun die Bedingungen schaffen, dass flächendeckend ausreichend Substitutionsplätze zur Verfügung gestellt werden können – denn bei einer Standardtherapie dürfe es keine Versorgungslücken geben, erläutert die Deutsche Aidshilfe.
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