Wer schon einmal über der Reling hing, weiß die Tücken der Seekrankheit zu fürchten. Schwindel, kalter Schweiß, starke Übelkeit und Erbrechen sind die Symptome der so genannten Kinetose, 30 Prozent der Menschen leiden darunter. Und dagegen hilft nur wenig. Sitzposition in Fahrtrichtung, einen Punkt am Horizont fixieren; auch Reisetabletten mit H1-Antihistaminika wie Diphenhydramin bringen nicht immer Linderung. Eine Gruppe britischer Forscher vom Imperial College in London meldet nun: Elektrische Spannung, vor Reiseantritt auf die Kopfhaut aufgebracht, könnte so manchem Betroffenen Erleichterung verschaffen.
Die 20 Studienteilnehmer trugen etwa zehn Minuten lang Elektroden am Kopf. Anschließend wurden sie gebeten, sich in einen motorisierten, rotierenden Stuhl zu setzen. Die Probanden zeigten im Anschluss weniger Symptome und erholten sich schneller.
Nun könnte die Bewegungskrankheit eingedämmt werden, hoffen die Wissenschaftler. „In fünf bis zehn Jahren wird man in eine Apotheke gehen und ein Anti-Seekrankheits-Set kaufen können“, postuliert Studienleiter Dr. Qadeer Arshad. Die Untersuchung wurde im Fachjournal „Neurology“ veröffentlicht.
Arshad glaubt, dass diese Technik zukünftig für jeden erschwinglich wird: „Wir hoffen, dass es sogar in Mobiltelefone integriert werden kann. Diese könnten über den Kopfhöreranschluss eine geringe Menge an Elektrizität abgeben. In jedem Fall müsse man sich aber vor Reiseantritt vorübergehend kleine Elektroden an die Kopfhaut heften.
Der Grund für die Kinetose sei immer noch ein Rätsel, so die Wissenschaftler. In Fachkreisen sei aber die These verbreitet, dass das Gehirn von den Informationen von Auge und Ohr verwirrt werde, wenn man sich bewege. Die Studie förderte zutage, dass ein schwacher elektrischer Impuls an der Kopfhaut die Reaktionen in der Gehirnregion dämpfen könne, die dafür zuständig seien, Bewegungssignale zu verarbeiten. Dies helfe dem Gehirn die Auswirkung verwirrender Einflüsse zu reduzieren und beuge so der Entstehung von Kinetose vor.
Professor Dr. Michael Gresty, Co-Autor und Experte für Bewegungskrankheit, sagte: „Das Problem ist, dass die effektivsten Therapien gegen Reisekrankheit mit Tabletten funktionieren, die die Patienten schläfrig machen. Das ist solange nicht schlimm, wie man sich als Passagier auf einer kurzen Reise befindet – aber was tun, wenn man auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten muss, während man seekrank ist?“
Das Forscherteam hat bereits Gespräche mit potenziellen Partnern in der Industrie aufgenommen, um das Gerät zu entwickeln. Auch von Seiten des Militärs gibt es offenbar Interesse an der Arbeit der Wissenschaftler: Menschen, bei denen die Lenkung ferngesteuerter Drohnen über ein visuelles Interface zu Übelkeit führt, könnte so geholfen werden.
Arshad sagte: „Andere Studien belegen, dass Aufmerksamkeit und Konzentration verbessert werden, wenn das Gehirn auf diese Weise stimuliert wird. Für das Militär ist das von großem Interesse und wir glauben, dass auch andere Gruppen wie Studenten oder Personen, die viel Zeit mit Computerspielen verbringen, unser Gerät ausprobieren wollen.“ Die Stromstärke sei sehr gering und es gebe bei einer kurzzeitigen Anwendung keinen Grund zur Angst vor Nebenwirkungen, so Arshad.
APOTHEKE ADHOC Debatte