Vier statt drei Stämme: Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) hat im Epidemiologischen Bulletin begründet, warum sie jetzt quadrivalente saisonale Influenzavakzine empfiehlt. Die Indikation für die Grippeschutzimpfung bleibt jedoch unberührt.
Für die saisonale Influenzaimpfung stehen trivalente (TIV) und quadrivalente inaktivierte (QIV) Vakzine zur Verfügung. Die Dreifachimpfstoffe enthalten zwei Influenza-A-Stämme und eine B-Linie. Vierfachimpfstoffe verfügen hingegen über eine zweite B-Linie und können mit den vier Antigenen einen potenteren Schutz bieten.
Aufgrund der großen genetischen Variabilität der Viren wird die Antigenkombination für die folgende Saison in jedem Jahr aufs Neue von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt. Die Experten berücksichtigen die Virusstämme, die vermutlich in der neuen Saison zirkulieren werden. In dieser Saison bestehen die trivalenten Impfstoffe gemäß der Empfehlung der WHO aus A/Michigan/45/2015 (H1N1) pdm09-ähnlichem Stamm, A/Hong Kong/4801/2014 (H3N2)-ähnlichem Stamm und B/Brisbane/60/2008- ähnlicher Stamm. Die quadrivalente Vakzine enthält zusätzlich B/Phuket/3073/2013-ähnlichem Stamm.
Die WHO spricht jedoch keine Empfehlung aus, welcher Impfstoff verwendet werden soll, dies obliegt den nationalen Entscheidungsgremien. Unter dieser Voraussetzung beschäftigte sich die STIKO für die Empfehlung mit vier wesentlichen Fragen: Wie hoch ist der Anteil der Influenzafälle, die durch Viren der nicht in TIV enthaltenen B-Linie verursacht werden? Gibt es Effektivitätsunterschiede zwischen TIV und QIV? Besteht eine Kreuzprotektion von TIV gegen die nicht enthaltene B-Linie? Wie unterscheidet sich die Verträglichkeit von TIV und QIV?
Aus den vergangenen 13 Jahren lässt sich ableiten, dass je nach Saison 0 bis 67 Prozent der Erkrankungsfälle durch Influenza-B-Viren ausgelöst wurden, die nicht in TIV enthalten waren. 2005/06, 2007/08, 2008/09 und 2015/16 wurden mehr als 20 Prozent aller Influenzaerkrankungen durch Viren der nicht im TIV enthaltenen B-Linie verursacht.
Besonders häufig betroffen waren Kinder und Jugendliche, dies lässt sich laut RKI aus der Zahl der ambulanten Arztkonsultationen ablesen. Erkranken ältere Personen, kann das Virus schwere Verläufe auslösen und ein stationärer Aufenthalt angezeigt sein.
Sicherheit und unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) wurden anhand von Studien mit etwa 9000 Probanden ausgewertet. Die gepoolte Analyse ergab in Bezug auf Schmerzen an der Injektionsstelle eine größere Häufigkeit bei QIV im Vergleich zu TIV. Die Häufigkeit von lokalen und systemischen Nebenwirkungen ergab jedoch keinen signifikanten Unterschied. Auch schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten in den Studien mit vergleichbarer Häufigkeit auf.
Wie wirksam die Vakzine sind, hängt laut Experten nicht nur von der Wahl der richtigen Virusstämme ab, sondern auch von der antigenen Übereinstimmung der einzelnen Impfvirusstämme mit den tatsächlich zirkulierenden Influenzaviren, die sich durch Antigendrift von den Impfstämmen unterscheiden. Eine vergleichende Bewertung setzt demnach eine antigene Übereinstimmung der Impfviren für alle vier Subtypen voraus – in der Realität kaum zu erwarten.
Als Kreuzprotektion bezeichnen Experten einen möglichen Schutz gegen die nicht enthaltene Influenza-B-Linie. Systemische Reviews liefern zwar Hinweise auf eine partielle Kreuzprotektion von TIV, diese können jedoch nicht quantifiziert werden. Der Schutz gegen die nichtenthaltene B-Linie könnte auch auf Infektionen oder vorangegangene Impfungen zurückzuführen sein. Zudem scheinen Schwankungen im Ausmaß der Kreuzprotektion von Saison zu Saison möglich.
Die Experten bestimmten nach dem Massenwirkungsprinzip die zu erwartenden Effekte eines Wechsels von TIV auf QIV. Anhand des Modells konnte berechnet werden, wie viele Influenza-bedingte Arztbesuche und Hospitalisierungen zusätzlich hätten verhindert werden können, wenn in dem zehnjährigen Zeitraum QIV statt TIV geimpft worden wäre. Pro Saison hätten anhand der Modelle mindestens 1000 Hospitalisierungen verhindert werden können – „höchstwahrscheinlich mehr“, schreibt die STIKO. „In einer Saison mit einem hohen Anteil von Erkrankungen durch Viren der nicht in TIV enthaltenen B-Linie können sich die genannten Zahlen verdoppeln.“ Hinweise auf einer verminderte Wirksamkeit von QIV ergaben sich im Zuge der Bewertung nicht.
Aufgrund der vorliegenden Daten kommt die STIKO zu der abschließenden Empfehlung, „die Impfung gegen saisonale Influenza mit einem quadrivalenten inaktivierten Influenzaimpfstoff vorzunehmen“. Kinder und Jugendliche zwischen zwei und zwölf Jahren könnten laut Experten mit inaktivierten als auch mit attenuiertem Influenzalebendimpfstoff zur nasalen Applikation immunisiert werden.
Eine RKI-Sprecherin sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): „Mehr als die Hälfte der bisher nachgewiesenen Influenza-Fälle wurde durch Influenza-B-Viren der Yamagata-Linie verursacht, die nicht in dem Dreierimpfstoff enthalten sind.“ Wegen der aktuellen Dominanz des B-Typs der Yamagata-Linie wäre es möglicherweise ratsam, Hochrisikopatienten bevorzugt mit dem Vierfachimpfstoff zu versorgen.
Ob die Empfehlung sich auch im Versorgungsalltag niederschlägt, bleibt abzuwarten: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) muss innerhalb von drei Monaten entscheiden, ob die neu empfohlenen Vakzine als Pflichtleistung in die Schutzimpfungsrichtlinie aufgenommen wird.
Mit der Empfehlung dürfte die STIKO allerdings dafür sorgen, dass es schon in dieser Saison eine verstärkte Nachfrage nach tetravalenten Impfstoffen geben wird. Derzeit haben GSK mit Infusplit Tetra und Sanofi mit Vaxigrip Tetra diese Impfstoffe im Portfolio. Die Hersteller sind überzeugt, dass sie die erhöhte Nachfrage durch die geänderten Empfehlungen bedienen können. Zudem bietet AstraZeneca mit Fluenz Tetra einen nasalen Grippeimpfstoff an.
GSK hat bereits 2013 die Zulassung für seinen Impfstoff bekommen. Seit diesem Jahr produziert der Hersteller ausschließlich die tetravalente Variante. Sanofi zog im September diesen Jahres mit Vaxigrip Tetra nach, hat aber auch noch trivalente Impfstoffe im Portfolio.
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