Sterile Immunität als heiliger Gral Alexandra Negt, 08.12.2020 08:04 Uhr
Am 28. Dezember tagt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) ein letztes Mal in diesem Jahr, sodass eine Zulassung des mRNA-basierten Impfstoffes der Firma Biontech noch vor Jahreswechsel erfolgen könnte. Innerhalb des „Rolling-Review-Verfahrens“ wird der Impfstoffkandidat bereits bewertet, ohne dass alle erforderlichen Daten gesammelt vorliegen. Auch nach der Zulassung werden Langzeitdaten zunächst fehlen. Eine Aussage über die tatsächliche Dauer des Impfschutzes kann erst später getroffen werden. In diesem Zusammenhang kommt auch immer wieder der Begriff sterile Immunität auf den Plan.
Unter einer sterilen Immunität versteht man die Art der Immunität, bei der der Virus abgefangen wird, bevor er in die Zellen des Körpers eindringen kann. Eine Infektion wird vermieden. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, äußerte sich zur möglichen Stärke der Immunität wie folgt: „Wir wissen nichts dazu, wie lange diese Immunität anhält. Wir wissen relativ sicher, dass eine sogenannte sterile Immunität im Moment wahrscheinlich gar nicht erreichbar ist.“
Eine sterile Immunität liegt dann vor, wenn der Titer an neutralisierenden Antikörpern besonders hoch ist. Dies ist vor allem in den ersten Monaten nach der Impfung der Fall. Egal, mit welchem Impfstoff sich eine Person gegen Covid-19 impfen lässt: Der Impfschutz muss zunächst aufgebaut werden. Bis der menschliche Organismus nach einer Sars-CoV-2-Infektion Antikörper des Typs IgG aufbaut, dauert es in der Regel zwei bis drei Wochen. Erst nach dieser Zeit verfügt der Körper über langlebige Antikörper, die bei einer Zweitinfektion durch spezielle B-Lymphozyten – sogenannte Plasmazellen – erneut gebildet werden können.
Das Impfschema für den mRNA-basierten Impfstoff der Firma Biontech sieht vor, dass jede Person für einen vollständigen Impfschutz zwei Injektionen im Abstand von drei Wochen benötigt. Nach der zweiten Injektion werden erneut Antikörper gebildet. Die erneute Impfung erhöht die Immunantwort im Falle eines Virus-Kontaktes. Grob gesagt: Der Körper merkt sich einen Erreger besser, wenn er diesen zweimal präsentiert bekommt. Wie lange dieser Impfschutz tatsächlich anhalten wird, dazu liegen noch keine ausreichenden Daten vor. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des kalifornischen La-Jolla-Instituts für Immunologie gibt zumindest einen Zeitraum von fünf Monaten an. Auch bei leichten Verläufen können nach dieser Zeit noch ausreichend Antikörper und T-Zellen nachgewiesen werden.
Die Immunität nach einer Impfung fällt zumeist effizienter aus als nach einer natürlichen Infektion. Betrachtet man die Immunität, die nach der Infektion mit anderen harmloseren Coronaviren aufgebaut wird, so hält diese in zahlreichen Fällen bis zu 18 Monate an. Inwieweit dies im speziellen auf Sars-CoV-2 zutrifft, ist noch nicht geklärt.
Inwieweit die Impfstoffe auch davor schützen, den Erreger weiterzugeben, ist ebenfalls noch unklar. Was man weiß: Je höher die Antikörper-Antwort, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Erreger so schnell abgetötet wird, dass keine weiteren Personen angesteckt werden können. In Abgrenzung zur sterilen Immunität steht die klinische Immunität. Dieser Begriff beschreibt, dass eine Person über eine Antikörper- und T-Zellantwort verfügt, jedoch Symptome entwickelt. Diese fallen dann leichter aus. Ob Erkrankte mit klinischer Immunität ansteckend sind, kann aktuell noch nicht beurteilt werden.
Erneute Impfung eventuell nötig
Die Impfstoffe verfügen generell alle über eine unterschiedliche Schutzwirkung. So gab Biontech bekannt, dass der mRNA-basierte Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor Covid-19 bietet. Auch der mRNA-Impfstoff von Moderna weist laut Hersteller einen hohen Schutz von 94,5 Prozent auf. Ob und wann nachgeimpft werden muss, ist aktuell noch nicht klar. Es könnte durchaus sein, dass eine sterile Immunität nur durch regelmäßige Wiederholungen erreicht werden kann. Ob diese dann für alle Bürger wichtig ist, muss noch entschieden werden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es genügt, bestimmte Personengruppen priorisiert wiederholt zu impfen, darunter vor allem Ärzte und Pfleger.