Rund 4800 Menschen haben sich 2013 in den Niederlanden von Ärzten beim Suizid helfen lassen, in Belgien waren es 1807. Sowohl passive als auch aktive Sterbehilfe ist in den beiden Ländern erlaubt. Wie verbreitet Sterbehilfe in Deutschland ist, lässt sich nur schätzen: Von rund 150 Fällen pro Jahr ist die Rede. Strafbar machen sich die Ärzte nicht, denn passive Sterbehilfe ist nicht explizit verboten. Verschrieben werden handelsübliche Medikamente.
Eine valide Zahl der begleiteten Suizidfälle in Deutschland ist nicht herauszufinden: „Es ist schwer zu schätzen, es gibt ja keine Erhebungen, keine Meldepflichten“, so eine Sprecherin der Zentralstelle Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD). „In den seltenen Fällen, in denen wir mit Hausärzten von schwerkranken Suizidwiligen Kontakt haben, sind wir zur äußersten Verschwiegenheit verpflichtet.“ In der Regel laufe der Vorgang im Geheimen ab. Allein im Umfeld des Vereins „SterbehilfeDeutschland“ hätten Ärzte zuletzt rund 40 Mal tödliche Kombinationen von Medikamenten verschrieben.
Peter Puppe bestätigt die Zahlen. Er ist einer von fünf namentlich bekannten Sterbehelfern in Deutschland. Insgesamt gebe es 12 bis 14 Personen, die Sterbehilfe leisteten, so Puppe. Teilweise seien dies Mediziner, teilweise Nichtmediziner, die nur im engstem Umfeld agierten.
Gerade hat Puppe sein neues Buch veröffentlicht: „Sterbehilfe 4 plus 1“ – eine Anspielung auf die fünf Methoden zum Suizid: 1. Medikamente, 2. der Verzicht auf Medikamente (mit Ausnahme von Schmerzmitteln), 3. der Verzicht auf Essen und Trinken und 4. die Inanspruchnahme der Sterbebegleitung durch Organisationen in der Schweiz – 611 Ausländer, die Hälfte davon Deutsche, nutzten zwischen 2008 und 2012 diese Möglichkeit. „Plus 1“ stehe für eine neue Methode, über die Puppe aber öffentlich nicht sprechen will.
Berufsrechtlich bewegen sich die Ärzte auf wackeligem Terrain, wenn sie entsprechende Medikamente zum Zweck des Suizids verschreiben. In der Berufsordnung hat die Bundesärztekammer festgelegt, dass Mediziner „keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ dürfen. Sie begehen mit einer Beihilfe zwar keine Straftat, riskieren aber theoretisch ihre Berufszulassung. Zehn Landesärztekammern haben den Vorschlag der BÄK übernommen, sieben nicht.
In seinem Buch gibt Puppe eine Anleitung zum Sterben. Zum Medikamenten-Mix gehören MCP zur Vorbereitung des Magens, 500 bis 750 Milligramm Diazepam zum Erreichen des Tiefschlafs und 80 bis 100 Tabletten des Malariamittels Chloroquin für die tödliche Wirkung. Atem- und Herzstillstand trete je nach Kräftezustand des Körpers 45 Minuten bis sechs Stunden nach der Einnahme ein.
In den Niederlanden und in Belgien verwenden die Ärzte dagegen Thiopental oder Propofol, gelegentlich auch Pentobarbital, Secobarbital und Natriumpentothal. Der Arzt holt das Präparat selbst von der Apotheke ab. Für die Prämedikation werde Midazolam intravenös verwendet, so die niederländische Ärztevereinigung (KNMG). Die Kosten für die Medikation, rund 25 bis 50 Euro, übernimmt in beiden Ländern die Krankenversicherung.
In der Schweiz, wo der Patient selbst für die Sterbebegleitung aufkommt (rund 50 Franken für die Medikation) wird neben MCP beziehungsweise Domperidon 15 Gramm Natriumpentobarbital in Pulverform verwendet, das in Wasser aufgelöst wird. In Deutschland ist die Anwendung verboten. Lediglich Tierärzte dürfen das Mittel zum Einschläfern verwenden.
Die Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas arbeitet mit einer einzigen Apotheke in Zürich zusammen, die das Präparat anbietet: die Limmatplatz-Apotheke. Der Arzt oder ein Mitarbeiter von Dignitas holen das Präparat ab. „Früher wurde Natriumpentothal als Schlafmittel verwendet, seit etwa zehn Jahren ist es verschwunden”, sagt Inhaber Dr. Albert Ganz. Mittlerweile gebe es das Produkt nicht mehr als Fertigarzneimittel. Die Limmatplatz-Apotheke bezieht das Präparat über den Zwischenhändler Hänseler, der seinen Lieferanten nicht verraten will.
Am Donnerstag beriet der Bundestag in einer 4,5-stündigen Orientierungsdebatte über eine Neuregelung der Sterbehilfe. Mit Ausnahme einer Gruppe von Linken- und Grünen-Abgeordneten sprechen sich alle Papiere gegen Sterbehilfevereine aus. Bis Ende Februar sollen Gesetzentwürfe vorliegen. Dann ist die erste Lesung geplant. In der zweiten Jahreshälfte 2015 will der Bundestag ein Gesetz verabschieden.
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