Fruchtbarkeitsstörungen

Spermien: Sonnencreme stört Reproduktion Deniz Cicek-Görkem, 19.09.2018 15:05 Uhr

Cocktails endokriner Disruptoren beeinträchtigen die Spermienfunktion und könnten so den Befruchtungsvorgang stören Grafik: R. Pascal/caesar, Bonn
Berlin - 

Hormonell wirksame Chemikalien könnten mitverantwortlich sein für Fruchtbarkeitsstörungen beim Mann. Ein deutsch-dänisches Forscherteam hatte eine lange Liste dieser Substanzen bereits 2014 genauer unter die Lupe genommen. Neue Daten zeigen, dass sich bei der Kombination der Substanzen nicht nur die Einzelwirkungen addieren, sondern sich auch gegenseitig verstärken. Das ist im Fachjournal „Human Reproduction“ nachzulesen.

Synthetische endokrin wirksame Chemikalien, sogenannte endokrine Disruptoren (EDC), finden sich in Lebensmitteln, im Haushalt und in Körperpflegeprodukten wieder. Diese Substanzen wurden mit negativen Effekten auf die Fortpflanzung einschließlich Unfruchtbarkeit sowie einer steigenden Nachfrage nach künstlicher Befruchtung in Verbindung gebracht. Hintergrund ist, dass diese Chemikalien unter anderem die Wirkung weiblicher Hormone imitieren, die das Schwimmverhalten von Spermien im Eileiter steuern. Dadurch beeinträchtigen sie die Funktion der Spermien und können so mitverantwortlich sein für Fruchtbarkeitsstörungen.

2014 hatte das deutsch-dänische Forscherteam um Professor Dr. Timo Strünker vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) die Wirkung von 96 strukturell unterschiedlichen EDC auf menschliche Spermien untersucht. Sie konnten zeigen, dass diese Stoffe den spermienspezifischen CatSper-Kanal (cation channel of sperm) aktivieren und dadurch einen intrazellulären Ca2+-Konzentrationsanstieg, eine Motilitätsreaktion und eine akrosomale Exozytose hervorrufen. Darüberhinaus desensibilisieren EDC Spermien für physiologische CatSper-Liganden und kooperieren in niedrig dosierten Mischungen, um die Ca2+-Spiegel in Spermien zu erhöhen. Der Eingriff in den Calcium-Haushalt ändert das Schwimmverhalten der Spermien und führt dazu, dass ihre Navigation hin zur Eizelle gestört oder die Spermien daran gehindert werden, die Eihülle zu durchdringen.

In der aktuellen In-vitro-Untersuchung gingen die Wissenschaftler um Strünker sowie Professor Dr. Niels Erik Skakkebæk vom Rigshospitalet in Kopenhagen der Frage nach, ob die chemosensorische Aktivierung von CatSper Ca2+-Kanälen in menschlichen Spermien durch die Mischung verschiedener endokriner Diskriptoren zu additiven, subadditiven oder sogar synergistischen Wirkungen führt.

Zu den analysierten Substanzen gehören unter anderem BCSA (Benzylidene camphor sulfonic acid), eine Substanz, die in Sonnenschutzmitteln und Kosmetika als UV-Filter eingesetzt wird. Außerdem untersuchten die Forscher die Effekte von α-Zearalenol, einem Metaboliten eines Mykotoxins, das von Pilzen in Nahrungs- und Futtermitteln produziert wird, sowie weiterhin Progesteron und Prostaglandine.

Trotz der geringen Konzentration der einzelnen Komponenten reagieren Spermien den Forschern zufolge sensibel auf solche Cocktails. „Kombiniert man die Chemikalien, addieren sich die Einzelwirkungen nicht nur, sondern sie verstärken sich gegenseitig beträchtlich“, fasst Studienleiter Dr. Christoph Brenker die Studienergebnisse zusammen. Die synergistische Wirkung würde daraus resultieren, dass die Substanzen Progesteron und Prostaglandine perfekt imitieren. Diese Hormone steuern das Schwimmverhalten und die Enzymfreisetzung. Die Chemikalien führen dazu, dass Spermien weniger empfindlich auf diese Hormone reagieren. Doch Männer können diesen Chemikalien praktisch nicht ausweichen. „Eine bewusste Ernährung und Lebensweise (wenig prozessierte Lebensmitte, lokale, unbehandelte Produkte, Vermeidung von Plastikbehältern etc.) minimiert die Aufnahme. Für Kosmetika gibt es mittlerweile eine App, mit der man abrufen kann, ob ein bestimmtes Produkt diese Chemikalien enthält – man muss nur im Geschäft den Barcode scannen. Das ist natürlich eine sehr gute Idee und übt Druck auf die Hersteller aus, auf diese Chemikalien, wann immer möglich, zu verzichten.“

Die Wissenschaftler wollen nun an künstlichen Modellen des Eileiters noch genauer untersuchen, wie die weiblichen Hormone das Schwimmverhalten beeinflussen und wie die Chemikalien die Chemie der Befruchtung stören. Angesichts des beobachteten Synergie-Effekts werde das Gefahrenpotenzial dieser Substanzen vermutlich unterschätzt, so die Forscher. Strünker würde sich wünschen, dass die Studienergebnisse künftig bei den Grenzwerten berücksichtigt werden. „Leider ist dies sehr schwer abzubilden, da der Chemikalien-Cocktail im Blut je nach Herkunft und Lebenswandel ganz unterschiedlich ist.“ Die Grenzwerte für EDC werden derzeit für jede Substanzen einzeln bestimmt.