Vorbeugung und Behandlung von Demenzerkrankungen stehen in Fokus der Forschung. Infectopharm stellte nun Daten zu einem neuen Präventionsansatz vor: Spermidin – ein Polyamin, welches den Autophagieprozess anstoßen kann – soll das Demenzrisiko senken können.
Der Begriff Autophagie ist vor allem in Zusammenhang mit Fastenkuren bekannt, denn das Fasten aktiviert diesen zellulären Selbstreinigungsprozess durch niedrige Energielevel oder eine geringe Nährstoffzufuhr auf natürliche Weise. „Regelmäßiges Fasten verlängert in verschiedensten Organismen das Leben, hält den Körper länger gesund und steigert die Fitness“, berichtete Prof. Andreas Michalsen, Fastenexperte und Chefarzt im Immanuel Krankenhaus Berlin. Vor allem das Intervallfasten ist derzeit in aller Munde: Positive Studienergebnisse hinsichtlich verbesserter kardiovaskulärer Parameter sowie eines verminderten Risikos für oxidativen Stress nehmen zu. Aber auch zur Prävention von altersbedingten Erkrankungen wie Demenz könnte der Prozess eine wichtige Rolle spielen.
Bei der Autophagie bauen die Zellen beschädigte und nicht mehr benötigte Zellbestandteile sowie Proteinablagerungen ab. Die daraus gewonnenen chemischen Grundbausteine werden entweder zur Bildung neuer Zellkomponenten oder zur Energiegewinnung genutzt. Erste Ergebnisse einer Studie der Charité Berlin deuten dabei auch auf ein präventives Potenzial für degenerative Erkrankungen hin. Denn für neurodegenerative Erkrankungen sind Proteinablagerungen in den Nervenzellen charakteristische Merkmale. Durch die Autophagie konnten in Zellkulturmodellen durch zellulären Stress induzierte Proteinablagerungen wieder entfernt werden.
„Für die Aktivierung der Autophagie sind die Glykogenspeicher in der Leber sowie der Muskulatur entscheidend. Sie müssen geleert sein. In Abhängigkeit von der Muskelmasse tritt der autophagiesteigernde Effekt bei Frauen nach rund 11 bis 12 Stunden und bei Männern nach etwa 13 bis 14 Stunden ein“, erklärte Michalsen. Der Prozess kann neben der Kalorienrestriktion auch durch das Polyamin Spermidin in Gang gesetzt werden, denn es gilt als Autophagie-Induktor, welcher die Aktivierung der Autophagie nachahmen kann. „Dies ist vor allem für Personen interessant, die nicht fasten können oder für die es schwierig ist, Fasten in ihren Alltag zu integrieren. Sei es aufgrund von Familie, Beruf oder aus anderen Gründen“, erklärte Michalsen.
„Das Polyamin Spermidin ist tatsächlich die bisher einzig bekannte natürliche Substanz, die in unterschiedlichsten Organismen die Autophagie induziert und gleichzeitig von Natur aus im menschlichen Körper vorkommt“, bestätigte Assistenzprofessor Tobias Eisenberg vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz. Zusammen mit seinem Team konnte Eisenberg herausfinden, dass Spermidin spezifische Acetyltransferasen hemmt, was wiederum die Transkription autophagierelevanter Gene, ATG, sowie die Aktivität der autophagieregulierenden ATG-Proteine stimuliert.
Die Substanz wird zum einen von Zellen des Körpers synthetisiert, zum anderen wird das Polyamin auch in größeren Mengen über die Nahrung aufgenommen und von Darmbakterien produziert. Im Alter sinkt die Spermidin-Konzentration im Blut und einigen Körpergeweben jedoch – vermutlich aufgrund einer abnehmenden Spermidinsynthese. Eine vermehrte Zufuhr des Polyamins könnte diesen Verlust wieder ausgleichen. „Womöglich am besten in Form eines Supplements, da der Spermidingehalt in Lebensmitteln stark variiert und häufig unzureichend untersucht ist“, erklärt Eisenberg.
Neueste epidemiologischen Studien zufolge könnte eine zusätzliche Aufnahme im Milligrammbereich schon ausreichen, um gesundheitsfördernde Effekte zu erzielen. In zahlreichen präklinischen Studien und ersten Humanstudien wurden unter anderem protektive Effekte im Zusammenhang mit neurodegenerativen und kardiovaskulären Erkrankungen einer spermidininduzierten Autophagie beobachtet. „Sehr vielversprechend sind aktuell Humanstudien, die eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit durch Spermidinsupplementation untersuchen“, erklärte Eisenberg.
Der neue Ansatz sei wichtig, da die erwünschten Wirksamkeitsnachweise für Anti-Amyloid-Wirkstoffe noch auf sich warten lassen. Daher müsse sich die Forschung mehr auf die Prävention konzentrieren, betonte Professor Stephan Sigrist von der Freien Universität Berlin. Aktuell steht die spermidininduzierte Autophagie bei der Prävention von Demenz im wissenschaftlichen Fokus. Erste positive Ergebnisse konnten bereits 2018 in einer randomisierten, placebokontrollierten Phase-IIa-Studie beobachtet werden.
Das Forscherteam der Charité Berlin untersuchte nun bei 30 Teilnehmern ab 60 Jahren mit subjektiver kognitiver Verschlechterung den Effekt einer täglichen Supplementation von Spermidin auf die Gedächtnisleistung: Die Probanden erhielten entweder 1,2 mg Spermidin in Kapselform pro Tag oder Placebo. Schon nach drei Monaten wurde in der Versuchsgruppe eine moderate Verbesserung der Gedächtnisleistung gegenüber der Kontrollgruppe festgestellt.Sowohl Tiermodell- wie auch Zellkulturstudien konnten zeigen, dass der Abbau von molekularem Zellmüll – wie potenziell zellschädigenden Proteinaggregaten – durch eine spermidininduzierte Autophagie ausschlaggebend zu sein scheint.
Die Supplementation von Spermidin stellt daher eine mögliche Interventionsstrategie bei abnehmender Gedächtnisleistung dar. Derzeit läuft die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Folgestudie „SmartAge“ an der Charité: Mit ihr werden die demenzpräventiven Effekte der Supplementation mit Spermidin an 100 Probanden über einen Studienzeitraum von zwölf Monaten getestet. Die Ergebnisse der Studie werden im Herbst 2020 erwartet.
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